Die App FlexiSpy auf einem iPad.
Bild: Grey Hutton

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Mehr als tausend Deutsche nutzen Spionage-App: "100 Prozent Erfolg - übermorgen ist meine Scheidung"

Für 150 Euro kann jeder mit einer App einen anderen Menschen komplett überwachen. Wer mit Kunden spricht, merkt schnell, wie das Tool Stalking und häuslicher Gewalt Tür und Tor öffnet.

Alex* war gerade wieder in Deutschland gelandet, als Dutzende Nachrichten auf seinem Handy eintrudelten. Verräterische Bilder, Gesprächsmitschnitte und Chat-Nachrichten zeigten eindeutig: Seine Frau, mit der er gerade einen harmonischen Urlaub verbracht hatte, betrügt ihn. Doch Alex hätte all das nie sehen dürfen – er hat es illegal aufgezeichnet, mit einer Spionage-App, die er heimlich auf dem Telefon seiner Frau installierte. Die App stellt 22 Jahre Ehe auf den Kopf – sie ist der Sargnagel der Beziehung.

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"Viele Frauen betrügen. Sie alle benutzen Handys. Ihre Handys werden Ihnen verraten, was sie nicht sagen", heißt es auf der Website der thailändischen Firma Vervata. Für rund 150 Euro bietet sie eine vermeintlich praktische Lösung an: die App FlexiSpy. Jeder kann mit dem Programm zum Spion werden. Die Daten schickt das Tool direkt zum Überwacher: Jedes Telefongespräch, alle Fotos, der Inhalt jeder SMS, GPS-Daten, das Livebild von Videoanrufen – alles lässt sich vom PC aus in Echtzeit verfolgen. Wenn der Überwacher es will, kann das Handy auch zur Wanze werden: Auf Knopfdruck wird das Mikrofon eingeschaltet, das dann alle Geräusche aus der näheren Umgebung aufzeichnet.

"Ich dachte, ich werde verrückt."

Ursprünglich kam der Verdacht von seinen Freunden, berichtet der knapp 50-jährige Alex vom Beginn seiner Eifersucht. Seine Frau sei einige Jahre jünger als er, aber dass sie ihn betrügen könnte, habe er zunächst nicht glauben wollen. Die beiden haben zwei Töchter, die Ältere ist schon aus dem Haus. "So eine wie mich findet er sowieso nicht mehr", hört er seine Frau sagen, sie meint den Altersunterschied. All das, was er durch FlexiSpy erfuhr, sei nicht immer einfach zu ertragen, sagt Alex. "Manche bringen sich dann vielleicht um oder knallen ihre Familie ab. Ich habe die Scheidung eingereicht", sagt er trocken. Knapp drei Monate spioniert er seine Frau aus, verbringt teilweise ganze Tage damit, das aufgezeichnete Material zu sichten. Und er fühlt sich im Recht. Seine Erfahrung mit der App fasst Alex so zusammen: "100 Prozent Erfolg. Übermorgen ist meine Scheidung."

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Alex ist nur einer von mehr als tausend Deutschen, die einen Account bei der App FlexiSpy haben, das geht aus Kundendaten hervor, die Motherboard vorliegen. Rechtsanwälte, Firmengründer, Mitarbeiter von Reinigungsfirmen, Sicherheitsunternehmen, Party-Veranstalter, Friseurinnen und Internisten – sie alle haben die Spionage-App gekauft. Die Mehrzahl sind Männer, doch es sind auch Frauen darunter, allerdings höchstens 20 Prozent.

Seht in unserem Video, was die App anrichten kann:

Es dürfte noch viel mehr Menschen in Deutschland geben, die andere auf Schritt und Tritt verfolgen: Der Markt für dubiose Überwachungssoftware ist groß und unübersichtlich. FlexiSpy ist nur eine von Dutzenden Spionage-Apps, die sich jeder für 60 bis 200 Euro im Internet herunterladen kann.

