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"Warum liegt hier Stroh?": Die Geschichte des Maskenmanns aus dem legendären Porno-Clip

Wir sind dem letzten Geheminis des "Warum liegt hier Stroh?"-Clips nachgegangen. Das berühmteste Porn-Meme Deutschlands verfolgt einen Berliner bis heute.
Szene aus dem "Warum liegt hier Stroh?"-Clip. Hier ist der kaputte Stromkasten zu sehen. Und das Stroh sowie die Darsteller, Mann in Maske und Frau in Dessours
Screenshot: YouTube | JAMES SHIL

Es ist der berühmteste Porno-Clip Deutschlands: Ein weiß gefliester Raum, eine brünette Frau im Nachthemd, ein breit gebauter Mann mit Maske, Stroh. Die Frage, die der Maskenmann stellt: "Warum liegt hier überhaupt Stroh?", es folgt: Sex. Der Sex ist Nebensache, doch der Satz schreibt Geschichte. Die dadaistische Sex-Szene ist eines der bekanntesten deutschen Memes. "Und warum liegt hier überhaupt Stroh?", ist der Satz, den Menschen sagen, wenn sie sich in absurden Situationen ohne mögliche Erklärung wiederfinden. Dabei fehlt bis heute vor allem eine Erklärung: Wer ist überhaupt der Mann, der den legendären Satz sagte?

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Auf der Suche nach dem Mann hinter der Maske landen wir in den Hinterzimmern von Berliner Erotikshops und bei YouTubern, die die Porno-Szene begleiten. Dabei wird klar: Den Fame für die legendäre Porno-Szene wollte der Maskenmann nie haben. Er ist eine Zufallsentdeckung, ein Mann aus der Swinger-Szene, der Hunderttausende Menschen im Netz unfreiwillig begeistert hat.

Wer ist der Mann hinter der Maske?

"23,6 Zentimeter!", an die Penislänge kann sich Klaus Goldberg genau erinnern als wir ihn nach dem Mann mit der Maske fragen. Goldberg steht wie kaum ein anderer Mensch für den deutschen Pornofilm. Über 30 Jahre lang war der jetzt 61-Jährige als Produzent aktiv. In den 90ern erklärte er als Dauergast in Sendungen wie "Wa(h)re Liebe" den Deutschen die Swingerszene. Er erfand auch die Porno-Meme-Figur "Sachsen-Paule" und produzierte Hunderte Filme. Heute leitet er einen Erotik-Shop in Berlin, in dem wir ihn treffen.

Der Pornoproduzent Klaus Goldberg, der den Maskenmann in der

Der legendäre Porno-Produzent Klaus Goldberg, 61, entdeckte den Mann, der Meme-Geschichte schreiben sollte | Foto: Dennis Kogel | Motherboard

"Ich war mit meiner damaligen Frau im Kit Kat Club", erzählt Goldberg über die Zeit um die Jahrtausendwende. "'Klaus, schau dir diesen Riesenschwanz an', sagte sie zu mir." Es ist ein schicksalhafter Moment, denn der imposante Penis gehört zu dem Mann, der nur kurze Zeit später Internetgeschichte schreiben sollte. Der Produzent und der Swinger kommen ins Gespräch.

Goldberg sucht nach Schauspielern für eine Swinger-Filmreihe. Amateure, gewöhnliche Menschen, sollen in seine Studios kommen. Doch er merkt: Der Mann ist kein Amateur, er ist Profi. Er hat in zahlreichen Gangbang-Filmen einer Berliner Produktionsfirma mitgemacht. Das Porno-Geschäft ist hart, viele Männer machen schlapp, wenn Kameras laufen und Studiolicht brennt – oder können einfach nicht lange genug. Für den Mann im Club ist das alles kein Problem. Er ist ein Naturtalent, ein Einhorn der Berliner Nacht. Nicht nur Goldbergs damalige Frau ist beeindruckt, auch Goldberg will ihn haben. Doch der Mann hat eine Bedingung: Er macht's nur mit. Genau wie in den Gangbang-Videos holt er beim Dreh mit Goldberg die Maske nicht runter vom Kopf. Er hätte einen bürgerlichen Beruf, sagt er. Welcher das ist, das will uns Goldberg nicht sagen. Er ist schließlich diskret.

