Philosophie der Drohnen
US-Soldaten im gepolsterten Kampfeinsatz. Bild: Wikimedia Commons / US Air Force, Master Sergeant Steve Horton. Lizenz: Public Domain.

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Philosophie der Drohnen

Der Philosoph Grégoire Chamayou untersucht in seinem neuen Buch, wie unbemannte Flugsysteme den Krieg, die Moral, den Blick und die Philosophie selbst verändert haben.

Jäger sein, dass bedeutet frische Luft zu atmen, durch Wälder und Täler zu ziehen, die Beute zu verfolgen, zu spähen, zu zielen—das edle Töten. Wenn Wild aber aus der Distanz gejagt wird, so gilt dies als verabscheuungswürdiges Morden: Der virtuelle Jäger, der per Internet tötet, gilt als niederster Charakter in der Jägerethik—so ist es jedenfalls, wenn es um Tiere geht. Menschen auf diese Weise zu jagen, gilt wiederum als ethischer Fortschritt.

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In seinem neuen Buch ‚ Théorie du drone', untersucht der französische Philosoph Grégoire Chamayou genau jene „Mythen", die verschleiern, warum das Eine in unserer Gesellschaft moralische Empörung auslöst, das Andere aber als Perfektionierung des Krieges angesehen wird.

Grégoire Chamayou arbeitet heraus, wie sich die Philosophie selbst in den Dienst der Kriegsführung mit Drohnen stellt. Er untersucht, wie die unbemannten Flugobjekte durcheinander bringen, was wir im Krieg für richtig und falsch halten: die „Moral des Krieges", nennt Chamayou jene legitimierenden Grundierungen des Geschehens, die uns sagen, wer sterben darf und wer nicht; warum wir entsetzt sind, wenn Frauen und Kinder sterben, und wann wir sie als Kollateralschäden hinnehmen:

Wann gilt Töten und Sterben als erlaubt und ehrenhaft, und wann wird es als „unmenschlich" bezeichnet? Die Antwort darauf, sagt Chamayou, wurde von der Philosophie gegeben. Sie arbeitet seit ihren Anfängen daran zu bestimmen, wo die Grenzen dessen liegen, was im Krieg erlaubt ist. Sie ist es auch, die heute in aller Eile umdeutet, was gesagt wurde, damit rechtens wird, was noch Unrecht ist.

Ein Blick, der zur Waffe wird

Chamayou widerspricht der gängigen Beschreibung unsere gegenwärtigen militärischer Konflikte: Wir befinden uns nicht in asymmetrischen Kriegen, sondern in einem unilateralen Konflikt, in dem es zwar Tote gibt, aber eben nur auf einer Seite, während die andere Seite sicher in ihrem „gemütlichen Kokon einer klimatisierten Safe-Zone" verweilt.

Drohnen erzählen die Geschichte „eines Blickes, der zur Waffe wurde", sagt Chamayou. Dahinter steht für ihn der Traum „ein kleines Äquivalent der Fiktion des göttlichen Auges" zu erschaffen. Schon realisiert ist ein Blick, der niemals schläft, denn „das mechanische Auge blinzelt nicht". Im Schichtdienst wechselt ein Soldat, den nächsten hinter dem Bildschirm ab. Nur, dass aus allen Perspektiven geschaut und nach Belieben vor und zurück gezoomt wird, ist eine Vorstellung, die technologisch noch nicht realisiert ist.

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Drohnen werfen einen Blick, der nicht vergisst, was er sieht, der Bilder fortwährend sammelt, um sie zu interpretieren. Chamayou lässt die Technologen und Ingenieure hinter der Drohnenentwicklung ihre Vision beschreiben: das Ideal wäre, spricht einer von ihnen, einen Film über eine ganze Stadt drehen zu können. So könnte die Bewegung von jedem Mensch und jedem Auto jederzeit nachverfolgt werden. „Man könnte ihn tausend Mal wiederholen, und sich jedes Mal auf eine andere Person fokussieren." Material dafür gäbe es schon genug, 2009 wurden von Drohnen so viele Bilder gesammelt, dass daraus ein 24-jähriger Film geworden wäre.

Als nächster Entwicklungsschritt steht nun eine Verbesserung der Datenanalyse an, so dass aus Pixeln der Inhalt automatisiert herausgelesen und mit Tags versehen wird. Das würde nämlich erlauben die schematisierende Analyse der Lebensformen („pattern of life analysis") und die Detektion von dem, was als anormales Verhalten definiert wird, zumindest teilweise zu automatisieren. All das ist alles andere als perfektioniert und die DARPA investiert dafür in Forschung zu intelligenter Überwachungsanalyse wie dem ‚Cognitive Engine'. Und auch Firmen wie Predicted Future arbeiten daran, aus all den uns umgebenden Daten, automatisiert diejenigen herauszufiltern, die andeuten, wer gefährlich werden könnte.

Nach der von Drohnen inspirierten Konzeption militärischer Moral, ist es schlecht zu töten und sein Leben zu exponieren, gut hingegen Leben zu nehmen ohne sein eigenes zu riskieren. Das ist das erste Prinzip einer paradoxen vitalistischen Nekro-Ethik der Drohnen.

