Das ist der Mann, der die Jauchegrube des Internets am Leben hält
Bild: Screnshot 8chan

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Das ist der Mann, der die Jauchegrube des Internets am Leben hält

„Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass weiße Rassisten hier ihre Meinung äußern. Die haben Gründe für ihre Überzeugungen. Ich muss ihre Gründe nicht rechtfertigen.“

I am always ready to wrestle. pic.twitter.com/2I3rKTOezT
— Jim (@xerxeswatkins) January 3, 2015

Das anonyme Imageboard 8chan ist so etwas wie ein potenziertes 4chan—böser, explosiver und skrupelloser.

Obwohl Gamergate nicht Anlass für die Gründung von 8chan war, gewann die Seite erst massiv an Zulauf an zweifelhaften Mitgliedern, als das anarchische Anon-Board 4chan begann, die übelsten Morddrohungen und Vergewaltigungsphantasien aus Gamergate-Threads zu löschen.

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8chan wurde zu ihrem Refugium. Dort tummelt sich seitdem nicht nur der Bodensatz pubertärer Scherzkekse, die im Minutentakt Memes und neuen Slang erschaffen—ohne Umschweife findet sich auf der Seite eben auch ein bizarrer Content-Strauß an Rassismus, Pädophilie und fanatischem Frauenhass. Während diese wilde Mischung auf 4chan in den besten Fällen einen mehr oder weniger lustigen Internet-Humor inspirierte, ist auf 8chan ziemlich wenig witzig gemeint.

Die unfreundliche Seite von 8chan, die sich stets hinter ihrer schützenden Anonymität versteckt, wird von einem Schweinefarmer auf den Philippinen am Laufen gehalten, der als US-Armyveteran viel Zeit und noch mehr Geld in die gallespuckende Community steckt. Sein Name ist Jim Watkins. Die Frage ist nur: Warum macht er das?

Justice League at https://t.co/KuFct85GHY pic.twitter.com/Upl8I1G5AW
— Jim (@xerxeswatkins) 7. März 2016

Im Gegensatz zu anderen Messageboards, die von ihrem Alles-Geht-Ansatz nach und nach abgerückt sind und wie Reddit und selbst 4chan ein gewisses Maß an Post-Moderation für die ganz krassen Fälle eingeführt haben, brüstet sich 8chan nach wie vor mit unzensierter Kommunikation.

Watkins hat eigentlich nur eine Grenze in seiner Verteidigung unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung: Copyrightverletzungen; denn die sind teuer. In einem Interview gefragt, ob er sich den Opfern der auf 8chan organisierten Hass- und Belästigungkampagnen verpflichtet fühle, antwortet er: „Ich weiß nicht, was damit gemeint sein soll. Wenn wir eine Copyrightverletzung haben, nehmen wir Inhalte runter."

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Als Rassist sieht sich Watkins nicht—schließlich würde er ja unter Asiaten leben, so seine etwas bemühte Argumentation.

Vor rund einem Jahr griff die Hackergruppe Lizard Squad die Seite mit einer DDoS-Attacke an und nahm das Board wegen vermeintlichen Kindesmissbrauchs-Inhalten offline. Google löschte vorübergehend alle Ergebnisse aus dem Board aus seinen Suchlisten. Bis heute ist 8chan immer mal wieder down, was aber nicht nur an den expliziten Inhalt liegt, sondern auch an der Tatsache, dass die Infinity Software, mit der das Board aufgesetzt wurde, als Rip-Off eines anderen Boards mit dilettantischen Modifikationen sehr fehleranfällig ist.

Nur der finanzielle und technische Support von Watkins ist der Grund, warum die Seite immer noch lebt—wenn sie auch immer mal wieder nicht erreichbar ist. „Ich habe so viele tolle Seiten kommen und gehen sehen", befand Watkins gegenüber Fusion—und schloss dabei offenbar auch sein Baby 8chan ein.

