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Dürfen Schwangere demonstrieren gehen?

Auch wenn die Demonstrantin nicht schwanger war und wir einer Falschmeldung geglaubt haben, bleibt die Frage nach den Grundrechten.

Foto von Kurt Prinz

Bei der gestrigen Meldung, eine Schwangere habe ihr Kind verloren, handelt es sich nach aktuellem Stand der Dinge um eine Falschmeldung. Trotzdem gibt es nach der Demo der Identitären am Samstag gibt es noch einiges aufzuarbeiten. Am wichtigsten ist die Frage, ob es der Person, von der es hieß, sie habe ihr ungeborenes Kind verloren, gut geht und wie es zu dieser Behauptung gekommen ist. Ganz ehrlich: Wir wissen es nicht.

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Als ich am Samstag die Josefstädter Straße verließ, tat ich das mit der Information, dass eine schwangere Frau unter den Verhafteten sei. Vier Stunden später erreichte uns die Nachricht, die Frau habe ihr Kind verloren und sofort darauf die gegenteilige Meldung, laut der alles Fake sei. Also haben wir uns entschlossen, die Geschichte nicht zu bringen.

Am Sonntag Nachmittag weckte mich ein Anruf einer unbekannten Nummer aus dem eigentlich notwendigen Schlaf. Eine Frau stellte sich als Mitglied der Rechtshilfe vor, die sich erkundigte, ob wir Videomaterial von der schwangeren Frau hätten und dass niemand genau wüsste, ob sie ihr Kind verloren habe oder nicht und dass sie auf der Suche nach Informationen sei. Ich versicherte ihr, dass wir unsere Aufnahmen noch einmal anschauen würden, ich aber nichts von einer Schwangeren wisse.

Kurze Zeit später, genauer gesagt um 17:26 Uhr, ging ein Artikel von Colette M. Schmidt auf derStandard.at online, der auch Berichte von den Geschehnissen in der Douglas-Filiale beinhaltete. So weit ich mich erinnere, schloss der Post mit den Worten: „Für sie endete der Einsatz offenbar mit schwerwiegenden Folgen: Sie hat am Samstag ihr Kind verloren.“

Zu diesem Zeitpunkt war ich ziemlich getroffen und im Minutentakt trudelten SMS von Freunden bei mir ein, denen es ähnlich ging. Ich bin am Tag davor durch Zufall in der Josefstädter Straße gelandet, als die Polizeibusse mit quietschenden Reifen bei der Haltestelle Lederergasse zu stehen kamen und die Straße absperrten. Dass dort Teenager abtransportiert wurden, während außerhalb der Polizeikette ihre Altersgenossen ihr Leben nicht mehr packten, war schlimm genug. Aber die Meldung, eine Schwangere sei misshandelt worden und habe ihr Kind verloren, war eine ganz andere Liga. Also bin ich zurück ins Büro, in dem ich schon die letzte Nacht verbracht hatte, schrieb meine persönlichen Erlebnisse des Nachmittags auf, während mein Kollege die Aufnahmen sichtete. Schlussendlich entschieden wir uns gegen Mitternacht, den Artikel gemeinsam mit dem Video einer Verhaftung von dort und dem Interview mit dem Freund einer Betroffenen mit dem Hinweis zu veröffentlichen, dass laut Standard eine Frau ihr ungeborenes Baby verloren habe.

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8 Stunden später, und wieder im Büro, war die Lage noch immer nicht klarer, obwohl mittlerweile zahlreiche Medien die Meldung aufgegriffen hatten. In einem Facebook-Thread unter meinem Artikel postete der Journalist Robert Berger eine erste sehr kritische Meldung, blieb aber die Links schuldig. Ungefähr zur selben Zeit wurde derStandard.at Artikel auf „Nach eigenen Angaben hat sie am Samstag ihr Kind verloren.“ ausgebessert.

Am Nachmittag postete die Wiener Polizei auf Facebook:

Unter dieser Gruppe befand sich eine Frau, die gegenüber den Polizeibeamten angab, schwanger zu sein und Unterleibsschmerzen zu verspüren. Daraufhin wurde von den Polizisten unverzüglich der Rettungsdienst informiert, der die Frau in ein Spital brachte. Die angegebene Schwangerschaft war für die Polizeibeamten nicht ersichtlich. Die Frau wurde auf freiem Fuß wegen des Verdachtes der Sachbeschädigung angezeigt.
Im Rahmen der notwendigen Erhebungen zu den vorliegenden Vorwürfen konnte das Vorliegen einer Schwangerschaft der Betroffenen nicht bestätigt werden.

Vor kurzem wurde nun bekannt, dass die Staatsanwaltschaft den ärztlichen Befund des Krankenhauses beschlagnahmt habe, laut dem „bei der Betroffenen zur Zeit der Amtshandlung—entgegen der bisherigen Vorwürfe—keine Schwangerschaft bestand“.

Ich gehöre nicht zu der Gruppe von Menschen, die in allem eine großangelegte Verschwörung sieht und so bleibt mir nicht viel übrig, als mich zu entschuldigen, dass wir offensichtlich einer Falschmeldung geglaubt haben. Einer Falschmeldung, die aber—weil extrem emotional aufgeladen—ein wichtiges Thema losgetreten hat, wie man an den vielen Postings im gesamten Netz sieht. Nicht dass mehr Kommentare einer Sache gleichzeitig auch immer mehr Gewicht geben—es ist schließlich das Internet und hier wird auch jeder noch so nichtige Scheißdreck bis ins kleinste Detail diskutiert.

Aber interessanterweise wurde hier auch erstmals die Frage aufgeworfen, ob es überhaupt einen Grund gibt, auf sein Demonstrationsrecht verzichten zu müssen, egal ob dieser nun Schwangerschaft oder eine andere besondere körperliche Verfassung sein mag. Der übliche Victim-Blaming-Bullshit war zwar auch hier zu hören, aber er war nicht das dominierende Thema. Stattdessen ging es um eine demokratische Grundsatzfrage. Dass in Anbetracht eines tragischen Ereignisses vielleicht eher Mitgefühl angebracht wäre, ist aber wohl noch einmal ein anderes Thema.