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Anonymer 4Chan-User hat wohl zufällig ein Jahrzehnte altes Mathe-Rätsel geknackt

Er wollte nur herausfinden, wie man am besten eine spezielle Anime-Serie schaut. Doch die Idee eines 4Chan-Users könnte ein Problem der Kombinatorik gelöst haben – Mathematiker sind begeistert.
Links: Screenshot einer Diskussion im anonymen Forum 4chan. Rechts: Frau im Anime-Stil blinzelt in die Kamera und macht Daumen-Hoch-Geste

Gerade feiern Mathematiker einen 4Chan-User ohne Namen. Über die Person ist fast nichts bekannt – außer dass sie offenbar zur Lösung eines Jahrzehnte alten Mathematik-Problems beitragen könnte. Der Nutzer oder die Nutzerin stellte einen Beweis zum Bearbeiten des sogenannten Haruhi-Problems auf, das im Jahr 2011 im anonymen Forum 4Chan diskutiert wurde.

In der breiten Öffentlichkeit ist 4chan vor allem für Hacker-Angriffe oder als Ursprungsort rechter Troll-Kampagnen bekannt, die etwa vor der US-Wahl 2016 massiv für Donald Trump geworben haben. Tatsächlich werden auf 4chan jedoch täglich Zehntausende Kommentare gepostet, von denen sich nur ein geringer Teil mit politischen Themen beschäftigt. Einer der Posts, der sich mit einem popkulturellen und zugleich nerdigen Thema beschäftigt, hat inzwischen auch die offizielle Anerkennung von Forschenden erlangt. "Ich glaube, der Beweis funktioniert im Wesentlichen", schreibt Mathematiker Robin Houston am 23. Oktober auf seinem Twitter-Account. Houston ist Blogger und Mitbegründer des britischen Datenanalyse-Portals kiln.

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Die Geschichte des legendären 4Chan-Beweises begann bereits im September 2011, als ein Nutzer fragte, wie oft er den japanischen Anime Die Melancholie der Haruhi Suzumiya mindestens schauen müsse, um alle 14 Episoden in kürzester Zeit in jeder möglichen Reihenfolge einmal gesehen zu haben. Die Serie handelt von einer Schülerin namens Haruhi, die die Fähigkeit besitzt, ihre Umwelt nach eigenen Wünschen zu verändern.

Erst jetzt haben Mathematiker mitbekommen, dass der Post möglicherweise genial ist.

Bei der Erstausstrahlung im Jahr 2006 erschienen die Episoden in nicht-chronologischer Reihenfolge. Gleichzeitig gab es am Ende jeder Episode zwei Vorschläge, welche Folge man sich als nächstes anschauen sollte: Einen Vorschlag von der Protagonistin Haruhi, einen von Kyon, ihrem Mitschüler, der den Zuschauer als Erzähler durch die Serie führt. Das weckte bei Fans den Wunsch, die Folgen des Anime in unterschiedlicher Reihenfolge zu sehen, um herauszufinden, wie sich die Handlung dadurch verändern würde.

In üblicher 4Chan-Manier entfaltete sich eine Diskussion unter dem Post über mögliche mathematische Lösungsansätze, unterbrochen von Einwürfen wie "WTF are you high? WTF are you talking about?" oder "for fucks sake read the damn thread". Vier Tage später, im September 2011, präsentierte ein Anon, also ein anonymer User, einen neuen Lösungsansatz. Rund sieben Jahre lang stand dieser Lösungsansatz öffentlich im Netz. Erst jetzt haben Mathematiker mitbekommen, dass er möglicherweise genial ist.

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Deshalb lassen Superpermutationen Mathematiker ratlos zurück

Die Mathematik hinter dem Anime-Problem gehört zur Kombinatorik. Laut Robin Houston ist sie "für Amateure und Freizeit-Mathematiker leichter zugänglich”, wie er dem englischsprachigen Online-Magazin The Verge erklärte. Das Anime-Problem lässt sich durch eine sogenannte Superperumutation berechnen. Eine Permutation ist eine Anordnung von beispielsweise Zahlen. Würde man die Ziffern 123 neu anordnen zu 213, dann wäre das eine Permutation. Eine Superpermutation enthält alle möglichen Permutationen einer Zahlenreihe.

