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Das spektakuläre Erbe des gescheiterten Satelliten Hitomi

Kurz bevor sich sein Schicksal besiegelte, sah der Satellit eine der größten bekannten Strukturen im Universum—in 240 Millionen Lichtjahren Entfernung.
Der Perseushaufen, eingefangen vom Chandra Röntgenteleskop der NASA. Bildquelle: X-ray: NASA/CXC/SAO/E.Bulbul, et al.

Das Schicksal meinte es nicht gut mit Hitomi. Bereits kurz nachdem der Satellit im Februar von der japanischen Raumfahrtbehörde JAXA ins All geschossen wurde, segnete er auch schon vorschnell das Zeitliche. Schuld daran war eine unglückliche Kombination aus menschlichem und technischem Versagen, die Hitomi nach lediglich einem Monat auf Reisen in einen unkontrollierbaren Strudel riss und ihn in rasanten Umdrehungen in die unendlichen Weiten des Weltraums entgleiten ließ.

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Statt der Menschheit neue Erkenntnisse über die Geheimnisse des Universums zu liefern und wie geplant Schwarze Löcher zu erforschen, schleuderte Hitomi fortan nur noch Trümmerteile ins All und ward nie mehr gesehen. Doch wie sich jetzt herausstellte, war der vorzeitige Defekt des Satelliten im März nicht umsonst. Während der etwa fünf Wochen, die er intakt im Weltraum schwebte, hat er eine ganze Menge wertvoller Bilder für die Wissenschaft aufnehmen können.

Die Aussicht, die der Satellit kurz vor seinem letzten Atemzug genießen durfte, war tatsächlich faszinierend: Er sah den 240 Millionen Lichtjahre entfernten Perseushaufen, ein Konglomerat aus hunderten von Galaxien, die von der Schwerkraft zusammengehalten werden. Der Perseushaufen ist unglaublich groß und eine der größten dem Menschen bekannten Strukturen im Universum.

„Perseus war ein perfektes Ziel und Hitomi war mit herausragenden Geräten ausgestattet", sagte der Astrophysiker Brian McNamara, einer der Autoren eines neuen Papers, das

diesen Mittwoch in der Fachzeitschrift Nature herausgegeben

wurde. In dem Paper werden die ersten veröffentlichten Ergebnisse von Hitomi vorgestellt. Sie könnten dabei helfen, zu erklären, wie supermassive Schwarze Löcher ihre galaktische Umgebung regulieren.

Verschollen auf dem Weg zu Schwarzen Loch: Was ist mit Hitomi passiert?

Die Veröffentlichung zeigt noch einmal, welch internationales Engagement für Hitomis Reise nötig war, denn tatsächlich wurde die unter japanischer Leitung durchgeführte Mission durch Mitarbeiter aus aller Welt erst möglich gemacht—unter anderem halfen Wissenschaftler aus Kanada, den USA und Europa. Das Paper hat dementsprechend etwa ein Dutzend internationaler Autoren.

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Der Perseushaufen. Das linke Bild ist eine Nahaufnahme der aktiven Galaxie NGC 1275, dem zentralen, dominanten Mitglied des Perseushaufens. Das rechte Bild wurde von einem Röntgenteleskop aufgenommen und zeigt, dass der gesamte Galaxiehaufen von einer Atmosphäre aus Plasma umgeben ist. | Bilddaten: Hubble Legacy Archive, ESA, NASA; Processing - Al Kelly

Das Sternbild Perseus besteht aber nicht nur aus Galaxien. Es hat eine „Atmosphäre" aus heißem Plasma, das sich auf mehrere zehn Millionen Grad erhitzt, sowie einen unsichtbaren Ring aus dunkler Materie, erklärte McNamara gegenüber Motherboard. Für das menschliche Auge (und für optische Teleskope) ist das Plasma unsichtbar, mit seinen besonders empfindlichen Geräten jedoch gelang es Hitomi, die vom Plasma ausgesendeten Röntgenstrahlen zu erfassen.

Das heiße Plasma spielt im Universum eine besonders wichtige Rolle. Seine Masse ist „größer als alle Sterne aller Galaxien zusammen", sagte der Wissenschaftler von der University of Waterloo: „Es ist überall." Das Plasma beinhaltet auch die Rohstoffe, aus denen Sterne, Galaxien, Planeten und letztlich auch wir Menschen bestehen.

Warum aber konnte das von Hitomi fotografierte Gas nicht abkühlen und sich in solch verschiedenen Formen materialisieren? Offenbar kommt es zu einer Art Rückkopplungsschleife. Während das supermassive Schwarze Loch die umliegende Materie abgrast, gibt es riesige Mengen an Energie ab. Außerhalb des Ereignishorizonts des Schwarzen Lochs strömt Hitze aus, die „Bläschen erzeugt, die durch das Gas treiben und es somit heiß halten", erklärte McNamara. Diese Bläschen treiben wie Champagnerbläschen durch das heiße Plasma und verhindern, dass es abkühlt und neue Galaxien bildet.

Eine Montage aus einem Chandra Röntgenbild vom Kern des Perseushaufens mit dem vom Hitomi Röntgenspektrometer eingefangenen Bereich, der auf dem Bild gelb umrissen ist. Der Röntgenbereich weist links auch Emissionen von Helium-ähnlichem Eisen (d.h. Eisen mit nur zwei Elektronen) und rechts von Wasserstoff-ähnlichem Eisen (d.h. Eisen mit nur einem Elektron) auf. Die Dichte der Emissionslinien deutet darauf hin, dass zufällige Bewegungen in dem 100 Millionen Grad Celsius heißen Gas im Kern des Perseushaufens lediglich eine Geschwindigkeit von 164+/-10 km/s erreichen. | Bild: Hitomi Collaboration/JAXA, NASA, ESA, SRON, CSA

Auf diese Weise dient das supermassive Schwarze Loch als eine Art großes galaktisches Korrektiv. In Laufe der nächsten Milliarden Jahre wird aus dem heißem Plasma eine neue Generation von Sternen und Planeten entstehen, doch wann genau es dazu kommt, bestimmt ausschließlich das Schwarze Loch.

Was Hitomis Schicksal angeht, „verdeutlichen diese Ergebnisse das Tragische an dem vorzeitigen Verlust", so McNamara. Obwohl die Wissenschaftler kurz nach dem Versagen des Satelliten nicht viel darüber preisgeben wollten, was eigentlich passiert war, sagen sie jetzt, dass der Unfall durch menschliches Versagen und einen fehlerhaften Befehl zustande gekommen ist, durch den der Satellit außer Kontrolle geriet.

Doch es ist nicht alles verloren. McNamara vermutet, dass aus dem während der Mission gesammelten Material noch weitere zehn bis fünfzehn Paper entstehen werden. „Es gibt trotz der kurzen Zeit, die Hitomi im Weltall verbracht hat, so viele Informationen", sagte er. „Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis wir all diese Informationen sortiert und verstanden haben."

Vorschau-Bild: Wikimedia | NASA | Public Domain