Bis zu drei Jahre Gefängnis drohen – doch das schreckt die Kunden nicht ab

Dass es illegal ist, was er da tut, mache ihm keine Sorgen, erzählt Alex. Schließlich verspreche die App, auf dem Smartphone der Zielperson nicht sichtbar zu sein. Doch wer die Software ohne die Zustimmung der zu überwachenden Person nutzt, macht sich strafbar. Nach deutschem Recht drohen bis zu drei Jahre Gefängnis. FlexiSpy schreibt im Kleingedruckten, dass die App nur mit der expliziten Zustimmung eines Nutzers auf dessen Handy installiert werden darf. Tatsächlich zeigen Gespräche mit Kunden, die wir in den vergangenen Wochen führten, dass dies längst nicht immer der Fall ist.

Die Frau von Alex weiß bis heute nicht, dass auf ihrem Handy eine Spionage-App installiert war. Vor dem Scheidungsstreit engagierte er einen Privatdetektiv, der noch einmal die Belege für seinen Verdacht besorgte. Der hatte leichtes Spiel. "Ich musste ihm nur noch den Hinweis geben: 'Samstag um 17h gehst du mal in das und das Restaurant, und dann wird da wohl dies oder jenes passieren'", erzählt er.

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Vom Versand gefälschter SMS bis zur Internet-History ist alles dabei: FlexiSpys Funktionsumfang ist beängstigend groß. Bild: Screenshot FlexiSpy

Was es bedeutet, vollständig überwacht zu werden, weiß die 35-jährige Maja. Nach zwei Jahren Ehe ist sie vor zwei Wochen von zu Hause geflüchtet, hat sich krankschreiben lassen und hofft jetzt in einem Frauenhaus auf etwas Ruhe.

Ihr Mann sei schon immer sehr eifersüchtig gewesen, erzählt die Beraterin. "Anfangs fand ich das süß." Doch als er anfing, abends jedes Detail ihres Arbeitstages abzufragen, versuchte sie sich ein wenig Freiraum zu verschaffen. Es gelang ihr nicht. "Immer gab es Theater. Er wollte alles überprüfen: Zu welcher Uhrzeit ich mit wem das Büro verlassen habe, wie lange ich exakt im Baumarkt verbracht habe – bis mir irgendwann auffiel, dass er vieles gar nicht wissen konnte", erzählt sie. "Ich dachte, ich werde verrückt." Sie recherchierte im Internet über Spionage-Software und fand auf ihrem Android-Smartphone einen verdächtigen Prozess. Es war die Spyware mSpy, die sich als Systemanwendung tarnte. "Für mich ist eine Welt zusammengebrochen, als mir klar wurde, dass ich keine Privatsphäre mehr hatte. Mir wurde schlecht, dann hab ich das Handy auf Werkseinstellungen zurückgesetzt."

So findest du heraus, ob jemand Spionage-Software auf deinem Gerät installiert hat

Statt ihren Mann zur Rede zu stellen, beobachtete sich das Paar nun gegenseitig argwöhnisch. "Ich wusste, dass er nur auf eine Gelegenheit wartete, mir das Handy kurz wegzunehmen und die Spyware neu zu installieren. Er kam nicht damit klar, nicht mehr kontrollieren zu können, was ich tue, mit wem ich rede und wo ich bin." Nach einem schlimmen Streit, bei dem ihr Mann ihr Gewalt androhte, packte Maja ihre Sachen. Dass er womöglich noch Bilder und Gespräche von ihr hat, mit denen er sie erpressen könnte, macht ihr große Sorgen. Sie will die Scheidung und überlegt, ihren Überwacher anzuzeigen.

