Menschen

So habe ich auf dem katastrophalen Wohnungsmarkt Berlins Erfolg gehabt

Online-Betrug, Halsabschneider, Kellerlöcher: Die Suche in der Hauptstadt ist so legendär abenteuerlich, dass es dazu inzwischen ein Browser-Game gibt.
Menschen stehen in einem Treppenhaus und warten auf eine Wohnungsbesichtigung. Ein neues Browsergame zeigt, wie unfair und stressig der Wohnungsmarkt in Großstädten ist.
Foto: IMAGO / bonn-sequenz

Ich ziehe bald um. Meine erste eigene Wohnung, nach 34 Jahren in Familienwohnungen, Beziehungen und WGs. Zwei Zimmer in Berlin-Friedrichshain, 650 Euro warm. Gesucht habe ich etwa zweieinhalb Wochen. Ich denke, man muss sagen: Ich hatte Glück. Andere finden nicht so schnell bezahlbare Wohnungen. Nur die seltsamen Anrufe machen mir Sorgen. Und auch die neue Wohnung kann mich nicht richtig glücklich machen.

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In den zwölf Jahren, die ich nun in Berlin lebe, habe ich den größten Teil in Wohnverhältnissen verbracht, in denen ich mich nicht zu Hause gefühlt habe. Alles war immer provisorisch, richtig angekommen bin ich nirgendwo. Und ich bin überzeugt, dass es überall in Deutschland Menschen so geht. Menschen, die gern ankommen würden, Leben führen, die Ordnung und Struktur haben, dabei aber immer wieder aus der Bahn geworfen werden. Eine Wohnung ist nun mal mehr als die paar Räume, in denen man ist.

Wie ungerecht, illegal und seltsam es auf dem Berliner Mietmarkt zugeht, zeigt nun ein Online-Game. Produziert wurde es von den Machern des Blogs Settle-in-Berlin.com. Es heißt Berlin Flat Quest und ist genau das: Die Suche nach einer Bleibe in der deutschen Hauptstadt. Wie realistisch es ist, musste ich am eigenen Leib erfahren.

Als ich nach Berlin zog, damals, 2009, war die Wohnungssituation noch entspannter. Zwar sprachen auch damals schon alle von steigenden Mieten und Wohnungsknappheit. Nur erzählten sie das in den Küchen bezahlbarer Altbau-Wohnungen, in Kreuzberg, Mitte und Neukölln, das damals noch nicht ganz der absolute Hipster-Hotspot war. Sogar Prenzlauer Berg galt noch als lebenswert.

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Mein Kumpel und ich gründeten eine WG in einer 120-Quadratmeter-Wohnung in Moabit, für die wir insgesamt etwa 1.100 Euro bezahlten. Wir lebten fünf Jahre lang in der geräumigen, schönen Wohnung und rockten sie so herunter, dass wir beim Auszug fast froh waren, den Müllhaufen hinter uns lassen zu können. Freiwillig war das trotzdem nicht. 

Unser Vermieter, ein Juwelier mit Immobilien in der ganzen Region, hatte vor, die Wohnung anschließend luxuriös zu sanieren. Nett war, dass wir deswegen nicht renovieren mussten und den Menschen auf unserer Abschieds- und Abrissparty Stifte in die Hand drücken konnten, damit sie sich auf den alten Tapeten verewigen – also bis zur Sanierung, bei der alles, was jemals an unsere WG hätte erinnern können, ausgebessert wurde.

Nicht so nett war, dass der Vermieter uns nur durch Lügen und einen fiesen Trick aus der Wohnung bekam. Mein Kumpel, mit mir Hauptmieter, wollte ausziehen und aus dem Mietvertrag austreten. Die Hausverwaltung versicherte uns, das sei kein Problem. Wir sollten einfach eine Kündigung schicken und bekämen dann den neuen Vertrag zugesandt, die Miete würde gleich bleiben. Wir kündigten also und warteten auf den neuen Vertrag. Doch der kam nicht. Eine Woche vor Ende der Kündigungsfrist eröffnete mir die Hausverwalterin, man habe nicht vor, den Vertrag zu erneuern. Wir müssten ausziehen – "in einer Woche?" "Na gut, ich kläre gern für Sie, dass Sie einen Monat länger Zeit bekommen". Es war das Jahr 2014 und der Berliner Wohnungsmarkt hatte genauso seine Unschuld verloren, wie wir Kleinstadt-Boys, die in dieser Wohnung die hedonistische Komplettpackung durch Nase, Mund und Ohren gezogen hatten. Schade, dass das nun vorbei sein sollte.

