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Warum Facebook-Medizinmänner ihre Kinder mit Chlorbleiche-Einläufen vergiften

Fatale Wissenschaftsskepsis in der Facebook-Feedbackschleife: In geschlossenen Gruppen feuern sich Anhänger von MMS an, ihren Kindern mit der ätzenden Industriechemikalie den Autismus auszuspülen.
Eine vielversprechende Aufstellung präsentiert die Segen der MMS-Reserven in der Facebookgruppe Jim Humble Fanclub.

Update: Am 26.2.2014 hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bekannt gegeben, dass zwei umstrittene Produkte namens MMS und MMS2 der Firma Luxusline fortan zulassungspflichtig sind und als bedenklich eingestuft werden.

Wer braucht schon wissenschaftliche Forschung oder gesunden Menschenverstand, wenn er sich seine Gesundheitstipps auch auf Facebook zusammenreimen kann? In Gruppen wie „MMS-Einläufe nach Dr. Klinghardt & Dr. Kalcker" vernetzen sich Hobby-Medizinmänner, die sich gegenseitig mit Selbstversuchen an sich und ihren Kindern beweisen wollen, dass ein simples Chlorbleiche-Mittelchen wahrhaft fantastische Heilkräfte besitzt: Es soll durch Einläufe nicht nur Autismus ausspülen, sondern auch wahlweise Malaria, Krebs, AIDS oder ADHS heilen können.

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Die Anhänger von MMS sind so überzeugt von ihrem Wundermittel, dass sie den teilweise kulthaft verehrten Anbietern nicht nur seit Jahren überraschend große Summen in den Rachen werfen, sondern, dass einige von ihnen MMS bereits einem ganzen nichts ahnenden ugandischen Dorf verabreicht haben. Social-Media-Medizinmänner auf neokolonialer Mission—nur stilecht mit dem folgenden YouTube-Beweis der Malaria-Wunderheilung.

Erbrechen, Kopfschmerzen und Darmschädigungen sind die erwünschten Nebenwirkungen.

In Deutschland ist das Problem zwar zahlreichen unterschiedlichen Giftnotrufen bekannt, doch auch wenn Jugendämter immer wieder einschreiten müssen, kann systematisch nicht gegen die Mittel vorgegangen werden.

Es reichen einige Wochen in den rege frequentierten deutschen Facebook-Gruppen, um zu sehen, dass die Möglichkeiten des Social-Media-Zeitalters, in denen jeder seine Bilder in den Äther senden kann, nun wahrlich kein Segen sind. MMS ist keine harmlose Naturheilung, sondern leider nur allzu häufig Körperverletzung an Schutzbefohlenen.

Nun gibt es Strömungen in der alternativen Medizin, die harmlos sind und niemandem weh tun. Es gibt Menschen, die schwören auf Kinesiologie, das Besprechen von Warzen, Engel oder Reiki. Die MMS-Bewegung jedoch hat alle Zutaten verschwörerischer Scharlatanerie: Verzweifelte Menschen, die nach einer Heilung suchen, einen gemeinsamen und als übermächtig wahrgenommenen Sündenbock in Gestalt der Pharmaindustrie, einen schwammigen, verschwörungstheoretischen Hintergrund und einen Heilsbringer mit dem geldwerten Versprechen, mehr oder weniger alle Krankheiten mit einer einzigen Lösung verschwinden lassen zu können.

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Auf Amazon gibt es 100 ml für 20 Euro — beworben als „Desinfektionsmittel."

Wie es die Überlieferung will, entdeckte der Texaner Jim Humble im Regenwald von Guyana das magische MMS-Mittel. Nachdem er ein Vierteljahrhundert für Scientology hauptberuflich als Goldgräber in Südamerika tätig war, stieß er auf das neue Allheilmittel, mit dem er nach eigenen Angaben umgehend 4.000 Menschen von Malaria befreite. Fortan machte er sich auf, die frohe Kunde in die Welt zu tragen, und sie dabei auf formschönen Schaubildern idiotensicher zu erklären.

