Deutsche Nerf-Modder sind die zärtlichsten Kriegsspieler der Welt

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Deutsche Nerf-Modder sind die zärtlichsten Kriegsspieler der Welt

Wozu erwachsen werden, wenn man die Zeit doch nutzen kann, um extrastarke, extraschicke Dartblaster zu bauen und damit seine Freunde abzuschießen?

Titelbild: Das hier ist der Mod des Jahres 2013 aus dem Dartblaster.de-Forum von Lord of Xenos | Bild: blasted.de

„Und hier haben wir den Demolisher; eine der ersten Nerfs, die ab Werk einen Unterlauf-Granatwerfer hat. Optisch ne Mischung aus Strife und Rabbit Strike, verschießt fette Pfeile mit dem Unterlauf-Werfer, geil. Extrem geil. Man muss nur einmal pumpen, dann kommt schon die Rakete rausgeschossen, schöne Sache."

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Diese martialische Ansage stammt aus der Video-Review eines etwa Vierzigjährigen unter dem Namen Chris Cross, der die neuesten Dartblaster-Modelle auf einer Spielzeugmesse in Nürnberg begutachtet und sich sichtlich Mühe gibt, seine Euphorie im Zaum zu halten. Dartblaster sind die aufgemotzten Lamborghinis unter den Plastikwaffen. Und das Mekka der großen und diversen Dartblaster-Community sind Foren wie die von Chris Cross betriebene Plattform dartblaster.de.

Wie in jedem Fight Club gibt es auch dort Regeln beziehungsweise „Gebote für Neulinge": Nicht auf Polizisten zielen und niemals ohne Schutzbrille spielen—es geht hier schließlich nicht um normales Wattebällchenschießen, sondern um recht pragmatische Vorschläge beim Umgang mit Druckluft, Motoren und freundlichen Kriegsspielen, die nicht allzu übertriebene Vorsicht vermuten lassen. Regel 5 lautet zum Beispiel: „Schießt euch nicht ins Gesicht (absichtlich)".

Die Fans dieses wundervoll exzentrischen Hobbys warten dabei mit einer erfrischenden Verspieltheit auf, die ich bei den sehr kompetetiv ausgelegten Demonstrationen von eher verkrampft auftretenden PC-Case-Moddern (denen ich aus sicherer Distanz beispielsweise auf der Gamescom beiwohnen durfte) bislang immer vermisst habe.

Regel 5: Schießt euch nicht ins Gesicht (absichtlich).

Klar, denn wenig macht so viel Spaß, wie seine Freunde abzuballern—zumindest, wenn es so sanft geschieht wie mit Nerf-Waffen, die man im besten Fall liebevoll selbst gebaut hat.

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Die Benutzer von blasted.de sind lediglich zu circa zehn Prozent weiblich und kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen: Rollenspieler, Zombiegegner, Bastler und ewige Kinder finden hier eine großartigen Raum zum Vertiefen ihrer Leidenschaft. „Mich hat das Nerf-Fieber gepackt, aus keinem mir ersichtlichen rationalen Grund, sondern vermutlich aus reinem urinstinktivem kindlichen Interesse", schreibt einer.

Das Suchtpotential ist dabei offenbar nicht zu unterschätzen—die meisten User finden sich auf dem Board mit Vorstellungsworten ein, die eher an die Anonymen Alkoholiker erinnern als an ein Forum für fröhliche Spielzeugpistolen: „Wir hatten ein circa einstündiges Wohnungsgeballer. Danach war es um mich geschehen."

Je nach Lieblings-Spielmodus bevorzugen manche Mitglieder auch Spezialanfertigungen, wie zum Beispiel aus der Zombie Attack-Serie: Sie „verfügt über Blaster, die speziell für Humans vs. Zombies designt sind", klärt mich Wikipedia auf. Das bedeutet in diesem Fall: ein eher grünlastiges Schleim- und Fäulnis-Design für die erfolgreiche Abwehr der nachgespielten Zombiekalypse (für die echte empfehlen wir den selbstgebauten Flammenwerfer).

Natürlich kommt es beim Nerf-Mod besonders auf die richtige Grundlage an—die Waffen haben nämlich wenig mit den 90er-Jahre-Modellen aus dem Garten deiner Nachbarn gemein und sind zum Teil hochtechnisiert, wie Namen wie N-Strike Elite Rhino Fire erahnen lassen: Dieser Dartblaster hat nicht nur zwei Magazine mit jeweils 25 Schuss, sondern auch zwei Läufe und ein Dreibein, mit der sich die Waffe scharfschützenmäßig auf einem festen Untergrund fixieren lässt.

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Andere sind gebaut wie Raketenwerfer oder Armbrüste, haben eine Zieloptik und schießen präzise auf bis zu 30 Meter Entfernung (die exakten Zentimeterangaben unter verschiedenen Windverhältnissen finden sich in den Tiefen der Dartblaster-Foren). Und die neuesten Modelle warten mit Displays und Kameras auf.

Wir hatten ein circa einstündiges Wohnungsgeballer. Danach war es um mich geschehen.

Für den Nachschub bei Munition und Geräten sorgen spezialisierte Anbieter wie Bankcroft, so etwas wie eine bodenlose Schatzkammer für Liebhaber des „Non-Expanding Recreational Form" (NERF). Und für alle Modder gibt es spezialisiertes Tuning-Zubehör bei Blasterparts und natürlich nach US-amerikanischem Vorbild haufenweise Videoreviews auf Youtube.

„Büro- oder Endzeit-Krieger, Modder oder Sammler" (aus der Beschreibung eines der vielen Videokanäle für Nerf-Begeisterte) beraten sich online in der Verwendung spezieller Federn oder Magazinmodelle oder diskutieren hitzig über die beste Batterietechnik für ihre Mods. Die Elektronik neu verkabeln? Kein Problem. Tuning auf 15V? Klar. Ein aufwändiger Bauplan für die CNC-Fräse? Alles dort zu finden.

In der Ausgestaltung verwenden die Modder viele Techniken und Materialen aus dem Miniaturbereich, wie zum Beispiel Revell-Lacke, die dem Gehäuse statt quietschig-buntem Kaugummilook eine gebürstete Aluoberfläche verpassen. Dabei kommt dann zum Beispiel der „Mod des Jahres 2013" heraus—die ist laut übersprudelnder Beschreibung ihres Schöpfers „eine exotische Sci-Fi-Waffe, bei der ein dartspuckendes Alien in den Korpus eines Gewehrs gezwängt wird."

Letztlich geht es für alle Rollenspieler und Nerf-Enthusiasten aber vor allem um den grenzenlosen Spaß am Spielen—zu dem viele Fans erst wieder durch ihre Kinder zurückfanden. In den Foren finden sich diverse Familienväter, die davon träumen, ihre Scheune zu einer düsteren Nerf-Arena für Endzeitkämpfe umzubauen. Und dann verabredet man sich dort zu einer Runde Zombies vs. Humans, zum „Blaster LARP" auf einem alten Zerstörer in Lübeck oder einfach im nächstbesten Park zum harmlosen Ballern mit extrastarken, extraschönen Waffen. Dieser Enthusiasmus macht die Nerdblaster-Nerf-Modder-Gemeinschaft wahrscheinlich zu den zärtlichsten Scharfschützen der Welt.