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Erste Regel bei der Wohnungssuche: Es kommt darauf an, wer du bist

Das Spiel Berlin Flat Quest zeigt zu Beginn in 8-Bit-Grafik den Traum von Berlin. Die über die Spree gezogene Oberbaumbrücke vor goldenem Sonnenuntergang, unschuldig und friedlich wie ich es einmal war. Die U1 huscht rüber, von rechts nach links, Kreuzberg nach Friedrichshain. Hier wollen sie alle hin. In einer Texttafel etabliert das Game dann aber das Szenario: Seit 2011 haben sich die Mietpreise in Berlin fast verdoppelt, es fehlen 90.000 Wohneinheiten. Los geht's.

Zu Beginn sollen die Spielerinnen, ihren eigenen Status definieren. Student, Tech Evangelist, Creative Talent, David Bowie oder was auch immer. Dann das Arbeitsverhältnis, Freelancer, arbeitslos, festangestellt und so weiter. Deutscher Name oder ausländischer? Positive Schufa oder nicht? Connections auf dem Wohnungsmarkt? Ich spiele als ich, definiere mich als Creative Talent mit deutschem Namen, festem Einkommen, guter Schufa und ohne Connections. Die Voraussetzungen für die erfolgreiche Wohnungssuche bewertet das Spiel in Form eines Balkens, der bei mir fast voll ist. 

Und tatsächlich muss ich zugeben, dass meine – echte – Wohnungssuche lange nicht so schwierig und aufreibend war, wie ich es befürchtet hatte. Man kennt ja die Geschichten von jahrelanger Suche, Kellerlöchern für zu viel Geld, Vermieterinnen, die Hälse abschneiden und Immobilienunternehmen, die fusionieren, um den Markt noch menschenfeindlicher zu machen. 

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Ich aber habe einfach zweieinhalb Wochen lang jeden Vermieter angeschrieben, der eine Wohnung ins Internet gestellt hatte, die auch nur ansatzweise akzeptabel wirkte. Am Ende konnte ich etwa 15 Wohnungen besichtigen. Schon das belegt meine privilegierten Voraussetzungen, auch wenn ich diese Wohnungen mit 20 anderen Leuten anschaute oder die Vermieter erzählten, dass sie eine Woche lang im Halbstundentakt Menschen durch die Wohnungen führen würden.

Ein Vermieterpaar klärte mich über die Abmahnungen auf, die ich erhalten würde, wenn ich den Müll nicht richtig trenne, den Grill-Qualm, über den ich mich nicht beschweren dürfe und die Überwachungskameras im Gemeinschaftsbereich. Ich wäre trotzdem sofort eingezogen.

Das Spiel ist allerdings restriktiver. Hier kann man nicht einfach überall suchen, sondern muss einen Stadtteil wählen, in dem man sich mit der Konkurrenz messen möchte. Die Stadtteile bedeuten verschiedene Schwierigkeitsgrade: Charlottenburg ist teuer, aber niemand möchte hinziehen, die Konkurrenz ist niedrig. Wedding ist günstig, die Konkurrenz ist niedrig, der Schwierigkeitsgrad auch. Kreuzberg hingegen ist teuer und alle wollen dort wohnen. Nur Prenzlauer Berg ist anspruchsvoller. Fünf von fünf Euro-Talern und Totenschädel in den Kategorien Preis und Konkurrenz.

Zu sagen, man sei bei der Wohnungssuche flexibel, bedeutet eigentlich nur, dass man komplett verzweifelt ist und nimmt, was man kriegen kann. Die Option bietet die Berlin Flat Quest nicht, aber ich habe im realen Leben Wohnungen in allen Ecken der Stadt angeguckt. Ich war in Reinickendorf, in Mitte, Neukölln und Tempelhof. Ich habe Ein-, Zwei- und Drei-Zimmer-Wohnungen gesehen. Manche hatten Balkons, andere waren im Erdgeschoss. Und ich hätte jede davon genommen, wenn ich den Zuschlag bekommen hätte. 