In diesen Tagen erscheint Humble mit einem türkisen Edelstein auf seinem Rancherhut, um seiner eigenmächtigen Beförderung zum Erzbischof der Genesis Church II - Church of Health and Healing ein wenig mehr Mystizismus zu verleihen.

Für die Bilanzen des selbsternannten Erzbischofs dürfte MMS schon jetzt Wunder wirken. Weltweit verkauft er neben abenteuerlich schlecht geschriebenen E-Books lizensierte Seminare für 500 bis 1000 Euro, nach deren Teilnahme du auch selbst teure Anwendungsseminare anbieten kannst (auf denen nicht viel mehr gelehrt wird, als dass MMS bei jedem Leiden anzuwenden ist, äußerlich, inhaliert, als Nasenspray, Mundspülung oder Einlauf).

In Deutschland gibt beispielsweise Ali Erhan die umstrittene Lehre weiter, der nach einem Bericht des ARD-Magazins Kontraste jedoch alle weiteren Seminare in diesem Jahr gestrichen hat.

Und so stochern auf Facebook und Youtube tausende Eltern gemeinsam im Kot ihrer autistischen Kinder herum, die sie täglich mit Chlorbleiche-Einläufen traktieren. Was sie finden, erklären sie zu toten Würmern, die angeblich autistische Symptome auslösen. In Wirklichkeit sind es verätzte Gewebefetzen aus den Därmen ihres Nachwuses. Und wenn die Kinder nach der „Behandlung" weinerlicher werden? Dann war die Dosierung zu schwach, und die Eltern versichern sich gegenseitig, dass mehr Einläufe wohl das Beste für die Gesundheit wären.

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Allein die Facebook-Gruppe „MMS (nach Jim Humble) & alternative Heilmethoden" hat 16.200 Mitglieder, die jede Woche zahllose langatmige Erfahrungsberichte und dutzende Bilder hochladen. Es ist die Basis einer Lobby für ein ultimatives Heilmittel, dass sich hier all jene selbst verschreiben, die den Kampf gegen die angebliche Pharma-Verschwörung gerne an ihrem eigenen Körper austragen—oder am Körper ihrer Kinder.

Die Abkürzung MMS steht für Miracle Mineral Supplement oder Master Mineral Solution. Ihr Hauptbestandteil ist 28%iges Natriumchlorit, gelöst in Wasser—nicht zu verwechseln mit Natriumchlorid (das wäre Kochsalzlösung). Natriumchlorit ist ein Bleich- und Desinfektionsmittel. Schon eine 25%ige Lösung ist giftig. Bei Kontakt mit Säure reagiert das Ganze zu Chlordioxid—eine brandfördernde, ätzende, giftige, umweltschädigende Chemikalie. Sie reizt die Atemwege, die Augen, schädigt das Blut und die Magenschleimhaut. Und genau so, in Kombination mit der Säure, soll man MMS einnehmen.

Die Beraterin vom Giftnotruf Berlin weiß sofort, was ich meine, als ich sie nach möglichen Gefahren von MMS frage. „Das ist doch Bleiche! Damit kann man Pools putzen oder Jeans entfärben, aber die Einnahme würde ich ganz sicher nicht empfehlen."

Wir heilen in Afrika und anderen „Ländern".

Sie erzählte, der Giftnotruf Berlin hätte es immer mal wieder mit Anrufern zu tun, die nach der Einnahme unter heftigen Lungenproblemen, Schwindel und gestörten Blutfunktionen litten. Der erste Fall in ihrer Datenbank stammt schon aus dem Jahr 2009. „MMS schädigt die Darmwand. In manchen Fällen wurden auch die Dämpfe der Chemikalie absichtlich inhaliert, das führt zu Luftknappheit," erzählt sie. Eine Frau ist daran bereits gestorben.