Bei 8chan erstellen die Nutzer ihre eigenen Imageboards, statt sie zentralisiert auszuwählen. Nutzer bilden so ihre eigenen Communities. Die tragen Namen wie „Fap Central", „Politcally Incorrect", oder auch „Pedo". 8chan brüstet sich mit einer so gut wie nichtexistenten Moderationspraxis, weswegen die erste Headline, die Lesern heute auf der Seite bei einem Aufruf entgegenschreit, auch gleich lautet: „NIGGER kapieren mal wieder irgendwas nicht und sind deshalb mal wieder GEWALTTÄTIG"

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Als Rassist sieht sich Watkins nicht—schließlich würde er ja unter Asiaten leben, so seine etwas bemühte Argumentation. „Natürlich bin ich kein White Supremacist. Manchmal sehe ich tagelang kein weißes Gesicht. Ich muss hier mit Rassenproblemen klarkommen wie Farbige in den 1960ern, oder was auch immer der politisch korrekte Begriff heute ist. Aber ich habe überhaupt kein Problem damit, dass weiße Rassisten hier ihre Meinung äußern. Die haben Gründe für ihre Überzeugungen. Ich muss ihre Gründe nicht rechtfertigen", sagte er dem Magazin Fusion.

Leider äußern sie nicht nur ihre Meinung auf 4chan, sondern richten aktiv Schaden an—auch wenn sie nur verschiedene Schauplätze der Online-Diskussion trollen und vergiften. Tay, Microsofts Tennager-KI, wurde hier zum Nazi und Rassisten, und als der jüngste StarWars-Film erschien, starteten die Anons auf dem Board einen scherzhaften Boykott-Hashtag, weil in der Episode Hauptrollen mit schwarzen und weiblichen Darstellern besetzt wurden—später erklärte einer der bekannten Trolle, „Weev" aka. Andrew Auernheim, dass das Star Wars-Hashtag wiederum nur eine Verarschung der für Hypes und Boykotte überempfindlichen Medien sei.

Wie der Guardian später berichtete, wurden beide Swatting-Versuche auf Gamergate-Kritikerinnen von dem /baph/-Board auf 8chan aus koordiniert; Chatlogs zeigen zudem, wie die Community versuchte, den Hashtag in die Mainstreammedien zu treiben und Kritiker mit Hunderten Fake-Twitteraccounts zu diffamieren.

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Aus Microsofts nettem Chat-Teenie wurde in nur 24 Stunden eine Nazi-KI

Zuletzt geriet 8chan wegen cock.li in die Schlagzeilen; einem von Vincent Catfield auf 8chan gestarteten E-Mail-Hostingdienst „für Dickpicks und was auch immer ihr wollt", so Catfield in einem Video. Von dem Dienst aus wurden allerdings auch Bombendrohungen verschickt, wegen derer alle Schulen in LA im Dezember 2015 vorübergehend schließen mussten. Im Januar 2016 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Zwickau Catfields Server, die beide in Datencentern Deutschland gehostet wurden. Catfield lässt sich seitdem von Edward Snowdens Anwältin Jesselyn Raddack vertreten und hat seine Dienste nach Rumänien verlagert.

Watkins Argument, warum er ausgerechet 8chan unterstützt? Freie Meinungsäußerung. Der 53-Jährige hat einen beruflichen Hintergrund im Hosting von japanischen Pornoseiten, denn Online-Erotikddienste waren noch vor 20 Jahren in Japan illegal, solange sie nicht in Übersee gehostet wurden. In den 90ern wurde Watkins daher zu einer Art Porno-Pionier, er verkaufte zunächst Werbung und spezialisierte sich dann auf Hosting von Sex-Angeboten aus Ländern, in denen strenge Zensurgesetze galten. „Was wir getan haben, war eigentlich nur die Vermarktung von unzensiertem Content an User in Japaner.", wird ein Mitarbeiter von Watkins Firma N.T. Enterprises zitiert.