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Nur beim Preis musste ich unflexibel bleiben. Die meisten Vermieter wollen einen Nettolohn sehen, der mindestens dreimal so hoch ist wie die Warmmiete. Ich musste also eher im unteren Preissegment suchen. Übrig blieben Bruchbuden, begehrte Angebote der städtischen Wohnungsunternehmen und die Deutsche Wohnen. Weil die private Wohnungsgesellschaft gerade politisch unter Druck steht, gibt sie sich sozial: Die Wohnungen sind größtenteils sehr bezahlbar, schön, zentral und zahlreich. Nur: Was, wenn die Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen", die genau das vorhat, was ihr Name verspricht, scheitert und/oder DW und Vonovia fusionieren? 

Zweite Regel bei der Wohnungssuche: Scams lauern überall

Das Spiel besteht nun aus zwei Stufen, Levels kann man sie nennen. Beim ersten geht es darum, E-Mails zu verschicken. Man schießt dabei auf Logos, die denen der großen Immobilienplattformen nachempfunden sind. Immoscout24, eBay Kleinanzeigen und so weiter. Das Konzept erinnert an Space Invaders. Immer wieder muss man Scams ausweichen, berührt man sie zu oft, verliert man.

Scams habe auch ich erlebt. Ich schätze, ein Drittel aller Angebote im Internet sind Fake. Phishing-Angebote. In verzweifelt vorauseilendem Gehorsam schickt der fleißige Bewerber schließlich gleich einen ganzen Dropbox-Ordner voller persönlicher Daten an jeden vermeintlichen Anbieter. Gehaltsnachweise, Ausweis-Kopien, Schufa-Auskünfte. Je mehr, desto besser, denkt er. Und das denkt auch der Betrüger, der sich mit diesen Daten nun auf einen Kreuzzug ins gelobte Land begibt, wobei das gelobte Land zwielichtige Internetseiten sind und der Kreuzzug plumper Betrug. 

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So scheint jemand versucht zu haben, sich mit meinen Daten auf einer Online-Casino-Seite anzumelden. Ohne den Code, der mir eines Nachts per SMS aufs Handy geschickt wurde, dürfte das aber nicht geklappt haben. Oder doch? Hoffentlich halten die Stadtmauern Jerusalems stand.

Die Spam-Anrufe, bei denen mir Menschen Investitionen in Krypto-Währungen andrehen wollen, kann ich zum Glück schnell beenden. Meistens bin ich höflich, sage "Nein, Danke". Manchmal lege ich einfach auf. Nur denke ich mir auch, dass nicht alle Betrüger aufgeben, wenn ich auflege. Ich möchte mir lieber nicht ausmalen, zu welchen Datenpaketen im Darknet nun ein weiterer Datensatz hinzugefügt wurde, der meiner ist und mir deswegen naturgemäß lieb und teuer.

Während ich im Game Logos ab- und E-Mails in die Luft schieße, zeigt das Spiel mit einem Balken an, wie viele ich noch verschicken muss bis zu meiner ersten Besichtigung. Doch dann: Oh nein! Tesla hat ein neues Werk eröffnet, die Stadt wird geflutet mit gut bezahlten Ingenieuren. Der Balken füllt sich wieder. Dann: "Landlord Merger", Deutsche Wohnen und Vonovia schließen sich zusammen, alles wird teurer. Der Balken füllt sich erneut. Die New York Times hat Berlin zur lebenswertesten Stadt für Studis erklärt, reiche Ami-Kids kommen angereist, um den hohen Studiengebühren in der Heimat zu entfliehen. Die Berlin Flat Quest wurde im Mai veröffentlicht. Das Spiel wirkt schmerzhaft authentisch, ich erkenne viel wieder.

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Als ich die Wohnungssuche begann, wusste ich natürlich noch nicht, wie einfach es würde. Ich wusste nur, dass ich langsam mal meine WG-Zeit beenden müsste. 34 Jahre, da kann man schon mal eine eigene Wohnung beziehen. Endlich im Homeoffice nicht mehr das Bett sehen. Freunde einladen, ohne es mit dem Mitbewohner abzustimmen oder besser: ohne genervte Blicke vom Mitbewohner zu bekommen, wenn ich es mal wieder nicht getan hatte. Nie wieder die Frage: "Wirklich? Pizza zum Frühstück?" oder Pipitropfen auf der Klobrille, die nicht meine sind. Es wird Zeit, dass ich ausziehe, mein eigener Herr und damit vielleicht auch ein bisschen erwachsen werde. 