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Wie ein Berliner Swinger zum Maskenmann wurde

Goldberg und der Maskenmann kommen zusammen. Es ist inzwischen 2002 und die beiden Männer machen einen Termin aus für einen Dreh in Brandenburg. Der Film, der hier entsteht, ist nicht irgendein Sexstreifen, sondern einer der erfolgreichsten Porno-Filme der deutschen Geschichte: "Die megageile Küken-Farm".

Der Plot ist selbst für Porno-Standards bizarr: Ein verrückter Professor züchtet in seinem Brandenburger Labor eine neue Art Küken. Sie haben keine Federn und sie sehen aus wie nackte Pornodarstellerinnen. "Und die vögelt er dann!", sagt Goldberg. Er hat das Drehbuch geschrieben. "Immer nachts habe ich geschrieben, bei einem Glas Rotwein."

Eien Szene aus

"Die Megageile Küken-Farm" entstand während einer Zeit, in der Genmanipulation ein riesiges Thema war. Das griff der Autor des Streifens, Klaus Goldberg, auf: Der verrückte Professor züchtet Frauen | Screenshot: "Die Megageile Küken-Farm" | Magma Film

Goldbergs "Dr. Professor Hirsel" schläft nicht nur selbst mit den Küken, er verkauft sie auch an andere Männer. Irgendwann kommt ihm eine "Veterinärmedizinerin von der FU" auf die Spur. Die Frau mit der schmalen Brille hätte gehört, er würde "Genmanipulation" betreiben. Doch der Professor entkommt dem großen Wissenschaftsskandal. Die Medizinerin verspricht Stillschweigen, wenn sie sich mit seinem "großen Hahn", einem breit gebauten Engländer, vergnügen darf.

"Die Idee dazu hatte ich, nachdem ich das Set gesehen habe: Eine Fischfarm in Brandenburg", sagt Goldberg. Damit Zuschauern aber nicht sofort klar wird, dass am Filmset in Wirklichkeit Fische und nicht Hühner gezüchtet werden, müssen die Becken irgendwie maskiert werden. Und Brandenburg wäre nicht Brandenburg, wenn da nicht irgendwo Stroh liegen würde. So kam das Stroh aufs Set und Goldberg auf die zündende Idee.

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Ein weitere Szene des Films

Darum lag da Sroh: Die Darstellerinnen liegen in Fischtanks. Das Filmteam hat sie mit Stroh ausgelegt, damit das Set mehr nach Stall und weniger nach Aquarium aussieht | Bild: Screenshot | "Die Megageile Küken-Farm" | Magma Film

"Über jedes Mädchen gießen wir eine Flasche mit Gel aus, das auch für künstliches Sperma benutzt wird und wickeln sie dann in Frischhaltefolie – und dann schlüpfen sie sozusagen aus dem Heu. Mit ganz viel Glibber." Sechs Schauspielerinnen kommen in den Genuss dieser technischen Kreativleistung. Der Regisseur, der diese Vision für die Produktionsfirma "Magma Film" festhalten soll, ist Nils Molitor, ein erfahrener Porno-Filmer und der Sohn des Magma-Film-Chefs, Walter Molitor.

