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Das ist der deutsche Strippenzieher hinter dem weltweiten eSport-Boom

Selbst routinierten Gamern dürfte der Name Ralf Reichert nichts sagen: Dabei verdient der Rheinländer mit seinem eSport-Imperium inzwischen Millionen. Gerade läuft mit der ESL One Cologne eines seiner wichtigsten Events.
Ralf Reichelt bei der Republica 2018 | Bild: Screenshot | YouTube | re:publica

Es war im Jahr 2001, als ein 26-Jähriger bei einem U2-Konzert beschloss, den eSport zu revolutionieren. Diesen Deutschen kannte hierzulande kaum jemand, auch international war er höchstens einer Handvoll Nerds und Zockern ein Begriff. Sein Name: Ralf Reichert, von Beruf damals: eSportler. Während Bono auf der Bühne der Kölnarena sang, schaute sich Reichert in der größten Multifunktionshalle Deutschlands um. "Da habe ich mir überlegt: Sowas mit eSport zu füllen, das wäre mal fett", wird er anderthalb Jahrzehnte später sagen.

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Es hat fast fünfzehn Jahre gedauert, bis es das erste Mal soweit war, aber fett ist es geworden: Seit 2015 strömen jährlich rund 18.000 "Counter Strike"-Fans aus der ganzen Welt zur "ESL One" nach Köln – in die Arena, in der Reichert Bono gesehen hat. Seitdem ist aus dem 26-Jährigen mit großen Träumen einer der einflussreichsten Unternehmer im eSport geworden. Gerade findet mit der fünften Kölner Ausgabe der "ESL One" eine seiner wichtigsten deutschen Veranstaltungen statt. Eine erstaunliche Karriere, wenn man bedenkt, dass das große Geschäft im eSport eigentlich in den USA, China oder Südkorea gemacht wird.

So wurde Reichert vom Zocker zum eSport-Funktionär

Die Geschichte von Reicherts Erfolg beginnt in den 90er-Jahren: Damals gab es keine Ligasysteme, die von Spieleentwicklern aufgebaut wurden, also nahmen Zocker und Enthusiasten, die sich einfach miteinander messen wollten, den Aufbau eines Ligasystems selbst in die Hand. Mit dabei: Reichert, der zusammen mit seinen Brüdern und Kumpels 1997 in Oberhausen das eSport-Team SK Gaming gründete und dann Schritt für Schritt vom Spieler zum eSport-Funktionär wurde.

Damit blickt Reichert auf eine der längsten Karrieren im eSport zurück, denn meist verabschieden sich professionelle Gamer mit Mitte 20 aus der Szene. Der Grund: Ab diesem Alter sind die Reflexe oft zu schlecht für Spitzenleistungen, und nicht jeder fasst als Berater, Kommentator oder Funktionär Fuß in der Branche. Aus einer unabhängigen nationalen Liga, der Deutschen Clanliga, entwickelte er im Jahr 2000 die Electronic Sports League, kurz ESL, und baute sie zur internationalen Marke auf. Die ESL wurde sozusagen zur FIFA des eSports.

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Denn eine Eigenheit des eSport macht sich die ESL zunutze: die Schnelllebigkeit der Branche. Was in einem Jahr das erfolgreichste Spiel ist, kann wenig später schon ein verblasster Trend sein. Das lehrt die kurze Geschichte des eSports: "Starcraft II", im Jahr 2010 als eSport-Spiel entwickelt, hat zwar nach wie vor eine treue Fanbase. Doch schon kurze Zeit später wurde das "Multiplayer Online Battle Arena"-Genre (MOBA) zum Publikumsmagneten: "Dota 2" und "League of Legends" setzten Maßstäbe, was Einschaltquoten und Preisgelder angeht.

Und auch das wird sich wohl ändern: Einiges deutet darauf hin, dass der neue Hype im eSport-"Battle Royale" wird – mit Spielen wie "Fortnite" und "Players Unknown Battleground". Egal also, welches Spiel gerade im Trend liegt: Reichert kann mit der ESL schnell eine Marke und eine Ligastruktur anbieten, die die meisten Gamer kennen.

Warum Reichert nicht der Bernie Ecclestone des eSport ist

Reichert wird von Medien wie FAZ und Bild mit Bernie Ecclestone, dem Formel-1-Boss, verglichen. Der Vergleich hinkt, denn weder kommt er an die Exzentrik des Briten heran, noch versucht er diesen Nimbus aufzubauen. Auf Veranstaltungen ist er nahbar, häufig leger im faltigen Freizeithemd. So auch auf der diesjährigen Republica, als Reichert mit dem Marketingchef von Mercedes zwei Runden "Fortnite" spielte und dabei laut über die Zukunft des eSport nachdachte. Er führt sein eSport-Imperium wie ein deutscher Mittelständler einen Weltmarktführer lenken würde.

Wobei es streng genommen nicht "sein" Imperium ist. Zwar leitet Reichert weiterhin die Kölner Firma Turtle Entertainment, die er gegründet hat, und die die Marke ESL vertreibt und Turniere organisiert. Allerdings kaufte das schwedische Unternehmen MTG im Jahr 2015 volle 74 Prozent der Anteile, was den Eigentümern 78 Millionen Euro einbrachte. Der Umsatz von Turtle Entertainment steigt derweil jährlich, der zuletzt veröffentlichte Jahresbericht von 2016 zeigte eine Umsatzsteigerung von über 30 Prozent auf über 35 Millionen Euro auf.

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"Alles, was wir vom Fußball kennen wird es beim eSport auch geben."

In diesen Berichten erfährt man auch einiges über die Säulen, auf denen das Unternehmen steht: Zum einen werden "Werbeangebote und Dienstleistungen im Zusammenhang mit eSport" an finanzkräftige Kunden aus der IT– und Videospielbranche verkauft, worunter auch die Organisation von Turnieren wie der "ESL One" fallen dürfte. Zum anderen kommen die Erlöse aus der Vergabe von Lizenzrechten und Video-Werbeplätzen. Die Livestreams der ESL-Turniere werden immerhin jährlich von Millionen Menschen gesehen, attraktive Werbeslots für Sponsoren.

Der eSport will so groß werden wie Fußball

Mit den Jahren ist das Unternehmen hinter der ESL gewachsen: Es hält Beteiligungen an 17 Tochterunternehmen auf der ganzen Welt, von den USA über China bis nach Australien. Auch das Spektrum an Spielen ist größer geworden, derzeit bietet die ESL Ligen für 51 Spiele an, darunter auch kleine Turniere, in denen Amateurspieler nicht um Preisgelder, sondern In-Game-Belohnungen zocken.


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Mit solchen kleinen Turnieren hat schließlich alles angefangen, es gibt sie immer noch. Aber es gibt eben auch das andere Extrem, wie die riesige "ESL One" in Köln. Für das nächste Ziel hat Reichert klare Vorstellungen: "Der Fußball ist schon unser Vorbild", sagt er im Gespräch mit Motherboard. "Alles, was wir vom Fußball kennen wird es beim eSport auch geben."

Ob das nun eigene Großveranstaltungen von bisher ungeahnter Größe sein werden, Stichwort: Weltmeisterschaft, oder gar der Anschluss des eSports an die Olympischen Spiele, wovon einige in Branche träumen – eines dürfte sicher sein: Ralf Reichert wird auch hier seine Finger im Spiel haben.

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