Der Mann mit der Augenhöhlen-Cam: Auf dem Weg zum "Eyeborg"
Bild: Rob Spence

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Der Mann mit der Augenhöhlen-Cam: Auf dem Weg zum "Eyeborg"

Statt eines Glasauges trägt der Filmemacher eine winzige Kamera in der Augenhöhle. In Futuristen-Kreisen ist er damit ein Star, doch seine Cyborg-Prothese kommt nicht bei allen Menschen gut an.

Mai 2017, Rob Spence sitzt in einem Restaurant in Toronto. Die Szene, die sich gleich abspielen wird, kennt der 44-jährige Filmemacher nur zu gut: Er sitzt mit seiner Frau und seinem Schwager am Tisch, doch als die Kellnerin sich Spence zuwendet, um seine Bestellung aufzunehmen, schafft sie es nicht, ihm ins Gesicht zu sehen. Denn was ihr entgegenblickt, ist ein leuchtend rotes Auge, ganz ähnlich wie bei Arnold Schwarzenegger in den Terminator-Filmen.

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Die Kellnerin versucht krampfhaft, Spence nicht mehr direkt anzusehen oder sein ungewöhnliches Auge zu kommentieren. "Was darf es für Sie sein?", bringt sie noch heraus.

Der Filmemacher, der sich selbst als "Eyeborg" bezeichnet. Bild: Rob Spence

Was die erschrockene Dame zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Mit der Kamera in seiner Augenhöhle hat Spence die kurze Begegnung gefilmt. Schließlich will er seinen Begleitern sein Cyborg-Auge demonstrieren. Das erzählt mir der Filmemacher während eines Interviews in Toronto, wenige Tage vor der FutureWorld, einer Konferenz für Robotik und hochentwickelte Prothesen, die am 10. Juni an der OCAD University stattfand.

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"In Toronto sind die Menschen sehr höflich und wollen mich nicht auf mein Auge ansprechen. In Brasilien hingegen haben die Menschen offen den Kontakt zu mir gesucht."

Tragbare Gadgets, die das Gegenüber des Trägers aufzeichnen können, rufen bei vielen Menschen Sicherheitsbedenken hervor. Spence meint jedoch, dass sein Projekt nicht mit Geräten wie GoogleGlass vergleichbar sei, da er seine Kamera nur für kurze Zeit verwenden kann und andere am roten LED-Licht in seinem Augen erkennen können, dass er gerade aufnimmt. Trotzdem reagiert er defensiv, wenn man ihn nach den ethischen Grenzen fragt, wenn es darum geht, Menschen ohne ihre Erlaubnis zu filmen – was er ja nun mal tut.

"Hier geraten mein Recht darauf, mein zerstörtes Auge durch eine Prothese zu ersetzen, und das Recht von anderen auf ihre Privatsphäre in Konflikt", sagt er. "Darf ich etwa meinen eigenen Körper nicht mit einer Augen-Kamera ausstatten?"

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So sieht das Kamera-Auge aus. Bild: Rob Spence

Spence, der im kanadischen Coburg lebt, bezeichnet sich selbst in Anspielung auf den Terminus Cyborg gerne als "Eyeborg". Da der Filmemacher seit einem Schießunfall in seiner Kindheit auf dem rechten Auge blind ist, kam er auf die Idee, sein Auge nicht durch ein Glasauge, sondern durch eine winzige Kamera zu ersetzen, mit der er seine Umgebung filmen kann.

Die Kamera trägt er jedoch nicht immer. Das Gerät kann maximal 30 Minuten lang aufnehmen, bevor der Akku leer ist. Während des Interviews trägt Spence beispielsweise eine Augenklappe und so tritt er auch während seines Vortrags auf der Futuristen-Konferenz auf. Erst zum Ende des Vortrags hin nimmt er die Augenklappe ab und setzte sich seine kleine Spezialkamera ein.

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Das Publikum staunt nicht schlecht, als Spence ihnen die Funktion seines Cyborg-Auges demonstriert und sich die Leute plötzlich selbst auf dem Bildschirm auf der Bühne sehen können. Über einen winzigen Transmitter sendet sein Kamera-Auge analoge Signale. Die Aufnahmen können auf einen Bildschirm, wie beispielsweise einem Baby-Monitor oder einem Fernseher, übertragen werden.