Dritte Regel bei der Wohnungssuche: Manchmal hilft nur David Bowie

Bei der Berlin Flat Quest werde ich "nach 546 Bewerbungen" zum Besichtigungstermin eingeladen, in eine Techno-WG. Ich will zwar nicht mehr in eine WG, spiele das falsche Spiel aber mit. Nun soll ich drei Fragen des Hauptmieters beantworten. Es geht um Techno. Davon habe ich keine Ahnung. Welcher DJ lebt in Berlin? Kein Plan. Ich kriege das Zimmer nicht und muss von vorne anfangen.

Als ich beim zweiten Durchgang eingeladen werde, treffe ich auf einen Makler. 1.700 Euro für 30 Quadratmeter soll die Wohnung kosten, fünf Prozent Staffelmiete pro Jahr, zwei Monate kein Warmwasser, keine WGs – alles OK. Ich kriege die Wohnung, doch dann: Der Mietendeckel wurde gekippt, ich schulde dem Vermieter Tausende von Euros.

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Im echten Leben hatte ich auch hier Glück. Ich bin bei einer städtischen Wohnungsgesellschaft gelandet. Keine Staffelmiete, kein Knebelvertrag, alles fair und transparent. Als ich den Vertrag unterschreibe, lästere ich mit meiner Sachbearbeiterin über die Deutsche Wohnen, über WGs und die Politik, die zu wenige Wohnungen bauen lässt. Ich habe einfach den Jackpot geknackt, das spüre ich.

Im Spiel fange ich nochmal von vorne an. Diesmal als David Bowie, der in Kreuzberg sucht. Er wird in eine WG eingeladen, die insgesamt eher shady wirkt. Ich bewerbe mich auf ein Durchgangszimmer, das ich mir teilen soll. Ich darf mich über die Wohnung nicht beim Amt anmelden, soll aber den Stromanschluss über meinen Namen laufen lassen und die Miete per Western Union an den Cousin des Hauptmieters überweisen. Ich versage bei dessen Fragen, aber weil ich David Bowie bin, kriege ich eine zweite Chance. Wenn ich Refrains seiner Songs vervollständigen kann, kriege ich die Wohnung trotzdem: "We can be Heroes: Just for one day", "There's a starman waiting in the sky / He'd like to come and meet us: But he thinks he'd blow our minds."

David Bowie ist also nach wie vor der Hoffnungsträger, der Schutzengel der verlorenen Seelen Berlins. Waren es in den 80ern noch heroinsüchtige Kinder, die in ihm den Retter ihrer Unschuld und Ausweg aus der Tristesse sahen, sind es heute wir, OK-verdienende Mittelschichts-Menschen, die sich zwar nicht direkt obdachlos nennen würden, aber auch nie so richtig zu Hause sind. Entweder sind unsere Wohnungen zu klein oder hässlich. Unsere WGs zu schmuddelig oder schlecht organisiert. Oder die Bürokratie macht uns das Leben schwerer als es sein müsste.

Auch ich ziehe aus einer WG, über deren Adresse ich mich nicht anmelden durfte. An der Klingel stehen mein Mitbewohner und sein Ex-Mann, der vor zehn Jahren ausgezogen ist. Ich nicht. Geschieden sind die beiden nicht, und auch im Mietvertrag stehen sie noch gemeinsam. Mein Mitbewohner ist auch noch über seinen Ex krankenversichert. Das ist irgendwie süß für die beiden, für mich ist es stressig, weil Pakete verloren gehen, das Finanzamt seine Briefe sowieso nur an meine Meldeadresse schicken möchte und die Polizei komisch guckt, wenn ich erkläre, dass ich seit fünf Jahren nicht mehr da wohne, wo ich gemeldet bin und da, wo ich wohne, nicht an der Klingel stehe, weil, "na ja, Sie wissen schon, Berliner Wohnungsmarkt und so". 

Jedenfalls ging meine Suche gut aus. Schließlich habe ich den Zuschlag bekommen für die zweitschönste Wohnung, die ich gesehen hatte. Meine Freude trübte nur der Anruf, den ich erhielt, zwei Tage, nachdem ich den Vertrag unterschrieben hatte: Ich hätte auch die schönste Wohnung haben können, die zentralere mit Balkon und Dielenboden. 

Aber na ja.

Als nächstes versuche ich, einen Termin im Bürgeramt zu kriegen, um mich endlich da anzumelden, wo ich wohne. Für die nächsten Monate sind die Termine aber noch alle ausgebucht.

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