Das würde dann so aussehen:
123 (n=3)

Permutation:

Superpermutation:
123121321

Dieses Beispiel führt etwa auch der Mathematik-Fan Greg Egan auf seiner Website aus. Schnell fällt ins Auge: Die Superpermutation ist deutlich kürzer und leichter darzustellen. Sie beinhaltet alle möglichen Permutationen von 123, allerdings nicht nacheinander, sondern in einer Reihe und in verkürzter Form. Sie ist nur 9 Ziffern lang. Je länger die Zahlenreihe, desto länger die Superpermutation. Bei n=5 (also 1,2,3,4,5) ist die kürzeste Superpermutation bereits 153 Ziffern lang.

Bisher kann die Anzahl der Ziffern einer Superpermutation nur bis n=7 präzise bestimmt werden. Für n=8 und alle höheren Zahlen können Mathematiker nur jeweils zwei Grenzwerte berechnen: Die obere und die untere Schranke. Je größerer die untere Schranke und je kleiner die obere Schranke, desto genauer ist das Ergebnis. Im Idealfall stimmen die obere und untere Schranke überein. Dann hat man die exakte Länge der Superpermutation gefunden. Und da kommt der Post bei 4Chan ins Spiel. Denn bei einer Serie mit 14 Folgen lässt sich die untere Schranke der Superpermutation, also der niedrigste Wert von möglichen Kombinationen einer Zahlenreihe, eigentlich nicht präzise bestimmen.

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Um diese Frage trotzdem zu beantworten, postete ein anonymer User von 4Chan einen neuen Beweis, um die untere Schranke zu bestimmen. Es ist offenbar eine untere Schranke mit dem bisher höchsten Wert und demnach auch der höchsten Genauigkeit. Mathematiker beschäftigen sich mit dieser Problematik seit Jahrzehnten. Im Jahr 1993 veröffentlichten etwa Daniel Ashlock und Jenett Tillotson einen Aufsatz über die Herstellung kleiner Superpermutationen. Der 4Chan-Post könnte zu einem Durchbruch in der Kombinatorik beitragen.

Mathematiker nennen anonymen 4Chan-Nutzer als Co-Autoren

Robin Houston arbeitet derzeit zusammen mit Jay Patone und Vince Vatter an einem Aufsatz zu den neuen Erkenntnissen aus dem 4Chan-Post. Die Mathematiker hoffen, ihre Überlegungen zeitnah auf einer wissenschaftlichen Plattform veröffentlichen zu dürfen, wie es auf Houstons Twitter-Kanal heißt. In der Autorenzeile des Entwurfs listen die Mathematiker auch den "Anonymous 4Chan Poster" auf.


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Fragt sich nur: Wie viele Episoden muss man als Fan von Die Melancholie der Haruhi Suzumiya denn nun schauen, um jede mögliche Kombination einmal gesehen zu haben? Der Mathematiker Jay Patone berechnete für The Verge auf Grundlage des 4Chan-Beweises, dass die untere Schranke bei 93.884.313.611, die obere Schranke bei 93.924.230.411 Episoden der Serie liege. Die Berechnung letzterer funktionierte The Verge zufolge mit Hilfe eines ausgefeilteren Algorithmus des australischen Science-Fiction-Autors und Mathematik-Fans Greg Egan, der Anfang Oktober veröffentlicht worden sei.

Die Korrekte Anzahl von Episoden liegt demnach irgendwo zwischen diesen beiden Werten, also deutlich über 93 Milliarden. So oder so ist das eine immense Anzahl von Folgen, die selbst eingefleischte Fans des Anime niemals stemmen werden: Das würde nämlich bei einer Episodenlänge von 24 Minuten mehr als vier Millionen Jahre dauern.

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