Wie es ist, als Ziege zu leben

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Wie es ist, als Ziege zu leben

Es war nicht einfach, die Ziegen davon zu überzeugen, dass dieser komische Typ mit den Prothesen und dem Helm tatsächlich einer von ihnen ist.

Alle Fotos: Tim Bowditch

Thomas Thwaites versucht gerade herauszufinden, wie es wäre, als Ziege zu leben.

Er hat sich dafür extra Prothesen für seine Arme und Beine bestellt. Und er überlegt gerade noch, ob er sich auch einen künstlichen Pansen anfertigen lässt. Dann könnte er nämlich genau wie seine vierbeinigen Freunde Gras mithilfe von Darmbakterien verdauen. Für sein Vorhaben zog Thwaites einen Fachmann für das Verhalten von Ziegen zu Rate und schaute sogar beim Sezieren einer Ziege zu. Er erhofft sich so, mehr über dieses Tier zu erfahren, in das er sich verwandeln möchte.

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Und zur Krönung verlebte Thwaites dann sogar ein paar Tage als Ziege auf einer Ziegenfarm in den Schweizer Alpen.

Foto: Tim Bowditch

„Für einen Kilometer oder so konnte ich auf dem steinigen Berggrund mithalten, dann haben sie mich einfach abgehängt", berichtet mir Thwaites per Skype.

„Den ganzen Tag habe ich dann versucht, sie einzuholen. Als ich sie endlich gefunden hatte, war es tatsächlich ganz nett auf dieser Weide mit dem weichem Gras. Nur der Abstieg war schrecklich. Wenn ich hinfiel, konnte ich mich nicht mit den Händen abfangen und knallte einfach auf einen Stein."

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Thwaites ist ein Konzeptdesigner aus England, der sich für die Zukunft, Technologie und Wissenschaft interessiert. In der Vergangenheit beschäftigte er sich in seinen Projekten mit der Zukunft der Gentechnik und mit Nebo, einer Art hypothetischem „Dienstleistungsgott". Sein jüngstes Projekt ist ähnlich: Es untersucht, wie die Menschen sich in der Zukunft „erweitern" können.

Foto: Tim Bowditch

Foto: Tim Bowditch

„Posthumanismus oder transhumanistische Technologie und das ganze Zeug werden es den Menschen ermöglichen, ihre Wünsche zu erfüllen. Ich vermute allerdings, dass es manchen nicht unbedingt darum geht, superintelligent zu werden," sagte Thwaites im Interview.

„Ich denke, ich mache daraus eine fortlaufende Sache. Es so verlockend, einfach davon zu galoppieren, frei zu sein und sich einfach nur von Gras zu ernähren."

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Es leuchtet ein, dass nicht jeder zum Cyborg werden möchte. Manche möchten sich vielleicht nicht weiterentwickeln, sondern sich ganz im Gegenteil zurückentwickeln und alles vereinfachen.

Foto: Tim Bowditch

„Ein nichtmenschliches Tier zu sein? Das ist so viel entspannter und einfacher!" schrieb mir Thwaites per Email. Er wollte schlicht herausfinden, wie es sich als Geschöpf ohne Sorgen und Frustrationen, ohne den „existentiellen Schrecken" des Alltags, so lebt. Und er versuchte es, so authentisch wie möglich, aber mithilfe modernster Technologie, zu tun.

„Und dann hat die biomedizinische Wohlfahrtsorganisation Wellcome Trust mir plötzlich das Go gegeben und mich mit einem kleinen Kunststipendium versorgt", schreibt er.

Foto: Tim Bowditch

Thwaites setzte sich das Ziel, als Ziege die Schweizer Alpen zu überqueren. Er fand eine nette Ziegenherde, die ihn im September 2014 bereitwillig aufnahm. Aber er merkte schnell, dass es alles andere als einfach ist, als Ziege zu leben und sich auf dem steinigen Gelände mit starkem Gefälle fortzubewegen.

Zeit, sich an die Prothesen zu gewöhnen, hatte er kaum. Und immerhin lastet bergab fast sein gesamtes Körpergewicht auf seinen Armen. Da es viel zu kalt und nass war, um mit den Ziegen draußen zu schlafen, schlugen Thwaites und sein Team jeden Abend ein Lager auf. Und natürlich war es auch nicht einfach, die Ziegen davon zu überzeugen, dass dieser komische Typ mit den Prothesen und dem Helm tatsächlich einer von ihnen ist.

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Foto: Tim Bowditch

„Einmal, als ich fast auf dem höchsten Punkt des Hügels über der Ziegenherde stand, fiel mir plötzlich auf, dass alle anderen Ziegen aufgehört hatten zu kauen und mich ansahen," erinnert sich Thwaites. „Bis dahin hatte ich keine Angst, aber plötzlich fielen mir ihre spitzen Hörner auf."

„Eine bestimmte Ziege, mit der ich viel Zeit verbracht hatte, schien die Situation zu entschärfen," berichtet er. „Vielleicht vermenschliche ich das Ganze zu sehr, aber so kam es mir wirklich vor."

Photo: Tim Bowditch

Ein anderer Ziegenbauer, dessen Herde mit Thwaites graste, war auch der Meinung, dass sie ihn akzeptierten. Thwaites begleitete die Herde drei Tage lang und verbrachte noch drei weitere Tage alleine als Ziege.

Photo: Tim Bowditch

Im September wird Thwaites seine Fotos und andere Materialien des Projekts in der Londoner Studio1.1 Gallery ausstellen. Sein Buch „ZiegenMann: Meine Auszeit vom Menschsein" erscheint im kommenden Frühling.

„Ich denke, ich mache daraus eine fortlaufende Sache. Es so verlockend, einfach davonzugaloppieren, frei zu sein und sich einfach nur von Gras zu ernähren," erzählt Thwaites. „Ob mir das wirklich so elingt, weiß ich nicht, aber in meiner Vorstellung bin ich nur einen Prototyp davon entfernt."