Werden wir schon bald den Auto-Verschönerungs-Apps verfallen?
The "Intelli-beauty" effect in PhotoWonder.

FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Werden wir schon bald den Auto-Verschönerungs-Apps verfallen?

Instagram-Filter könnten bereits in naher Zukunft der Vergangenheit angehören. Neue Apps versprechen nicht nur das Bild eures Selfies schöner zu machen, sondern gleich das ganze Gesicht.

Auf Instagram machte sich einst das Hashtag #nofilter breit. Gerade auf Instagram, der Plattform, die dafür bekannt ist, seinen Mitgliedern mit unzähligen Filter-Funktionen eine praktische Möglichkeit an die Hand zu geben, eitlen Selfies im Handumdrehen zu ästhetischer Größe zu verhelfen. Schnell war der Anti-Filter #nofilter selbst zu einer Art Filter mutiert. Doch seien wir ehrlich: Schon bald wird niemand mehr über Filter reden.

Anzeige

Um eins klarzustellen: Die Aussage „nofilter" verliert deswegen natürlich nicht ihren Wahrheitsgehalt—sie wird nur schlicht hinfällig, weil eh niemand mehr Filter benutzen wird, wenn uns stattdessen eine ganze Reihe außergewöhnlicher Möglichkeiten zur Verfügung steht, mit denen wir unsere Selfies pimpen können—z.B. Hautunreinheiten verschwinden lassen, die Nase nach Belieben umformen, Oberschenkel verschmälern oder virtuelles Makeup „auftragen".

Diese Funktionen gehören bereits jetzt zu den Standardfeatures von Foto-Bearbeitungsapps wie BeautyPlus, FaceTune, PhotoWonder und ModiFace, die sich vor allem einem Objekt widmen: dem menschlichen Gesicht.

In Asien erfreuen sich diese Apps, die normalerweise gratis sind, unglaublicher Beliebtheit—und die asiatischen Selfie-Konsumenten gelten weltweit als die fortschrittlichsten. Asiatische Unternehmen hatten aufgrund der extrem großen Nachfrage nach derartigen Apps bereits seit 2012dem mobilen Retuschieren den Weg bereitet. Im Gegensatz dazu schwappt dieser Hype erst jetzt so langsam nach Europa und in die USA herüber. Auch hier haben die Apps das Potenzial, zum Mainstream zu werden.

Im ersten Schritt wird das Gesicht schmaler gemacht, im zweiten dann die die Augen vergrößert.

Mitte April hatte Facebook die App BeautyPlus zu einer seiner sechs Partner-Apps ausgewählt, mit der man direkt über Facebook „Profilvideos" teilen kann. Von den sechs Apps, zu denen auch Vine und Boomerang gehören, ist BeautyPlus die einzige, die die Funktion des Retuschierens anbietet.

Anzeige

Ein Sprecher von Facebook erklärte, man würde die Apps entsprechend des aktuellen Bildbearbeitungsverhaltens der Nutzer auswählen und dass der Trend der Selfie-Retusche momentan genau wie kurze Profilvideos und Filtereffekte auf dem Vormarsch sei.

PhotoWonder und BeautyPlus, die insgesamt über 200 Millionen Nutzer verzeichnen, haben beide ihre Wurzeln in China: Erstere App wird von der riesigen chinesischen Suchmaschine Baidu unterstützt, letztere gehört dem Startup-Unternehmen Meitu, dessen Marktwert vor kurzem auf drei Milliarden US-Dollargeschätzt wurde. Und obwohl die Betreiber der App PhotoWonder behaupten, Nutzer aus 218 Ländern zu haben (und damit anscheinend einige der üblichen 196 Länder doppelt gezählt haben), deuten die von ihnen angebotenen Funktionen wie das Aufhellen der Haut oder die Vergrößerung der Augen deutlich darauf hin, dass die App allen voran auf die ästehtischen Bedürfnisse des asiatischen Markts zugeschnitten wurde.

Mit PhotoWonder kann man sein Selfie beispielsweise mit nur einem einzigen Klick auf die sogenannte „Intelli-Beauty"-Funktion an sein Schönheitsideal anpassen: im ersten Schritt wird das Gesicht „schmaler" gemacht, und im zweiten werden die „Augen vergrößert." Wir können daraus folgern, was in etwa die Quintessenz eines schönen, wünschenswerten Gesichts ist: klare, überdimensional große Augen und ein leicht spitz zulaufendes Kinn. Und doch erinnert das fertig „verschönerte" Selfie eher an eine dieser Bratz-Puppen oder einen Koboldmaki.

Anzeige

Die Faszination für Selfies und Social Media nimmt in Asien viel größere Ausmaße an als in Europa und Nordamerika zusammen, sagte der Medientheoretiker Lev Manovich. „Der entscheidende Punkt ist hierbei aber, dass ein schönes Gesicht in Asien scheinbar viel wichtiger ist als im Westen, und dieses Ideal durch etliche Schritte wie viel Makeup, hautaufhellende Produkte und auch nicht selten durch Schönheitsoperationen zu erreichen versucht wird."

„Es geht hierbei also keinesfalls um ein ‚natürliches' Schönheitsideal, sondern ganz im Gegenteil um ein komplett konstruiertes."

Das bedeutet aber nicht, dass sich der Selfie-Retusche-Trend früher oder später nicht auch bei den westlichen Nutzern durchsetzen wird.

FaceTune ist in den USA bereits jetzt die zweitbeliebteste kostenpflichtige App im iTunes Store und trägt das Gütesiegel von immerhin einer der Kardashians. FaceTune kostet dabei 3,99 US-Dolllar, ist jedoch im Vergleich zu ihrem asiatischen Pendant ganz klar eine abgespeckte Version der App—man kann zum Beispiel nicht sein Makeup wechseln—doch immer noch praktische Zusammenstellung grundlegender Bildretusche-Funktionen in Magazinqualität.

Einige Funktionen wie die Glättung der Haut und das Aufhellen der Zähne sind natürlich weltweit beliebte Features, sagte Eric Villines, Vizepräsident für Marketing bei Meitu, das hinter der Beauty-App BeautyPlus steht. Trotzdem zeichnen sich bei der Nutzung der App durch asiatische und westliche Nutzer große Unterschiede ab.

„In westlichen Ländern mögen die Nutzer ihre Fotos eher natürlich", sagte er. „Doch in Ländern wie China, Korea und Japan—in denen diese Apps ausgereifter und weiter verbreitet sind—setzen die Nutzer die Auto-Verschönerungs-Funktion um einiges intensiver ein."

Natürlich ist jeder Selfie-Trend grundsätzlich antisozial. Daher gibt es zum Beispiel bei keiner der Apps eine Funktion, mit der man Gruppenfotos bearbeiten könnte. Das würde ein Maß an Interesse erfordern, das die meisten Menschen scheinbar ausschließlich für ihr eigenes Antlitz aufbringen können. Vor allem aber sind die Apps, mit denen man digital Makeup auftragen kann, wie eine Verlängerung des Netflix-Binge-Watchings zu sein: Bald könnte der Tag kommen, an dem wir unser Haus gar nicht mehr verlassen müssen, da wir mit entsprechender App auch von der Couch aus ein super aufgestyltes Selfie von uns produzieren können, das wir mit der Welt teilen können.