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Verwanzte Geschenke und heimliche Überwachung auf Schritt und Tritt: Die Kunden fühlen sich im Recht

Bei den Nutzern der App herrscht kaum ein Unrechtsbewusstsein. "Ist doch normal", findet einer, der ein Konto bei FlexiSpy hat, gegenüber Motherboard. "Ein Mann will eben manchmal einfach wissen, was seine Frau macht", rechtfertigt sich Timur*, ein zufriedener Spyware-Kunde, der mit der App einige Wochen lang seine Freundin ausspioniert hat.

Für den heikelsten Teil der Spionage – die heimliche Installation auf dem Gerät der Opfer – hat der 38-Jährige eine ganz praktische Lösung gefunden. Er schenkte seiner Freundin ein nagelneues Galaxy S7. Was sie nicht wusste: Das Gerät hatte er vorher mit der Spyware FlexiSpy verwanzt.

Irgendwann wurde seine Freundin misstrauisch, als sie komische Datenübertragungs-Popups auf ihrem Smartphone sah. Timur log sie an: "Ich habe dann irgendwelchen Unfug von Hackern erzählt." Von FlexiSpy weiß seine Freundin bis heute nichts, doch ein wenig einvernehmliche Überwachung hat in ihrer Beziehung ohnehin Einzug gehalten. "Mittlerweile weiß sie, dass ich Zugriff auf ihr Facebook habe", erzählt er. Die beiden wohnen jetzt seit einem Jahr zusammen, "da hat man sich nichts zu verbergen".

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Das schlecht übersetzte Deutsch scheint die Kunden der App nicht abzuschrecken. Bild: Screenshot FlexiSpy

Dass ein Partner tatsächlich einer Überwachung zustimmt, dürfte die absolute Ausnahme sein. Beim Cyberstalking geht es oft nicht nur ums Abhören, sondern um sexuelle und häusliche Gewalt. Die Dimensionen sind erschreckend: Von 176 Frauenberatungsstellen und Frauennotrufen waren nahezu alle im vergangenen Jahr mit dem Problem von Spionage-Apps konfrontiert, erzählt uns Anna Hartmann vom Bundesverband Frauen gegen Gewalt e.V. "So eine Verfolgung auf Schritt und Tritt macht ein selbstbestimmtes Leben unmöglich, zum Beispiel während oder nach einer Trennung."

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Anwälte: Es ist kaum möglich, die App legal zu benutzen

Rechtlich ist die Sache klar: Ausspionieren ohne Erlaubnis ist ein schweres Vergehen.
"Man darf das Programm nur auf dem Handy einer anderen Person installieren, wenn sie auch mit der Nutzung des Programms ausdrücklich einverstanden ist. Wenn ein Mensch seinen Partner oder Ex-Partner ausspioniert, wird dieses Einverständnis nie vorliegen", sagt der Anwalt für Strafrecht Toralf Nöding.

Wer mit dem Programm heimlich Daten ausspäht oder abfängt, verletzt gleich mehrere Paragrafen des Strafgesetzbuchs und muss mit einer hohen Geldstrafe oder bis zu drei Jahren Haft rechnen. Wer Telefongespräche abhört und mitschneidet – und das gehört bei FlexiSpy zum Funktionsumfang – macht sich ebenfalls strafbar.

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FlexiSpy ist nur eins von Dutzenden dubiosen Programmen, mit denen sich andere Menschen von zu Hause ausspionieren lassen. Bild: Grey Hutton

Laut dem Berliner Anwalt Niko Härting dürften sogar noch weitere Straftatbestände, etwa aus dem Datenschutzrecht, erfüllt werden. "Heimliches Ausspionieren von Gesprächen, Mails, Daten, Passwörtern ist – von Ausnahmen wie Notwehr abgesehen – stets rechtswidrig und meist sogar strafbar. Lücken gibt es da nicht", so Härting.

Beide Anwälte sind sich einig: Es ist so gut wie unmöglich, die Software überhaupt einzusetzen, ohne sich strafbar zu machen. Eine der wenigen Ausnahmen ist, wenn Eltern die eigenen Kinder kontrollieren, die noch nicht geschäftsfähig sind.

