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LKA nimmt „33-jährigen Thüringer“ als Betreiber von Migrantenschreck ins Visier

Seit Monaten bietet der Shop illegal Waffen an—verbunden mit der unverhohlenen Aufforderung, sie gegen Flüchtlinge einzusetzen. Doch jetzt sind Ermittler einem Hintermann auf der Spur.

Screenshot aus einem inzwischen gelöschten „Produkttest", der die Angebote von Migrantenschreck kurz nach dem Start der Seite im Mai bewerben sollte. Aufgrund der Inhalte des Videos geben wir es hier nicht in ganzer Länge wieder. Screenshot: Anonymous | YouTube.

Die Website Migrantenschreck.ru ist eine der unangenehmsten Seiten, die das deutschsprachige Internet in diesem Jahr hervorgebracht hat. Dort wird nicht nur mit Blog-Posts wie „Merkels Rapefugees: Raub, Vergewaltigung und brutale Gewalt—Wochenrückblick" und „Gangbang-Asylant findet Bewährung zu hart und legt Berufung ein" gegen Geflüchtete gehetzt, es werden auch Produkte angeboten, mit denen unverhohlen zu Gewalt aufgerufen wird: Für einige hundert Euro lassen sich Waffen erstehen, die eindeutige Namen wie „Antifaschreck" und „Migrantenschreck DP120 Bautzen Edition" tragen.

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Obwohl die Seite laut des Web-Analysediensts Similarweb teilweise über 100.000 Aufrufe im Monat verzeichnet, ist bis heute unbekannt, wer dahintersteckt. Gehostet wird der Shop in Russland, die Domain ist so registriert, dass Namen von Betreibern mit Hilfe eines Drittanbieters anonymisiert werden. Zwar gingen bereits mehrere Anzeigen bei verschiedenen Staatsanwaltschaften ein, Ermittlungen verliefen jedoch im Sande.

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Doch nun scheint die Berliner Staatsanwaltschaft einem Hintermann auf den Fersen zu sein: Wie der Sprecher Martin Steltner gegenüber Motherboard erklärte, beschuldigt man einen 33-jährigen Thüringer, Betreiber der Seite zu sein. Die Vorwürfe: „Illegaler Waffenhandel, Volksverhetzung, Nötigung und Bedrohung." Der 33-Jährige, über dessen Identität Steltner aufgrund nicht abgeschlossener Ermittlungen keine weiteren Angaben machte, soll aus dem rechten Spektrum stammen.

Auf welche Hinweise sich die Ermittlungen stützen, oder ob die Beschuldigungen auf konkreten Vorkommnissen in der jüngeren Vergangenheit fußen, wollte man nicht erklären. Klar ist nur: Man ermittelt bereits seit dem Frühsommer—also kurz nach dem Starttermin des Waffenshops, der Anfang Mai online ging. In einem „Produkttest" bewarb damals ein Mann mit einer Anonymous-Maske die Produkte, in dem er auf Fotos deutscher Politiker zielte.

In einer früheren Version des Waffenshops, der damals noch unter Migrantenschreck.net gehostet wurde, tauchte Anfang Mai kurzzeitig ein Name als Betreiber auf: Als Anmelder der Domain listeten Abfrage-Tools wie WhoIs damals den Namen „Mario Roensch" zusammen mit einer Anschrift in der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt. Die genannte Adresse gehörte zumindest in der Vergangenheit tatsächlich zu einem Mario Rönsch, der auch auf den neurechten Montagsdemonstrationen in Erfurt als Redner aufgetreten war. Auf Rückfragen von Motherboard, wie es sein könne, dass sein Name bei der Domain-Abfrage auftaucht oder ob er tatsächlich etwas mit Migrantenschreck zu tun habe, reagierte Mario Rönsch damals nicht.

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Der Beschuldigte in Sachen Migrantenschreck ist laut der Berliner Staatsanwaltschaft abgetaucht, wie der Tagesspiegel berichtet. Spuren würden sowohl nach Ungarn als auch in die USA führen.

Hinter den Ermittlungsergebnissen steckt die Sonderabteilung „Organisierte IT-Kriminalität" und der Staatsschutz des Berliner LKAs, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft ausführte. Damit bestätigt er einen Motherboard-Bericht aus dem August dieses Jahres: Wie unsere Recherchen damals zeigten, ermittelten deutsche Polizeibeamte ebenfalls bereits gegen einen Kunden des Shops, der vergeblich versucht hatte, eine Waffe zu bestellen. Obwohl der Mann aus dem Raum Konstanz kam, wurden die weiteren Ermittlungen auch damals an das Berliner LKA, Abteilung Staatsschutz verwiesen.

Die Waffen, die auf Migrantenschreck.ru angeboten werden, können lebensgefährlich sein. So weist beispielsweise das Gewehr „Migrantenschreck HD130 Superior", das mit 9-Millimeter-Kaliber schießt, eine Schusskraft von potentiell tödlichen 130 Joule auf. Obwohl man sich auf Migrantenschreck.ru bemüht seriös und legal gibt, so ist das eigene Angebot nach deutschen Gesetzen eindeutig illegal: Die Produkte fallen allein schon aufgrund der hohen Mündungsenergie in die Kategorie scharfe Feuerwaffen und sind damit erlaubnispflichtig. Nach einer Waffenlizenz werden potentielle Kunden jedoch zu keinem Zeitpunkt während des Bestellvorgangs gefragt, im Gegenteil: Es wird sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, keinen Waffenschein zu benötigen. Damit wird auch jeder Bestellvorgang zur illegalen Handlung—und jeder Kunde zum Straftäter.

Ob die nun öffentlich gewordenen Erkenntnisse der Berliner Staatsanwaltschaft über Migrantenschreck zeitnah zu Festnahmen führen, ist unklar: „Im Moment entzieht sich der Beschuldigte unserem Zugriff", erklärte Martin Steltner gegenüber Motherboard. Das Angebot von Migrantenschreck ist unterdessen auch nach einem halben Jahr weiterhin online. Von neurechten und verschwörungstheoretischen Seiten werden die Waffen inzwischen mit ganz besonders feierlicher Taktik beworben: „Verschenken Sie zu Weihnachten einfach ein brachiales Stück Sicherheit. Neukunden erhalten 10% Rabatt. Gutschein-Code: WEIHNACHT2016", heißt es kurz vor dem zweiten Advent auf einer Page des russischen sozialen Netzwerks vKontakte. Urheber des Posts: Eine VK-Seite mit dem Namen

Anonymous.Kollektiv.