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Der größte deutsche Pseudowissenschaftler: Ein Psychogramm des Dr. Axel Stoll

Muss man eigentlich psychisch krank sein, um an Flugscheiben, Skalarhaubitzen und Reichsdeutsche in der Hohlerde zu glauben? Genau ein Jahr nach seinem Tod lassen zwei Psychologen Axel Stoll in einem neuen Film ausführlich zu Wort kommen.
Ausschnitt aus der neuen Interviewdokumentation. Bild: NSLFilm

Ausschnitt aus der neuen Interviewdokumentation | Bild: NSLFilm

Die Nazis haben Flugscheiben gebaut, die Arier kommen eigentlich vom Stern Aldebaran und die Reichsdeutschen leben heute im Inneren der Erde und auf der dunklen Seite des Mondes. Wer all das nicht weiß, gehört zu den abertausenden Schäfchen, die ihr Wissen aus Schulbüchern beziehen, und nicht aus hochseriösen Youtube-Kanälen.

Dr. Axel Stoll hätte dazu gesagt: „Muss man wissen!" Der in der DDR promovierte Geologe (der aber nach eigener Aussage in allen Naturwissenschaften zuhause ist) war bis zu seinem Tod am 28.07.2014 ein Star der Szene wirrer rechter Verschwörungstheoretiker. In Berlin lud er regelmäßig zu Treffen des „Neuschwabenland-Forums" in das Hinterzimmer einer Kneipe. Die Diskussionsthemen: Hochtechnologie im dritten Reich, arische Aliens und die Weltpolitik aus reichsdeutscher Sicht.

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Was erstmal wie eine gekonnte Satireaktion wirkt, ist tatsächlich ernst gemeint und eine Mischung aus Pseudowissenschaft, Esoterik und rechter Ideologie. Gruppen wie das „Neuschwabenland-Forum" sind lediglich die verrücktesten Auswüchse einer Szene aus selbsternannten „Reichsbürgern", die an den Fortbestand des deutschen Reichs glauben – und dass die BRD eigentlich gar kein Staat, sondern eine Firma ist. Genauer gesagt: Eine GmbH.

Der Nachruf von VICE: Dr. Stoll hat den Strafplaneten verlassen

Fast ein Jahr vor seinem Tod haben die beiden Psychologen Dr. Sebastian Bartoschek und Alexander Waschkau Axel Stoll in Berlin getroffen und ausführlich interviewt. Das erste Ergebnis davon war ein Buch, das dieses Interview im Wortlaut und mit kritischen Fußnoten versehen wiedergibt. Genau ein Jahr nach Stolls Tod erscheint das Interview nun erstmals als Film.

Die Interview-Zusage von Stoll war mit „Heil und Segen" unterschrieben. Das war befremdlich.

Die Interview-Devise der beiden Psychologen: Einfach reden lassen. Zwischendurch werden die Theorien immer wieder einem Faktencheck durch echte Wissenschaftler und Experten unterzogen. Das Ergebnis ist ein unterhaltsamer Einblick in die Gedankenwelt Axel Stolls.

Sebastian Bartoschek arbeitet als Psychologe, Journalist und Buchautor und hat über Verschwörungstheorien promoviert. Wir haben ihn gefragt, ob der Glaube an Flugscheiben, Skalarhaubitzen und Co. automatisch als Diagnose für eine psychische Erkrankung gelten kann, und wie gefährlich die abstrusen Thesen von Axel Stoll wirklich sind.

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MOTHERBOARD: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Axel Stoll zu interviewen?

Dr. Sebastian Bartoschek: Mein erstes Interviewbuch war grad rausgekommen und das lief ganz gut. Ich hatte dann über Twitter das Netz gefragt: „Wen soll ich denn noch mal für euch interviewen?" Da kamen ganz viele schräge Vorschläge, von denen ich einen Teil umgesetzt habe, unter anderem eben Dr. Axel Stoll.

In einer Whiskeylaune dachte ich mir: Komm jetzt schickste dem mal 'ne Mail. Ich hab das ganze dann noch an dem Abend rausgehauen. Und siehe da, keine zehn Tage später kriegte ich eine Zusage von Stoll für das Interview. Unterschrieben mit „Heil und Segen", das war total befremdlich.

Ein Ausschnitt aus dem Interviewfilm.

Ihr beiden, die das Interview geführt habt, seid Psychologen. Ihr habt vermutlich genug Zeit mit ihm verbracht, um eine vorsichtige Diagnose zu wagen: War Axel Stoll psychisch krank?

Tatsächlich haben wir diese Diagnose gewagt, wobei wir ihn live natürlich nur drei Stunden erlebt und uns ansonsten seine Videos angeschaut haben. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass er keine psychische Störung hat, die es derzeit so im ICD 10 (dem weltweit wichtigsten medizinischen Klassifikationsregister) gibt.

Wir haben weder Wahn, noch Schizophrenie, Paranoia oder irgendeine Psychose beobachten können.

Letztlich haben wir uns aber darauf geeinigt, dass sich bei Stoll sehr wohl eine Form des Narzissmus feststellen lässt, die sogenannte Pseudologia phantastica, das zwanghafte Lügen oder Fabulieren. Weil es die am häufigsten gestellten Laiendiagnosen sind: Wir haben weder Wahn, noch Schizophrenie, noch Paranoia, noch irgendeine Psychose beobachten können.

