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Jodel ist das Schlimmste, was Schweizer Studenten passieren konnte

Die Anonymität lässt euch zu Hashtag-schmeissenden Monstern werden.

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Nach einem Tag auf Jodel bin ich mir sicher: Jodel ist sowas wie die digitalisierte Nachgeburt des Teufels. Als ich vor meinem Ausflug in die Vorhölle der Erstsemestrigen bei Jodel-Usern in meinem Bekanntenkreis rumgefragt habe, warum sie die App überhaupt nutzen, antworteten sie mit „Alle tun das" oder „Manchmal gibt's noch lustige Sachen"—Gründen also, die Menschen auch Dinge tun lassen wie Blick am Abend lesen, am Mittag RTL schauen oder Guerilla Yoga als akzeptables Phänomen der Gegenwart anzusehen.

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Im Grunde ist Jodel nichts anderes, als es der Gruppen-Teil bei studiVZ mal war. Nur eben als App auf dem Smartphone und vor allem: anonym. Du klaubst dir also den flachsten Spruch aus deinen Gehirnwindungen und schaust dabei zu, wie Menschen sich daran erfreuen, den Gag und seinen Erschaffer in die Jodel-Hall of Fame hochzuvoten—oder ihn für immer ins Jodel-Nirvana zu verbannen.

Die Erfinder der App terrorisierten die öffentlichen Plätze vor den Unis pünktlich zum Semesterbeginn mit überfleissigen Flyer-Praktikanten—und schon ist Jodel für alle Trend-Welle surfenden Studenten mindestens so wichtig wie ihre Fjällräven Kranken-Rucksäcke. In anderen Worten: Es gibt keinen besseren Ort, um mit meinen zarten 27 Jahren nochmal in die Welt der Neu-Studenten abzutauchen und dabei so einiges über diese zu lernen.

Euer Studium ist verdammt langweilig

Ihr sitzt seit etwa vier Wochen wieder—oder zum ersten Mal—an der Uni. Ihr habt also Jahre damit verbracht, euch über Lehrer und Mitschüler aufzuregen. Habt euch gefreut, endlich einmal etwas Wichtiges an der richtig grossen Uni zu tun. Und jetzt? Jetzt sitzt ihr vor einem alten Mann, der euch mit irgendwelchen Wörtern, die ihr eh nicht versteht, zulabert und eure Vorlesungen so unspannend macht, dass ihr lieber stundenlang auf eure Smartphone-Displays starrt. Nur um weisse Sätze auf farbigem Hintergrund zu kommentieren und zu bewerten. Willkommen im Herzen des Studentenlebens—eurem Zuhause für die nächsten Jahre.

Ihr seid die Social Media-Stars der Zukunft

Ihr wollt eigentlich nach eurem Jus- oder BWL-Studium als Broker oder Star-Anwalt richtig viel Kohle scheffeln? Vergesst es. Wenn ihr weiterhin nur auf eure Displays starrt, verpasst ihr eh sämtliche Prüfungs- und Nachprüfungstermine. Nichts da mit Bachelor. Nichts da mit grosser Karriere. Ihr müsst euch damit abfinden, als mittelmässige Social Media-Stars durch die Untiefen des Internets zu schwirren. Ihr seid die Sami Slimanis und Jan Leyks der Zukunft!

Während andere Menschen mit ihrem Hornbrillen-Wissen ehrliches Geld verdienen, verbringt ihr euren „Arbeitstag" damit, flache Sprüche rauszuhauen. Die müssen gerade so seicht und so anrüchig sein, dass sie alle—von eurer Tante, die dieses Internet gerade eine „sehr spannende Sache" findet, bis zu eurer hochpubertären, 13-jährigen Hihihi-Schwester—auf ihrer Timeline sharen. Und nicht vergessen: Immer brav allen schlimmen Social Media-Trends folgen. Denn: Dieser Moment, wenn du sie verpasst, wird dein Konto richtig, richtig traurig machen.

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Ihr seid alle sexsüchtig

Sex, Sex, Sex—eure Themenvielfalt auf Jodel ist enorm … einseitig. Doch wer kann's euch in der Anonymität schon übel nehmen? Nicht umsonst trägt der Incognito-Modus beim Surfen schliesslich den liebevollen Kosenamen Porn-Mode.