Die kleine Kamera im Größenvergleich. Bild: Rob Spence

"Das reicht aus, um bei Cyborg-Konferenzen Spaß zu haben", erklärt Spence lachend. Sowohl in unserem Interview als auch auf der FutureWorld-Bühne legt er viel Sinn für Humor an den Tag. Er erklärt mir, dass er seine Behinderung nicht allzu ernst nimmt.

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Wie Spence zum "Eyeborg" wurde

Spence war nicht immer auf einem Auge blind: Sein Leben änderte sich für immer, als er als Neunjähriger seinen Großvater in Irland besuchte. Dort spielte er mit einer Schrotflinte herum und zielte auf einen Kuhmisthaufen.

"Ich drückte meinen Kopf an die Flinte, so wie ich es in Cowboy-Filmen gesehen hatte", erinnert sich Spence, "und dann habe ich mir wortwörtlich das Auge ausgeschossen." Durch den Rückstoß prallte die Schrotflinte hart gegen sein Gesicht und traumatisierte sein rechtes Auge so stark, dass es von da an medizinisch als blind eingestuft wurde.

Im Alltag ist Spence meistens mit Augenklappe unterwegs. Bild: David Silverberg

An die neue Sicht ohne Tiefenwahrnehmung und das periphere Sehen musste er sich erst einmal gewöhnen. Doch nach anfänglichen Schwierigkeiten kam er gut mit der Situation klar und drehte einen seiner ersten Filme mit Augenklappe, Let's All Hate Toronto .

Doch zu dieser Zeit begann sein beschädigtes Auge anzuschwellen und die Hornhaut löste sich ab. Als die Ärzte ihm sagten, dass er ein künstliches Auge benötigte, fing Spence an, zum Thema Augen-Kameras zu recherchieren. Er trat mit verschiedenen Kameraherstellern und Ingenieuren in Kontakt und merkte schnell, dass seine Idee auf Interesse stieß.

2008 war dann seine erste Augen-Kamera fertig – die erste ihrer Art. Da die Kamera nicht mit dem Sehnerv verbunden ist, kann Spence durch sie zwar nicht sehen, aber dank des mikroskopisch kleinen Funkfrequenzsenders seine Umgebung filmen.

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Die Cyborg-Kamera ist eine echte Maßanfertigung: Die Ingenieure verwendeten einen Wachsabdruck von Spences Augenhöhle, damit die Kamera später sicher unter seinem Augenlid halten würde. Über einen magnetischen Reed-Schalter kann er die Kamera an- und ausschalten.

Das Innenleben der Eyecam. Bild: Rob Spence

Obwohl Spence seine Cyborg-Prothese im Alltag nicht oft benutzt, kam sie schon bei einem seiner Filmprojekt zum Einsatz: Der japanische Videospielentwickler Square Enix hatte ihn mit einer Dokumentation über reale Cyborgs beauftragt. In die zwölfminütige Doku über Menschen mit High-Tech-Prothesen ließ Spence auch Bildmaterial von seinem eigenen Kamera-Auge einfließen.

Spence interessiert sich sehr für transhumanistische Ideen, beispielsweise für Elon Musks Projekt Neuralink, in dem das menschliche Gehirn mit Künstlicher Intelligenz verbunden werden soll.


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Schon lange leben wir im Zeitalter der Überwachungskameras und GoPro-Kameras, die Menschen ohne ihr Einverständnis oder ihr Wissen aufnehmen. Auch Live-Streams auf Facebook, Twitter und Instagram gehören längst zum Alltag. Möglicherweise wird es bald weitere hochentwickelte Prothesen geben, bei denen die Livestream-Funktion gleich integriert ist, und die somit die Diskussion um das Recht auf Privatsphäre weiter anfeuern werden.

Doch Spence betont, dass er kein Interesse daran hat, jeden Augenblick seines Lebens festzuhalten. Er möchte sein Kamera-Auge für spezielle Projekte einsetzen und nicht, um sein Frühstück zu filmen.

Nach seinem Vortrag auf der FutureWorld möchte ich noch schnell ein paar Bilder von seinem leuchtend roten LED-Auge knipsen, doch wir sind schnell von einer Gruppe Eyeborg-Fans umringt. Kein anderer Redner scheint auf so großes Interesse zu stoßen wie Spence.

"Kann ich ein Foto mit dir machen?", fragt ein Teilnehmer und versucht, sich an mir vorbeizudrängeln. Spence lächelt. Auf der FutureWorld ist er ein Star und offensichtlich genießt er die positive Aufmerksamkeit.