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Ein Ausschnitt aus der am 28.7.2015 veröffentlichten Interview-Dokumentation von Sebastian Bartoschek und Alexander Waschkau.

Wie kommen (gesunde) Menschen denn dazu, an Flugscheiben, Skalarhaubitzen und Reichsdeutsche in der Hohlerde zu glauben? Muss man da nicht ein bisschen plemplem sein?

Man muss vielleicht nicht plemplem sein, man muss Sachen erlebt haben, die einem nicht gut getan haben. Was bei Stoll zu sehen ist, und das trifft auf einige seiner Kumpanen zu: Er hatte ein halbwegs vernünftiges Leben in der DDR, und von heute auf morgen endet dieses Leben durch die Wiedervereinigung. Er fällt ins Bodenlose, schlägt sich erst bei einer Securityfirma durch und dann als Vertreter einer Versicherung, die wegen betrügerischen Bankrotts niedergeht

Auf einmal fällt ihm auf, dass er 'geheimes Wissen' hat. Und auf einmal findet er sich in einem Kreis von Leuten wieder, denen es ähnlich geht und mit denen er sein Wissen teilen kann. Und jetzt passiert was Spannendes: Er wird aufgewertet, er ist auf einmal der Held, der etwas Besonderes mitzuteilen hat und die Leute haben Teil an diesem Geheimwissen.

Nicht alle, die an Flugscheiben und andere Absurditäten glauben, haben so einen einschneidenden persönlichen Absturz erlebt wie Axel Stoll. Was bringt Menschen sonst dazu, an so etwas zu glauben?

Ich glaube tatsächlich, dass das bei mehr Leuten der Fall ist, als man auf den ersten Blick denkt. Ich halte das auch nicht für einen Zufall, dass solche Theorien grade auch in Ostdeutschland so einen starken Zulauf haben, weil wir da viele Menschen haben, die tatsächlich völlig unverschuldet völlig gebrochene Biographien haben. Viele befinden sich dann in einem Vakuum, auch der Werte und Strukturen. Da erscheint für einen Moment alles gleich wahrscheinlich.

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Und wenn dann solche Reichsbürger-Ideologien kommen, die auch noch die ungeliebte BRD infrage stellen, die sie ja scheinbar hat scheitern lassen, fallen manche dem anheim. Insgesamt kann man sagen, dass Verschwörungstheorien vermehrt von Leuten geglaubt werden, die entweder extremistisch, gläubig oder allgemein in einer verunsicherten Lage sind.

Wie weit sind solche pseudowissenschaftlichen Theorien denn tatsächlich verbreitet?

Bei „Jugend forscht" wurde aktuell ein Beitrag prämiert, der die Wirkung von Homöopathie auf Bienen untersucht—und belegt. Bei „Jugend forscht"! Ich würde also sagen, pseudowissenschaftliche Theorien sind ziemlich weit verbreitet. In gewissen Kreisen ist es heute schick, Bullshit als Option offen zu lassen und das wird durch Leute wie Xavier Naidoo noch weiter befördert. Mehr durch ihn als durch einen Axel Stoll.

„Stoll war nicht der harmlose Opi, über den man nur schmunzeln kann und der im Kern ein guter Mensch ist."

Die Tatsache, dass ein Xavier Naidoo mit solchen verfassungs- und demokratiefeindlichen Reichsbürger-Ideen hausieren gehen kann, ohne dass alle sagen „Alter, ist der völlig verpeilt?", zeigt, dass eine gewisse Akzeptanz für sowas in der Gesellschaft da sein muss.

Euer Film erzeugt vor allem ein Lachen über die absurden Theorien Axel Stolls. Zwischendurch wird das Ganze dann aber auch von Experten wissenschaftlich entkräftet.

Dr. Sebastian Bartoschek bei einem Science Slam. Bild: Privat.

Reicht es eigentlich über solche Menschen zu lachen, oder stellen die tatsächlich eine Gefahr für die Gesellschaft dar?

Ich glaube, beides ist wichtig. Ich glaube eines der besten Mittel, das unsere Gesellschaft hat, um mit Extremisten umzugehen, ist, über sie zu lachen. Das bedeutet aber nicht, entweder zu lachen, oder sie ernst zu nehmen, sondern lachen und sie ernst nehmen. Über den Bullshit, den sie von sich geben, kann man lachen, und wenn man sich argumentativ mit ihnen auseinandersetzt, kommt man ihnen eigentlich nur entgegen. Dann bist du auf einmal in der Skalartheorie der Physik und kannst da als Nicht-Physiker eigentlich nur verlieren.

Der andere Aspekt ist: Jemand wie Axel Stoll selbst ist vielleicht nicht gefährlich. Die Gefahr, dass der selber mit 'ner AK durch die Gegend rennt und Menschen erschießt, haben wir auch damals schon gegen null eingeschätzt. Aber Leute wie Stoll ziehen Menschen an. Die bilden ein Umfeld, das gefährlich ist und vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Stoll war halt nicht der harmlose Opi, über den man nur schmunzeln kann und der eigentlich im Kern ein guter Mensch ist. Was Stoll gemacht hat, war, den Holocaust zu leugnen, Volksverhetzung zu begehen und in einigen seiner Reden auch zum bewaffneten Widerstand und zu Straftaten aufzurufen.