"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser"

Kundin Sabine hat FlexiSpy auf dem ersten Smartphone ihres elfjährigen Sohnes installiert. So wollte sie dessen mobile Internetnutzung überwachen. "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", findet sie. "Aber ein schlechtes Gewissen hatte ich auch schon." Nach der zehntägigen Testphase habe sie das Programm wieder gelöscht.

Vielleicht war das auch besser so: Denn wenn Eltern Telefongespräche ihres Kindes mit anderen Personen abfangen, die den Stasi-Taktiken der Erziehungsberechtigten nicht explizit zugestimmt haben, machen sie sich ebenso strafbar – der Paragraph 201 des StGB schützt nämlich auch den Kommunikationspartner vor der Ausspähung.

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Wer mit einigen der über tausend deutschen Kunden von FlexiSpy spricht, findet aber doch die ein oder andere legale Verwendung für die App. Unter den Kunden aus dem Datensatz fand sich ein Chef, der die Kommunikation seines Angestellten nach dessen Zustimmung mit FlexiSpy kontrollierte, um geknipste Fotos im Außendienst automatisch an die Zentrale zu übertragen. Ein Sicherheitsforscher nutzte die App, um LKA-Beamten und der Polizei die Gefahren von Smartphone-Überwachung zu demonstrieren.

FlexiSpy stellt sich tot

Und was ist mit den Herstellern solcher Programme? Die sind fein raus, indem sie sich wie im Fall von FlexiSpy in den AGBs in holprigem Deutsch zusichern lassen, dass das Programm von den Kunden nur für legale Zwecke eingesetzt wird. Auch wenn das kaum möglich ist.

Für alle Fragen, die sich nicht um den Verkauf ihrer Produkte drehen, ist das Unternehmen kaum erreichbar. Mehrfach haben wir FlexiSpy per E-Mail um einen Kommentar zu dem Datenleck gebeten, das die Kundendaten offenlegte. Bis heute haben wir keine Antwort erhalten. Auch Versuche, den Firmengründer Atir Raihan telefonisch zu kontaktieren, scheiterten. Zunächst meldete sich am anderen Ende jemand mit Namen Raihan, nachdem wir jedoch Fragen zu FlexiSpy stellten, hieß es am anderen Ende der Leitung plötzlich, dass jemand anders spreche.

Die Strafverfolgung: ein Trauma für sich

Wenn die Zielpersonen von der Überwachung erfahren, hört das Trauma mit dem Löschen der App längst nicht immer auf. Denn noch schwieriger, als die Spyware auf dem eigenen Handy nachzuweisen, ist oft die effektive Strafverfolgung der Täter. Das wird klar, wenn die Kriminalkommissarin a.D. Sandra Cegla die Geschichte eines weiteren Opfers erzählt: Sie berichtet vom Fall einer Frau, "eine toughe Managerin", die von ihrem Partner während der Beziehung mit einer App ausspioniert wurde. Erst nach Monaten kam die Überwachung ans Licht, als sich ihr damaliger Partner verplapperte.

Doch die Ermittlungen waren zäh. Die Frau musste die Polizei geradezu überreden, ihr Handy zu analysieren. Als die Ermittler darauf schließlich tatsächlich eine Überwachungs-Software fanden, reichte die Beweislage nicht aus, um auch die Geräte ihres Ex-Partners zu beschlagnahmen. Er musste für seine Taten nie gerade stehen. Bis heute nimmt die Managerin jeden Abend den Akku aus ihrem Handy und baut ihr Smartphone auseinander. Sonst kann sie nicht in Ruhe einschlafen.

*Wir haben die Namen von Kunden und Betroffenen der App geändert. Jegliche Informationen, die diese Personen identifizierbar gemacht hätten, haben wir ebenfalls verfremdet.