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Bei uns in Deutschland, in anderen europäischen Ländern und in den USA ist MMS als Arzneimittel und als Nahrungsergänzungsmittel folglich verboten, doch die Kontrollen sind eher mäßig. Daher ist das Mittelchen, wie hier zum Beispiel das Deluxe-Supplement in einem Eso-Laden in Berlin-Kreuzberg, mit einer netten, unschuldigen Beratung und Einnahmeempfehlung bei unwissenden Verkäufern erhältlich:

Links Chlordioxid als Wasserdesinfektion, rechts daneben MMS Gold, das die „gelösten Gifte" von MMS besser binden soll. Bild: Violet Dirksen

Ja, unsere moderne Welt ist komplex, unübersichtlich und voller Informationen, die es gilt, auf ihre Gültigkeit und Relevanz hin zu selektieren. Das ist wunderbar und schwierig und manchmal kann ein bisschen digitaler Austausch dabei nicht schaden. Aber die wohlige Wärme der Schwarmintelligenz ermutigt nicht nur selbsternannte „Systemkritiker", ihre neurechten Thesen von Deutschland als besetztem Land in mit unangenehmer Vehemenz in sozialen Netzwerken kundzutun, sondern bringt auch Facebook-Gruppen voller Amateur-Schamanen hervor.

Verschrieben in der Facebook-Feedbackschleife

Sie sind ein kruder Haufen mehr oder weniger leichtgläubiger Menschen, die ein fundamentales Misstrauen gegenüber der Wissenschaft, das Gefühl, zu kurz zu kommen und ihr felsenfester Glauben an jegliche alternativen Heilmethoden vereint. Solche inneren Widerstände oder Kulte gab es natürlich auch vor dem Internet, aber die Vehemenz, mit der sich MMS-Jünger in sozialen Netzwerken stetig weiter selbst in dem Glauben an ihre Wohnzimmer-Medizin bestärken, ist für aussenstehende Beobachter nur schwer erträglich:

Ab 1. Jan. MMS oral ca. 4 x tgl. 3 aktivierte Tropfen.
Ab 2. Jan. 2014 mit Fasten begonnen und weiter MMS mengenmäßig wie ich es vertrug. Hatte vor das 1000 der Protokoll zu machen, war aber schwierig mit der Zeiteinteilung.
Am 4. Jan. Fastenunterstützung durch MMS-Einlauf - erst 1 Ltr. zum Spülen mit abgekochtem Wasser, dann mind. 1 Ltr. MMS-Einlauf bis das Spülwasser fast vollständig klar war hierbei ca. 10 Tropfen auf 1 Ltr. abgekochtes Wasser. Mehrmals gespült, weil ich das auch nicht so lange halten kann. 1 größerer Wurm bei diesem 1. Einlauf. Danach ging es rund und ich erlebte Hitchcock. Würde keinem empfehlen mir das so nachzumachen, wie ich sie austreiben wollte. Lieber behutsamer, denn wenn es den Würmern unbehaglich an ihrem Platz wird, dann flüchten sie und suchen sich anders wo Plätze und werden recht unruhig. - Geht es dem Wurm gut, geht es dem Menschen gut ;-)

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Heute … erste auffällige Ausscheidung meines Sohnes (die manche Leute sicherlich nur für Darmschleimhaut halten würden) … der Ammoniak-Test ergibt ein hochtoxisches Ergebnis.

Eine Mutter über ihren 17-jährigen Sohn:
Die Ernährung war seit einem Jahr eh schon auf Gluten- und Caseinfrei umgestellt und auf rein natürliche Zutaten beschränkt. Unser Erfolgs-Programm der letzten 10 Wochen: tgl. MMS rektal 15 Tr./1,5l Wasser, bioenergetische Besendung, hochdosiert Propolis, Moringa, Zeobent oral / rektal und GAPS-Diät.