Ihr steht auf Vorurteile

Ich spiel ja nicht gerne die Humor-Polizei—aber: Wollt ihr euren Jodel-Fame wirklich darauf aufbauen, dass ihr irgendein seltsam zusammengebasteltes Konstrukt des ach so strebsamen Asiaten in die Welt hinausposaunt? Das ist nicht witzig—das ist dumm. Das letzte Mal, als ich eine Asiatin getroffen habe, schwor ihr braun bezahnter Mund gerade schwankend dem Billig-Billig-Bier in ihrer Hand die ewige Treue—alles andere als eine Streberin.

OK, das Internet sagt euch, Asiaten seien alle Streber und würden nichts anderes tun als lernen, lernen und lernen. Das Internet sagt Feministen aber auch, sie sollen sich für die Gleichberechtigung in die Hosen pissen. Logische Konsequenz: Macht nicht alles, was das Internet euch sagt—es kann ein verdammt mieses Arschloch sein.

Hashtags sind euer Accessoire #MegaChic

Ich verstehe es nicht: Wieso pflanzen Menschen überall Hashtags hin? Bei Twitter, Instagram und dem anderen Social-Media-Quark ergibt das ja irgendwie noch Sinn. Wir können draufklicken und es erscheinen alle Tweets, Instas, wasauchimmer zu dem Thema. Hashtags als Themen-Lesezeichen—fair enough. Aber bei Jodel? Da könnt ihr auf nix draufklicken. Nirgendwo!

Trotzdem schmeisst ihr mit Hashtags um euch, als ob es dafür ECTS-Punkte im Seminar „So wirst du wer im Internet" gebe. Wieso? Wenn ihr 90 Minuten BWL 1 überlebt habt, schreibt ihr schliesslich auch nicht #finallydone #mensaimcoming unter eure Notizen. Und lesen kann das ja auch kein Schwein, wenn ihr hundert Wörter aneinanderreiht. Also: #lasstdieseverdammtenhashtags!

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Ihr seid (meistens) nicht witzig

Zugegeben: Manche Sprüche verleiten meine Mundwinkel dazu, sich ein paar wenige Grad nach oben zu bewegen. Aber die meisten der am besten bewerteten Jodel wecken in mir Erinnerungen an Geschichten, die man seinen kleinen Baby-Cousinen erzählt, um sie in den Schlaf zu langweilen. Über Humor lässt sich bekanntlich nicht streiten—wer aber Sprüche wie diesen Englisch-Deutsch-wortwörtlich-Übersetzen-Witz in der Kategorie Humor einordnet, hat längst jeden Sinn dafür verloren. Oder ist das die Humor-Messlatte der BWL-, JUS- und Maschinenbau-Studenten von heute? Ich hoffe es—für die Zukunft dieser Welt—nicht.

Es hat sich nichts verändert

Trotz der Hashtag-Sprache, den Gefälligkeits-Witzen und den Asiaten-Sprüchen: Wirklich verändert hat sich seit meinem Studienbeginn nichts. Die Probleme waren vor acht Jahren dieselben und werden es wohl bis in alle Ewigkeit auch sein: Lernen oder Party? Typ ansprechen oder Typ nicht ansprechen? In der Vorlesung zuhören oder seine Zeit klüger verschwenden? Sobald man sich immatrikuliert, scheint der Hebel mit der Aufschrift „Student Problems" umgelegt zu werden.

Doch nicht nur die Probleme bleiben die gleichen. Auch die Running Gags bleiben eben … naja … Running Gags: Früher waren es Chuck Norris- oder Deine Mutter-Witze—heute sind es „Sorry, han en Fründ"-Sprüche. Wir scheinen einfach nicht damit aufhören zu können, Witze in einen kreativen Zwinger zu sperren und ihnen keinen Auslauf zu gewähren.

Und schliesslich ist auch der Asiaten-Witz nur ein Symptom davon, was wir in unserem Alltag erleben. Ständig klopfen wir Witze auf Kosten von Minderheiten. Im analogen Alltag sorgen sie für Schenkelklopfer am Stammtisch, im digitalen Alltag eben für einen Platz in der Jodel-Hall of Fame. Jodel ist nicht die Welt—aber eben auch kein bisschen besser.

Sebastian haut auch auf Twitter semi-witzige Sprüche raus: @nitesabes

Vice Schweiz ebenfalls: @ViceSwitzerland