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Wir haben mit verurteilten Drogenbossen und Kriminalexperten über El Chapos Geltungsbedürfnis gesprochen

Wenn uns die erneute Festnahme von Mexikos berüchtigtstem Drogenboss eins gelehrt hat, dann dass er, wie so viele andere vor ihm, süchtig nach Ruhm und Anerkennung war.

Guzmán bei einer seiner Festnahmen | Foto: Day Donaldson | Flickr | CC BY 2.0

Die erneute Festnahme von Joaquín Guzmán Lora, besser bekannt als El Chapo, diesen Monat hat dem berüchtigten Drogenboss eine ordentliche Portion Aufmerksamkeit beschert. Kurz nachdem die Nachricht von Guzmáns Ergreifung durch eine Eliteeinheit der mexikanische Marine in seinem Heimatstaat Sinaloa die Runde machte, wurde Sean Penn schwer für sein heimliches Rendezvous mit dem flüchtigen Kriminellen kritisiert—und für denRolling Stone-Artikel, in dem der Schauspieler ausschweifend-detailliert das bizarre Treffen im mexikanischen Dschungel im Oktober letzten Jahres beschreibt.

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Jetzt hat der Mann, der Jeff Spicoli in Ich glaub', ich steh' im Wald verkörperte, versucht, in der amerikanischen Nachrichtensendung 60 Minutes sein Verhalten zu rechtfertigen. Er beschuldigte außerdem die mexikanische Regierung, dass sie ihm durch die Behauptung, durch das Treffen die Festnahme zumindest teilweise ermöglicht zu haben, quasi eine Zielscheibe auf den Rücken geklebt habe.

Aber unabhängig davon, was du auch von Penn als Journalistendarsteller halten magst, hat uns die ganze Geschichte gezeigt, dass es El Chapo—wie viele Generationen von Drogenbossen, Gangstern und Banditen vor ihm—vor allem darauf abgesehen hatte, von der Öffentlichkeit bewundert zu werden. Von Al Capone über Bonnie und Clyde bis hin zu modernen Outlaws wie Pablo Escobar, John Gotti und Demetrius „Big Meech" Flenory von der Black Mafia Family (BMF): Großkriminelle suchen den Schein des Rampenlichts.

„Ein Großteil der Öffentlichkeit ist von Prominenten fasziniert", sagt Jeffrey Ian Ross, ein Kriminologe an der Universität von Baltimore. „Individuen wie El Chapo glauben vielleicht, dass sie über ganz ähnliche Eigenschaften wie diese Berühmtheiten verfügen und dass der Unterschied zwischen berühmt und berüchtigt nur minimal ist."

Nur damit wir es nicht vergessen: Guzmán wird in Mexiko und mehreren Bundesstaaten der USA neben der Leitung des größten Drogenkartells der westlichen Hemisphäre eine Serie von Morden und Entführungen zur Last gelegt. Das hält ihn aber offensichtlich nicht davon ab, sich etwas Selbstbestätigung in Form eines Biopics holen zu wollen.

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„Was mich wirklich erstaunt hat, war die Tatsache, dass er ernsthaft daran interessiert war, einen Film zu machen", sagt Freeway Rick Ross, der legendäre Ex-Crack-König von Los Angeles. „Mit dem Geld, das er hat, hätte er den Film ganz einfach selber finanzieren können. Er war zu dem Zeitpunkt bereits einer der berühmtesten Menschen der Welt. Ich weiß nicht, warum er noch berühmter werden wollte, als er eh schon war. Er hätte sich besser mal zum Ziel setzen sollen, in Freiheit zu bleiben—deine Freiheit ist schließlich eins der schwerwiegendsten Dinge, das du verlieren kannst."

Trotzdem hat El Chapo nicht zuletzt wegen seiner filmischen Ambitionen—und vielleicht auch wegen eines Flirts mit der Schauspielerin Kate del Castillo, die als Vermittlerin zwischen Penn und Guzmán agierte—seine Freiheit wieder verspielt.

