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Warum der Mythos vom “Digital Native” Quatsch ist

Neue Studie legt nahe: Digital Natives sind so real wie der Yeti.
Bild: Shutterstock

Wer jung ist, der kennt sich auch aus mit Technik, erkennt jede Malware in Sekundenschnelle und hackt den Mainframe mal eben bei der weihnachtlichen Druckerreparatur. Wer als "Digital Native" um Internet und Computertechnik herum aufgewachsen ist, der hat einfach mehr Ahnung von Technologie, als die Generation davor, lautet der gängige Mythos. Doch der entbehrt anscheinend jeder wissenschaftlichen Grundlage, wie eine groß angelegte Metastudie nun herausgefunden haben will.

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"Dafür existieren keine glaubhaften Beweise", heißt es in der Studie "The myths of the digital native and the multitasker", die am 1. Juni in der wissenschaftlichen Publikation Teaching and Teacher Education erschienen ist. So weit hergeholt sollen die Mythen sein, dass die beiden Autoren den viel gerühmten "Digital Native" gar zu einer Fantasiekreatur wie "einer Art Yeti" erklären. Zu diesem Schluss gelangen der belgische Bildungsforscher Pedro De Bruyckere und der Professor für Bildungspsychologie Paul A. Kirschner von der Open University in den Niederlanden, nachdem sie verschiedene internationale Studien aus der Bildungsforschung ausgewertet haben.

"Diese Studien zeigen, dass Studenten, die nach dem magischen Jahr 1984 geboren sind, kein tiefgreifendes Technologieverständnis besitzen", so Kirschner und De Brucyckere. "Ihr Wissen beschränkt sich oft auf gängige Office-Anwendungen, E-Mail, Chat, Facebook und das Surfen im Netz."

Das legen mehrere empirische Studien aus Kanada, Österreich, der Schweiz und den USA nahe, die die beiden Forscher ausgewertet haben "Universitätsstudenten wissen nicht um die fortgeschrittenen Funktionen der Anwendungen, die sie benutzen", zitieren Kirschner und De Brucyckere zum Beispiel aus dem Paper "The digital learner at BCIT and implications for an e-strategy", das 2008 auf einem Workshop für Bildungsforschung präsentiert wurde. Der Umgang mit Technik müsste Studenten besser beigebracht werden, denn ihre technologischen Fähigkeiten fürs Lernen würden sich auf Wikipedia-Recherchen beschränken.

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An diesen nüchternen Ergebnissen änderte sich auch nichts, als Forscher die technologische Kompetenz noch jüngerer Menschen studierten. Die Autoren zitieren eine Studie von 2013, für die Erstsemester an der Universität von Hong Kong beobachtet wurden. Zwar würden die Studierenden, die durchschnittlich 18-19 Jahre alt sind, eine "Vielzahl an Technologien benutzen", ihnen ginge es aber vor allem um den Konsum von Entertainment und nicht um die Erstellung von akademischen Inhalten.

Bevor jetzt aber der endgültige Tod dieses digitalen "Yetis" ausgerufen wird, ist es wichtig, den Kontext der Studie zu beachten: Die Autoren kommen aus der Bildungsforschung. Ihr Fokus liegt daher ganz klar auf der Untersuchung von Technologien, die bei der Unterstützung des Lernens in Schulen und Universitäten zum Einsatz kommt.

Die Erstsemester aus Hong Kong (PDF-Link) waren wenig daran interessiert, Technologie für akademische Zwecke zu benutzen. Es wurde aber nicht abgefragt, ob sie sich möglicherweise mit YouTube-Tutorials Schnittprogramme beibgebracht haben, mit Mods und kleinen Spielereien in Unity erste Schritte in der Spieleentwicklung machten, oder schon mal Apps und Webseiten entwickelt haben.


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Die Möglichkeiten zur Selbstentfaltung sowie dem Erlernen neuer Technologien sind (zumindest in einigen Bereichen der Welt) heute so zugänglich wie noch nie und werden auch genutzt. Doch die Annahme, das Geburtsjahr eines Menschen alleine hätte etwas mit der Beherrschung von moderner IT-Technik zu tun, muss laut den Wissenschaftlern endlich beigelegt werden.

Der Mythos sei sogar schädlich: "Die Forschung zeigt, dass Schüler darunter leiden, wenn Lehrer und Bildungseinrichtungen diese angeblichen Fähigkeiten hochspielen". Aus der falschen Annahme heraus, junge Menschen hätten heutzutage die technologische Versiertheit im Blut, entstehen dann auch schnell zu kurz greifende pädagogische Ansätze, etwa wenn alleine der Einsatz von Geräten wie Laptops und Tablets im Unterricht als Allheilmittel für Lernprobleme propagiert wird.