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"Gipfel der Polizeigewalt": Neues Portal dokumentiert Übergriffe mit Videos und Fotos

Hat die Polizei beim G 20-Gipfel wirklich so fehlerfrei gearbeitet wie sie gern behauptet? Die neue Website "G 20 Doku" sammelt Augenzeugenberichte und Videos, damit sich jeder selbst ein Bild machen kann.
Foto: Nico Pointner/Twitter

"Die Polizei hat keine großen Fehler gemacht" - mit dieser Prämisse ging der Hamburger Hauptkommissar Joachim Lenders gestern Abend in die G 20-Talkrunde bei Sandra Maischberger in der ARD. Dass er mit dieser Annahme nicht nur in der Sendung auf großen Gegenwind stieß, sondern möglicherweise auch schlicht falsch liegt, könnte eine neue Website dokumentieren. Das Portal "G 20 Doku" will in der hitzigen Debatte rund um Polizeigewalt und mutmaßliche Grundrechtsverletzungen durch deutsche Beamte nüchterne Fakten in Form von Bild- und Tondateien sprechen lassen – in etwa wie das Straftäter-Hinweisportal der Hamburger Polizei, nur öffentlich.

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Denn eine Aufarbeitung der Vorfälle ist dringend notwendig: Auch eine Woche nach den schweren Ausschreitungen bei Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg fliegen die Schuldzuweisungen gerade kreuz und quer durch die deutsche Öffentlichkeit. Hochemotional und kaum noch sachlich wird wahlweise Politikern, Polizisten, Demonstranten oder Randalierern die Verantwortung für den katastrophalen Verlauf des Wochenendes in die Schuhe geschoben.

Viele, die eine Meinung zu den Ereignissen haben, waren dabei nicht vor Ort. Da heute aber im Prinzip jeder dank Smartphone seine Beobachtungen für die Ewigkeit archivieren kann, existiert auf den privaten Speicherkarten dieser Welt jede Menge wertvolles Aufklärungsmaterial in Form von Audio- und Video-Dateien.

"Rechtswidrige Polizeigewalt und Übergriffe auf die Presse kann man nicht mit gewalttätigem oder strafbaren Verhalten anderer rechtfertigen"

Die neue Website G20 Doku möchte dieses Material nun sammeln und veröffentlichen. Die Betreiber werfen der Polizei vor, übermäßig Pfefferspray eingesetzt zu haben, gewalttätig gegen Demonstranten und Journalisten vorgegangen zu sein und letztere bei ihrer Arbeit behindert zu haben.

Sauber in Kategorien eingeteilt, sollen derartige Fälle öffentlichkeitswirksam dokumentiert und diskutiert werden. "Wir fordern eine Untersuchung der Geschehnisse rund um den G20-Gipfel mit parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und hoffen, dass eine Vielzahl von Übergriffen vor Gerichten landet", so die Aktivisten.

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"Es kann nicht sein, dass rechtswidrige Polizeigewalt und Übergriffe auf die Presse mit gewalttätigem oder strafbaren Verhalten anderer gerechtfertigt wird", erklärt uns Lukas, einer der Betreiber von G20 Doku, per Email.

"Wir hoffen, dass eine Vielzahl von Übergriffen vor Gerichten landet"

Er und seine Mitbetreiber seien am G20-Wochenende größtenteils selbst vor Ort gewesen und hätten am eigenen Leib Gewalt durch Polizeibeamte erfahren und diese gegenüber anderen Menschen beobachtet. "Wir sind von dem Ausmaß der Grundrechtsverletzungen und der Gewalt gegen Demonstrierende und die Presse sehr erschrocken", schreibt Lukas in der Email weiter - und das, obwohl er und seine Mitstreiter über "jahrelange Protest- und Protestbeobachtungserfahrung" verfügten. Wieder zuhause, zog das Team die Website "doch recht spontan und mit viel Nachtarbeit" hoch.

"Ob ein Vorfall letztlich rechtswidrig war, müssen natürlich Gerichte entscheiden"

Und so soll mit der Sammlung von Dokumenten mutmaßlich rechtswidriger Übergriffe und Gewaltaktionen von Polizeibeamten gegenüber Demonstranten, Anwälten und Journalisten, auf dem Portal zunächst eine Grundlage für eine spätere rechtliche Beurteilung geschaffen werden: "Ob ein Vorfall letztlich rechtswidrig war, müssen natürlich Gerichte entscheiden", so die Betreiber gegenüber Motherboard.

Jeder kann die Plattform über ein Web-Formular oder eine zentrale Email-Adresse kontaktieren - wahlweise auch anonym. Bisher seien rund 150 Einsendungen gekommen, "von denen manche nur Ergänzungen zu existierendem Material sind." Die Website sorgt automatisch dafür, dass jede Verbindung nur über das sichere https-Protokoll hergestellt wird.

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Lukas und sein Team rufen dabei auch ausdrücklich dazu auf, nicht nur selbst aufgenommene Material einzureichen, sondern gezielt die Unmengen an Medien zu sichten, die bereits im Netz zirkulieren: "Ladet Euch die Videos aus Fernsehdokumentationen herunter und ladet diese auf Youtube/Vimeo hoch. Hintergrund ist, dass viele Fernsehberichte nach ein paar Tagen depubliziert werden und dann verschwinden", heißt es auf der Website dazu.

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Allein von derartigem Material gebe es schon so viel, dass die Redaktion von "G20 Doku" bisher noch nicht dazugekommen ist, Fälle zu überprüfen, von denen bisher keine Videos oder Fotos existieren. "Wir haben noch jede Menge Augenzeugenberichte und Tweets von Polizeigewalt in der Sammlung, die aber keine Videos/Bilder enthalten. Diese gehen wir an, wenn wir das besser dokumentierte Material im Griff haben", so Lukas.

Bei unklaren Fällen setze die Redaktion gezielt auf die Mithilfe der Internetnutzer, gehe aber auch selbst in den sozialen Medien auf die Suche nach Informationen, die dabei helfen können, Ort und Zeit bestimmter Vorfälle zu verifizieren. "Sind zu wenige Informationen da oder sind die Infos nicht plausibel, entscheiden wir uns gegen eine Veröffentlichung", erklären die Betreiber des Portals.

Auch die Polizei Hamburg setzt derweil auf die Mithilfe der Crowd bei der Aufklärung der Ereignisse rund um den G20-Gipfel: Auf einem eigens eingerichteten Hinweisportal können Bürger Bild- und Videohinweise einreichen. Die Polizei hofft so, begangene Straftaten schneller aufklären zu können.