„Ich finde, dass es keine gute Idee von ihm war, einen Film machen zu wollen—vor allem weil er doch eigentlich schon einen Film machte, ohne etwas dafür zu tun", sagt Donald „Sly" Green, ehemaliger Kopf eines großen Drogenrings aus Buffalo, der momentan eine lebenslange Haftstrafe in einem Bundesgefängnis absitzt. „Genau wie Gotti wollte er noch berühmter werden, als er bereits war. Das war ein total unrealistischer Schachzug von ihm, der ihn jetzt bis an sein Lebensende hinter Gitter bringen wird—unter strengster Bewachung. Das wird er noch bereuen."

Tatsächlich sieht es momentan so aus, als würde Guzmán, obwohl er sich wieder in genau dem gleichen Gefängnis befindet, aus dem er im Juli ausgebrochen war, ständig in andere Zellen verlegt werden, um zu verhindern, dass seine tunnelgrabenden Helfer ihn ein weiteres Mal befreien kommen. Bewegungsmelder und hochmoderne Kameras beobachten zusätzlich jeden seiner Schritte. Und auch wenn die mexikanische Regierung in der Vergangenheit einer Auslieferung Guzmáns in die Vereinigten Staaten eine klare Absage erteilt hatte, scheint diese nun nicht mehr ganz unwahrscheinlich—auch wenn der Prozess Jahre dauern könnte.

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Shawn Rech, Co-Regisseur der True-Crime-Dokumentation A Murder in the Park, gibt zu bedenken, dass die berühmten Gangster unserer Zeit dazu tendieren, sich für eine kurzfristige Bestätigung zu verkaufen.

„Wenn du dir die amerikanischen Gangster von früher anschaust, dann waren es immer nur die Typen mit den schicken Anzügen, dem Schmuck und den Luxusautos, die im Gefängnis gelandet sind", sagt Rech. „Die Typen, die sich eher bedeckt hielten, blieben auf freiem Fuß und machten ein Vermögen. Wenn du dann noch diesen Drang hinzunimmst, zum Volkshelden zu werden—so eine etwas verdrehte, moderne Robin-Hood-Figur—dann hast du das Profil von so jemandem wie El Chapo. Typen wie er und Pablo Escobar waren tatsächlich davon überzeugt, dass sie zu den Guten gehören."

In Mexikos Drogen-Unterwelt hat der Wahnsinn eines El Chapo jedoch Methode—zu einem gewissen Teil jedenfalls.

„In der Narco-Kultur von Sinaloa hat die Selbstbeweihräucherung von Drogenhändlern in Liedern und Filmen eine lange Tradition", erklärt Ioan Grillo—ein Journalist, der sich auf den Drogenkrieg spezialisiert hat, und Autor von Gangster Warlords und El Narco. „Sie bezahlen Balladensänger dafür, dass sie Lieder über sie schreiben, in denen sie als Helden dargestellt werden, die die Eier haben, sich gegen die DEA und das mexikanische Militär aufzulehnen. El Chapo hat dieses Spiel nur eine ganze Ecke weiter getrieben, indem er sich an Hollywood wandte."

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El Chapo ist vielleicht ein moderner Drogenboss, aber die Geschichte seiner Festnahme ist charakteristisch für die uralte Neigung von Berufskriminellen, sich einen Namen für die Nachwelt zu machen.

Kevin Chiles, ein berüchtigter Drogenboss aus Harlem, der die Geschichten von legendären Gangstern in seinem im Gefängnis gegründeten Magazin Don Diva dokumentiert, sagt: „Seit 17 Jahren, also seit es Don Diva gibt, schreiben wir die ganzen Storys auf und das hier ist die eine Sache, die alle gemein haben. Es macht dabei offensichtlich keinen Unterschied, welcher Nationalität du angehörst oder wie reich du bist: ihr Durst nach Ruhm und ihre Dreistigkeit holen sie irgendwann alle ein."