Dabei verdient übrigens auch Amazon als Bezugsquelle mit—dort wird die Chlorbleiche im Doppelpack mit Salzsäure als „Aktivator" für den Schnäppchenpreis von rund zwanzig Euro pro 100 ml als angebliches Desinfektionsmittel verscherbelt.

„Es ist kein Medikament. Das heißt, weder die Wirksamkeit noch die Verträglichkeit sind geprüft oder bewiesen", sagt Prof. Ralf Stahlmann vom Institut für klinische Pharmakologie und Toxikologie an der Charité Berlin.

Die Folgen der Einnahme sind Durchfall, Erbrechen, Kopfschmerzen, Nierenversagen, Darmschädigung und Blutdruckabfall. Aber das sei normal, ja sogar vorgesehen, lehren Jim Humble und seine Jünger. In den Facebookgruppen gibt es für diesen Fall Zuspruch:

„Wenn die Einnahme von MMS zu Unwohlsein führt, dann ist das immer ein gutes Zeichen (…) Ich glaube, dass dieser Ekel eine Abwehrreaktion der zahlreichen Mikroorganismen im Körper ist, die abgetötet werden."

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Die haarsträubenden Tipps und Tricks der deutschen MMS-Anhänger werden dabei leider gerne auch für die eigenen Kinder empfohlen und an ihnen vollzogen. Hier ist noch einer der harmloseren:

„Alle 15 min ein paar Tropfen in die Nase… hat bei unserem 5-jährigen nach drei Abenden Anwendung das Schnarchen weggezaubert ;)"

Eigentlich ist die Lage klar: Es gibt keinen einzigen Beleg für die Wirksamkeit von MMS und auch keine Zulassung als Medikament. Das Argument: Da man natürliche Heilmethoden nicht patentieren könnte, würde MMS von der Pharmaindustrie unterdrückt werden. Dass die Verkäufer von MMS eine Gewinnspanne von bis zu 10 000 Prozent pro Flasche einbehalten, wie eine kanadische Kritikerseite errechnet hat, scheint kein Widerspruch zu sein.

Wer Gegenargumente vorträgt, steckt mit „denen da oben"—einem profitgetriebenem, erbarmungslosen Konglomerat aus Pharmakonzernen, den „gleichgeschalteten Medien" (an vorderster Front: der öffentlich-rechtliche Rundfunk) und dem Gesetzgeber—unter einer Decke.

Nun warnen sich die Mitglieder in den geschlossenen Facebookgruppen vor „denunzierenden Trollen", die die Jugendämter wie in Monheim auf Kindesmisshandlung aufmerksam gemacht haben—wenn sie nicht gerade Nebenwirkungen diskutieren:

Hallo habe über eine Woche MMS eingenommen und gestern Abend hatte ich Kopfschmerzen so schlimm dass ich mich übergeben musste, dazu kam noch Durchfall, Bauchschmerzen und Schüttelfrost am ganzen Körper. Mir war von allem schwindelig, fast die ganze Nacht auf der Toilette verbracht, ist das normal?

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Aber die Community weiß Rat (zwar nicht in Sachen Rechtschreibung, aber immerhin medizinisch)—Durchhalten!

das ist das Gift von den Parasiten vll. Leber überfordert.

Das Woodstock der Impfgegner

Es geht nicht mehr schlimmer? Doch: Bei der Autism One, quasi dem Woodstock für Impfgegner, wird das Mittelchen zum Einlauf angepriesen, um frühkindlichen Autismus wegzubleichen—beziehungsweise, um die „Parasiten" auszulöschen. Denn der Auslöser für autistische Verhaltensweisen sei ein besonders hartnäckiger Wurmbefall, ausgelöst durch die sowieso unnötige Masern-Mumps-Röteln-Impfung. In Foren für Angehörige autistischer Kinder setzen MMS-Anhänger andere Eltern massiv unter Druck, das Allheilmittel endlich zu testen.