Warum die legendäre Szene ein Zufallsprodukt ist

Freddy Dalton, der Regisseur der

Freddy Dalton (links) stand für "Die Megageile Küken-Farm" hinter der Kamera. In den Credits des Films wird er nur als "Freddy" gelistet. Heute erzählt er auf seinem YouTube-Kanal "Deep Inside TV" Anekdoten aus der deutschen Porno-Szene | Screenshot: YouTube | Deep Inside TV

Doch der Maskenmann darf nicht auf die Küken-Farm, so "megageil" sie auch sein mag. Denn er trägt eine Maske. Und das würde Fragen aufwerfen, die weder Dr. Professor Hirsel noch die Veterinärmedizinerin beantworten könnten. Doch Goldberg hat Glück. "Wir waren besser ausgestattet als RTL!", erzählt er heute. Bei den Drehs der verantwortlichen Produktionsfirma Magma kam nicht nur ein ganzes Team von Profis ans Set, sondern auch zwei Kameras zum Einsatz und nicht jeder Darsteller war voll ausgelastet. Während die eine Kamera also eine bizarre Geschichte irgendwo zwischen Alien und Westworld einfing, konnte das Team um Klaus Goldberg weitere Szenen auf der Fischfarm drehen. Laut Goldberg waren diese Zusatzszenen damals in der Porno-Branche Normalität, um die Zeit, die Darsteller und die Technik am Set effizient zu nutzen.

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"Für Nils musste immer alles einen Sinn ergeben, wenn er was dreht."

So entstand "Achtzehneinhalb 18", eine Sammlung aus unzusammenhängenden Sex-Szenen. Für die Clips brauchte es keine Drehbücher, über denen Goldberg grübeln musste. Hier konnte der Maskenmann auch mit Maske erscheinen. Hinter der Kamera steht allerdings nicht Regisseur Nils Molitor, sondern Freddy Dalton. "Hätte Nils die Szene mit der Maske gedreht, wäre das wohl eine Einbrecherszene geworden. Spannend und schummriges Licht", schreibt uns der Kameramann via Facebook. "Für Nils musste immer alles einen Sinn ergeben, wenn er was dreht."

Heute erzählt Dalton auf seinem YouTube-Kanal "Deep Inside TV" von der alten Zeit und interviewt Menschen aus der deutschen Pornobranche. In einem Video mit dem Titel "Warum liegt hier Stroh? Die Wahrheit !!!!!" spricht er auch über den legendären Porno-Clip. Er sei für die Nebenszenen verantwortlich gewesen, während Molitor den Hauptfilm gemacht hat. Er musste auch auf der Fischfarm drehen, allerdings so weit wie möglich entfernt vom Haupt-Set. Also landet Freddy Dalton zusammen mit dem Mann, den Goldberg in einem Berliner Club entdeckte, irgendwo beim Stromkasten.

"Du hast diesen weiß gefliesten Raum, du hast den Strohhaufen, und einen Stromkasten, und einen Typen mit Maske und eine hübsche Frau in Dessous. Und jetzt kommst du? Welche Story fällt dir da ein!?", fragt Dalton im Video einen Freund. Für ihn ist das, was später Internetgeschichte schreiben sollte, alternativlos. Alles andere außer "Warum liegt hier überhaupt Stroh?", und "warum hast du eine Maske auf?" taugt nicht als Dialog. Sie drehen die Szene.

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Ob vielleicht Freddy Dalton den Mann ohne Maske gesehen hätte? Ja. Hat er. "Ohne Maske eher schüchtern. Mit kam da schon ein bisschen mehr. Da war die Schamgrenze weg und er fühlte sich unbeobachtet", so Dalton im Facebook-Chat mit Motherboard. Doch an ein Gesicht kann oder will er sich nicht erinnern. "Das ist über 16 Jahre her und so wichtig war er in diesem Moment nicht für mich. Darum kann ich mich nicht mehr so viel daran erinnern."

Wo ist der Maskenmann aus dem "Warum liegt hier Stroh?"-Clip heute?

Für Dalton hat die Identität des Darstellers keine Rolle gespielt. Für Goldberg umso mehr. Er hat versprochen, dass er keine Infos über ihn rausgibt. Und daran hält sich der legendäre Porno-Produzent bis heute. Denn der Mann hinter der Maske möchte seinen Namen auf keinen Fall in der Zeitung lesen. Er würde den Maskenmann noch ab und zu in Berliner Swinger-Clubs sehen (ohne Maske). "Er macht sein Ding", sagt Klaus Goldberg über den Mann, der mit einem einzigen Satz Internetgeschichte schrieb.