Die Trauer um den Admin „moot" beweist, dass 4chan auch ein Forum der Liebe sein kann

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8chan oder infinity chan gibt es bereits seit 2003. Durch Spenden konnte es sich nicht allein finanzieren, weil keine Fundraising-Website solche Dienste unterstützen wollte. Vor zwei Jahren kam es jedoch zu einem Treffen, das den Betrieb der Seite bis heute garantiert: Der an Glasknochenkrankheit leidende Gründer und Hauptadmin Fredrick „Hotwheels" Brennan (der sagt, er habe die Idee zu 8chan auf einem Pilz-Trip gehabt) lernte Watkins kennen. Die beiden freundeten sich an. Watkins bot dem Admin Webhosting für das Imageboard mit seiner Firma N.T. an. Heute gehört Watkins 8chan und Brennan bleibt angestellter Admin, wie die beiden in einer Pressekonferenz Anfang des Jahres bekannt gaben.

2014 hat Watkins Hiroyuki Nashimura auch die Kontrolle über das Imageboard 2channel abgerungen. Seitdem ist das Vorbild des 4chan-Boards—1999 in Japan gegründet—ein weiterer Teil des N.T. Enterprises-Imperiums. N.T. macht mit dem anonymen Board nach eigenen Angaben über eine Million Dollar jährlich durch den Verkauf eines bezahlten Premium-Services, mit dem man die Archive durchsuchen kann. Doch auch Hiroyuki Nashimura geht in dem Spiel nicht leer aus. Im Januar 2015 kündigte Christopher „moot" Poole an, nicht mehr länger das Board 4chan zu betreiben. Der 27-jährige Poole arbeitet mittlerweile bei Google—doch zuvor übernahm ein weiterer alter Bekannter das Anon-Board: 2channels Nashimura.

Pomeranian frenzy at https://t.co/armIIZPkvD #8chan pic.twitter.com/y1T6TBmDRd
— Jim (@xerxeswatkins) 11. März 2016

Doch Jim Watkins hat auch eine weiche Seite, und die zeigt er in Form seines „anderen Lebens" in sozialen Netzwerken. Da wäre die 14-minütige Compiliation miauender Kätzchen. Ein Bild seines eher unförmigen Körpers beim Heben einer Hantel mit einer Queen-Zeile als Bildunterschrift: „I'm just a poor boy nobody loves me". Oder das Video, in dem erklärt wird, wie man Ohrinfektionen bei Haustieren behutsam reinigt. Auf Youtube zeigt Jim begeistert einen Haufen selbstgezüchteter schwirrender Soldatenfliegen-Larven und freut sich aus dem Off: „Daraus mach ich Kekse!"

Watkins größtes Problem mit 8chan sind laut seiner eigenen Aussage die sogenannten Social Justice Warriors, die man grob mit „Gutmenschen" übersetzen könnte. „Die trollen mich per Mail", jammert Watkins auf Twitter. Rechte Trolle überfluten 8chan dagegen schon seit Langem. Watkins behauptet gern öffentlich, dass die „Gutmenschen" die schlimmsten Posts auf 8chan selbst erstellen, um sich dann bei ihm darüber zu beschweren und beim FBI eine Sperrung der ganzen Seite zu erwirken. Belege gibt es dafür nicht.

Sein zweitgrößtes Problem dürfte die mangelnde Werbebereitschaft auf 8chan sein. Momentan gibt es zwar immer noch etwas mehr als 1000 Posts pro Stunde bei 9,825 aktiven Boards. Trotz alledem wirft 8chan keinen Profit ab, denn auch Werbepartner reißen sich verständlicherweise nicht gerade darum, auf einem Board voller Pädosexueller und Rassisten ihr Produkt zu bewerben. Nicht jede Jauchegrube lässt sich auf Anhieb zu Geld machen—doch Jim Watkins wird es zweifelsfrei weiter versuchen.