Zum „Beweis" der Wirksamkeit posten überzeugte Eltern unzählige Videos von angeblichen Würmern, die aus den Därmen der Kinder herausgespült wurden, um ihre Heilungserfolge zu demonstrieren. Ärzte erkennen allerdings ziemlich schnell, dass es sich keineswegs um Parasiten handelt. Es sind Gewebestückchen aus den inneren Organen der Kinder.

Heilsversprechen in Mexiko-City

Hinter dieser eigentümlichen Logik steckt die Ärztin Dr. Kerri Rivera aus Puerto Vallarta, Mexiko, die in ihrer Privatklinik angeblich 38 Kinder in 20 Monaten vom Autismus geheilt hat. Ihre Methode sind großzügige Einläufe mit MMS zur Entwurmung—appliziert möglichst mehrmals täglich über ein ganzes Jahr. In einem ausführlichen Konferenzvideo sollen überforderte Eltern lernen, wie sie ihr Kind mit der Chlorbleiche zurück in die Normalität befördern können.

Ein hochkomplizierter Vorgang, der allerdings durch den Kauf von Riveras Buch „Autismus heilen" angeblich leichter nachvollziehbar wird. Im Video gibt es nach Dr. Riveras Rede das bewährte Bühnenprogramm des US-amerikanischen Fernsehpredigertums: Ein etwa zehnjähriges Mädchen wird ans Pult gebeten, das mit zitternder Stimme von ihrem schrecklichen Verhalten aus der Prä-MMS-Ära erzählt, bevor sie schluchzend die Ärztin umarmt: „Ich bin geheilt! Endlich kann ich Mami wieder anlächeln!" Emotionen statt Fakten—es funktioniert immer wieder.

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Emotionen statt Fakten—es funktioniert immer wieder.

Autismus-Selbsthilfegruppen kämpfen entsetzt gegen die MMS-Bewegung an. Doch selbst die Chicago Tribune fiel auf die Autismus ist heilbar-Narrative herein und schrieb einen lobpreisenden Artikel über eine bald stattfindende Fachkonferenz von angeblich renommierten Experten, die vorgaben, 120 Kinder geheilt zu haben.

Auf dem Cover des Buchs „MMS: Der Durchbruch" sehen wir den milde lächelnden „Archbishop of the Genesis II Church of Health and Healing" Jim Humble, der diverse Ingredienzen zusammenpanscht, um sie unbedarften afrikanischen Kindern einzuflößen. Dabei könnte er die Chlorbleiche durchaus nutzen, um die hartnäckigen Flecken auf dem auberginefarbenen Shirt des unsicher lächelnden Jungen ein für alle Mal loszuwerden.

MMS-Versuche in Uganda

Leider blieb es nicht bei dieser rührseligen Fotomontage. Der Jim Humble Verlag schreibt auf Facebook gönnerhaft: „Die Verlagseinnahmen ermöglichen uns, viele Projekte in Afrika und anderen Ländern (sic!) realisieren zu können." Wie durchschlagend das funktioniert, davon soll ein Video zeugen, das einen Menschenversuch im ugandischen Luuka District im Dezember 2012 dokumentiert. In diesem sollen angeblich 100% der freiwilligen Patienten binnen 24 Stunden von Malaria geheilt worden sein, nachdem sie—Alte, Kranke, Kinder—Chlordioxidlösung tranken. Zu der „kostenlosen" Behandlung wurden sie per Radio aufgerufen.

Doch die „bahnbrechenden" Ergebnisse sind verschwunden, Augenzeugen behaupten nun, es sei gar kein Arzt vor Ort gewesen, der das Blut der angeblich Spontangeheilten untersucht hätte. Ein mittlerweile gelöschter Erfahrungsbericht einer Freiwilligenarbeiterin an der Feldklinik berichtet von Erbrechen und Krämpfen der bereits geschwächten Testpersonen nach der Einnahme: Manche „lagen für Stunden auf dem Boden und konnten sich nicht rühren", heisst es darin.