Kennt ihr Geschichten zu Memes und den Menschen, die dahinter stecken? Kontaktiert hier den Autor dieser Story

Und zu diesem Ding gehört es eben, für immer ein Phantom der Berliner Nacht bleiben zu wollen. Das erzählt uns Klaus Goldberg. Jeder Versuch von uns, einen Kontakt herzustellen, wird von ihm abgeblockt. "Die Geschichte klebt mir wie Scheiße an den Hacken", zitiert Goldberg den Maskenmann in einer Textnachricht.

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Warum Nils Molitor den Stroh-Mythos wohl für sich beanspruchte

Als der Maskenmann den weiß gefliesten Raum betrat, konnte niemand ahnen, welche Folgen der Dreh haben würde. Auch an den Karrieren der Macher klebt die Geschichte. Für Regisseur Nils Molitor sollte der Clip den Rest seiner Karriere überschatten. Er sei eigentlich bekannt für andere Filme, Filme mit Handlung und echten Stars der Szene, erzählte Molitor. Doch er wird vor allem mit einem dadaistischen Sex-Clip in Verbindung gebracht. Für Kameramann Freddy Dalton hingegen steht der Clip für etwas anderes: Für einen geschätzten Kollegen, der seine eigene Kreativ-Leistung für sich beansprucht.

Für Klaus Goldberg ist der Grund dafür klar: "Neid." Molitor wäre neidisch geworden auf den Erfolg von Goldberg, der als großer Porno-Produzent im Fernsehen sitzen durfte. Molitor hingegen erfuhr diesen Ruhm nicht. Laut Goldberg sei das verständlich. Molitor sei eben vor allem ein technisch versierter Filmemacher, aber nicht das kreative Genie, als das er sich gerne selbst darstellt. Goldberg hätte nie nötig gehabt, Molitors Behauptungen richtigzustellen, doch die einstige Freundschaft der beiden Porno-Männer habe einen Knacks bekommen, der bis heute andauert.

Freddy Dalton sieht die Sache etwas anders. Er versteht nicht, warum Nils Molitor den Ruhm für die Stroh-Szene beansprucht, schätzt ihn aber trotzdem: "Für mich war er ein Künstler!", schreibt Dalton im Facebook-Chat. "Alles, was ich gelernt habe über Kamera und Licht, habe ich von Nils! Aber pornografisch war da sicherlich noch Luft nach oben. Das war immer unser Streitpunkt. Kamera super, Licht Weltklasse, aber der Sex war langweilig."

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Trotz der Aussagen seiner ehemaligen Kollegen bleibt Nils Molitor bei seiner Version der Geschichte: "Wer die Kamera gehalten hat, weiß ich nicht mehr. Sicher ist nur, dass ich gesagt habe, was wir drehen. Das war immer so. Die 'Regie' kam von mir.", schreibt er in einer E-Mail an Motherboard. Er könne sich nicht erklären, warum Dalton und Goldberg etwas anderes sagen.


Bei Motherboard: Geheimnisse einer Sex-Autorin


Seine Version der Geschichte erzählte Molitor Motherboard schon vor einigen Monaten im Interview. Er hätte sich auf einen Darsteller mit einem angeblich legendären Penis gefreut, erinnerte sich der Regisseur an die Szene. Doch dann sei der Darsteller überraschend mit Maske aufgetaucht. "Dann machen wir eben richtig Trash", habe er in dieser Situation gesagt, sagte er Motherboard im Oktober 2017: "Du kommst jetzt rein und sagst 'warum liegt denn hier Stroh?'".

Die ganze Wahrheit darüber, wer hinter den Kulissen welchen Anteil an dem legendären Stroh-Clip hatte, werden wir wohl nie erfahren. Genauso wie eine persönliche Antwort auf die wohl legendärste Frage der deutschen Meme-Geschichte: "Warum trägst du eine Maske?"

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