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Anscheinend wurden die ugandischen Gesundheitsbehörden und das lokale Rote Kreuz getäuscht: Ihnen wurde erzählt, es handelte sich um einen Feldversuch mit gereinigtem Wasser in Zusammenarbeit mit der dubiosen NGO Water Reference Center von den Seychellen. Es ist nicht abschließend zu klären, was genau in Uganda vorging.

Nicht nur die erwähnte NGO, auch das Internationale Rote Kreuz distanzierte sich sofort empört von den Versuchen und der Behauptung, MMS wäre ein Allheilmittel für Malaria. Während MMS-Anhänger dem Roten Kreuz „Genozid aus Profitgier" vorwerfen, werden die Menschen aus dem Luuka District wohl nie eine Entschädigung sehen.

Chlorbleiche-Überwachung unmöglich

Sowohl das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als auch das Bundesinstitut für Risikobewertung warnten schon vor Jahren vor der Einnahme von MMS. Doch da Chlorbleiche kein Medikament ist und so keine Zulassung nötig ist, kann der Verkauf der Chemikalie (zu anderen Zwecken) nicht überwacht werden.

Ich weiß nicht mal, an welches Referat ich Sie da verweisen soll. Heilmittelwerbung? Arzneimittelaufsicht?

Was in der einen Stadt wie Monheim schon lange bekannt ist, und das Jugendamt zur schnellen Reaktion zwingt, ist in anderen Städten nahezu unbekannt. Als das ARD-Magazin Kontraste das Gesundheitsministerium darauf ansprach, wurde das Fernseh-Team mit einem schlichten Verweis auf die Länderzuständigkeit abgewiegelt. Und auch im Landesgesundheitsamt Berlin entgegnet man verwirrt: „Nie gehört, ich weiß nicht mal, an welches Referat ich Sie da verweisen soll. Heilmittelwerbung? Arzneimittelaufsicht?"

Die Behörden müssten sich länderübergreifend vernetzen, damit nicht jedes Bezirksjugendamt mit der Recherche ganz von anfangen müsste und bei entsprechenden Hinweisen auf Kindesmisshandlung reagieren kann.

Doch es scheint, als sei Humble auf derlei Unwegsamkeiten bereits vorbereitet. Fallen seine Methoden in Ungnade, zieht die Kirche wie ein Wanderzirkus einfach weiter ins nächste Land, um die Geschichten von der Heilung sämtlicher Krankheiten neu aufzurollen. Aktuell gibt es so zum Beispiel Seminare in Neuseeland. Dort wird er erzählen, dass Ebola dank MMS auch schon längst eliminiert sei.

Für die Zukunft hat der erfindungsreiche Jim Humble noch weitere vielversprechende Projekte im Ärmel, zum Beispiel die geniale Idee, radioaktiven Müll zu Gold zu alchimieren.

Oder wie wäre es mit einer Krebstherapie durch eine hochgefährliche schwarze Salbe, die angeblich Tumore „aus dem Körper zieht" und so furchtbare Wunden verursacht, dass ich euch die Details lieber erspare.

Humbles letzte humanitäre Meisterleistung bestand darin, dass er angeblich 200 weiteren Waisenkindern in Uganda als Behandlung die Bleiche zu trinken gab. Eine Dokumentation gab es natürlich nicht zu sehen, sonst hätten die Behörden davon Wind gekriegt. Wohl aber ließ er das Ergebnis seiner Feldstudie über seinen deutschen Verlag auf Facebook verkünden: „Und wieder geschafft".

Angesichts all der allzu fantastischen Verkündungen wäre es eigentlich schön, wenn Humble auch einmal eine klare Wahrheit äußern würde; zum Beispiel, dass es keinerlei Beweise für die Heilung eines Malaria- oder Autismuspatienten durch MMS gibt. Das nötige Kleingold für eine angemessene Entschädigung seiner Versuchskaninchen in Uganda kann er sich ja sicher selbst alchimieren.