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Bislang bleibt der Krieg durch Drohnen bloß „eine Taktik, aber keine Strategie", sagt Chamayou. Der Terrorist gilt als Verrückter, der ausradiert werden muss. Idealerweise antizipiert eine Analyse seine Taten, bevor er sie ausführen kann. Die Konsequenzen eines Anschlags für die Bevölkerung und auch, wer genau zum nächsten Terroristen wird, ist aus dieser Perspektive zweitrangig bis uninteressant.. Von den Lebensumständen der Menschen, die unter den Drohnenangriffen leben, einmal ganz zu schweigen.

Chamayou beschreibt den Drohnenkrieg als „unendliche Hinrichtung". Unendlich auch, weil nur die wenigsten Anschläge der Drohnen gezielt bestimmte Personen treffen, die auf der ‚Kill List' bzw. der sogenannten ‚ Disposition Matrix' aufgeführt sind.

Bild: Eine mit Hellfire Raketen bewaffnete Drohne. US Air Force / Wikimedia Commons. Lizenz: Public Domain.

Die Mehrheit der Drohnenangriffe sind Signatur-Schläge. „Wenn wir einmal entschieden haben, dass ein Einzelner böse ist, werden die Leute die ihn frequentieren es auch", sagt ein US-Offizier dazu. Es genügt jemanden zu kennen, etwas zu tun oder zu tragen, das als auffällig gilt, dass jemand hingerichtet wird, ohne dass zuvor überhaupt recherchiert wurde, um wen es sich eigentlich handelt. „Wenn die CIA drei Typen Aerobic machen sieht, glaubt sie, es ist ein terroristisches Trainingslager", so ein Witz, der in der US-Administration dazu kursiert und darauf verweist, wie aus schlechten Bildern auch Exekutionen von völlig Unschuldigen wurden.

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Chamayou spricht von einer Methodologie der gefährlichen Umwelt, für die mittels, der so genannten ‚Kill Box' gearbeitet wird.

„Es geht nicht mehr darum ein Gebiet zu besetzen, sondern es aus der Höhe zu kontrollieren."

Seit den 1990er Jahren wird dafür eine transparente Box über das Gelände gelegt, ein flexibles Kampffeld, in dem Flugkräfte temporär ohne weitere Absprachen töten dürfen, wer ihnen gefährlich erscheint. Es ist die Möglichkeit außerhalb von offiziellen Konfliktzonen zu denken. Das Ideal dabei wäre die Präzision zu erhöhen, hin zum Körper des Feindes als Kill Box, wie Militärtechnologen ihre Vision beschreiben: Libellen in den Lüften, die schnurstracks und präzise Einzelne eliminieren, ohne andere zu belangen.

Helden, die ihre Psyche opfern

Können Soldaten, die kleine Libellen per Fernbedienung steuern, noch Helden sein? Das Militär hat daran jedenfalls großes Interesse. Denn die traditionellen Tugenden im Militär – Mut, Opferbereitschaft, Heldentum – hatten eine klare ideologische Funktion: „Sie sollten das Gemetzel akzeptabel, besser noch glorreich machen", sagt Chamayou. In der klassischen Philosophie, erzählt er, war „Krieg die ethische Erfahrung par excellence: Krieg führen, das bedeutet zu sterben lernen".

Besteht denn kein Widerspruch zwischen der obligatorischen Bereitschaft zu Sterben und dem Schutz der eigenen Soldaten? Mao jedenfalls meinte dazu, dass beide Aufgaben einander bedingen und zusammen die militärische Tätigkeit erst ausmachen. Der Drohnenpilot allerdings operiert losgelöst von der Pflicht zur persönlichen Opferbereitschaft. Es ist ihm sogar praktisch ausgeschlossen im Einsatz zu sterben und „Heldentum und Mut werden unmöglich", meint Chamayou. Er sieht dies nicht als Zeichen für das Ende der Ära des Heldentums, sondern als letzten Beweis, dass wir die Zeit militärischer Helden letztlich schon lange hinter uns gelassen haben.

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Die neue militärisch-moralische Interpretationsarbeit zielt darauf ab, den „Tod zu verachten". Als schlecht gilt nunmehr eine Armee, die das Leben ihrer Soldaten exponiert, gut diejenige, die alles daran setzt sie zu schützen. „Heute wird es verurteilt, sich einem Risiko auszusetzen, es wird darauf geachtet ohne Gefahr zu töten. Für das Heimatland Leben zu nehmen, war sicher schön, aber für die Heimat töten, die uns nunmehr diese schwere Last abnimmt, das ist doch noch viel besser", erklärt Chamayou.

Das Konzept für die Moral der Zukunft ist klar, aber das Militär ist dafür noch nicht bereit, wie die jüngste Debatte um die Medaillenvergabe für Drohnenpiloten zeigt. 2012 sollten auch sie für Heldenmut im Kampfeinsatz ausgezeichnet werden, aber nach Protesten, wurde die Entscheidung verzögert und bleibt bis heute aus.

Worin könnte denn die Bravour eines Drohnenpiloten bestehen? „Es braucht Mut, um ein Mörder zu sein", fass Chamayou jenes Dogma zusammen, welches uns für gewöhnlich erzählt wird. Da wären zum Beispiel die Berichte darüber, wie schwer es den Soldaten fällt mitanzusehen, was die Konsequenzen ihrer Handlungen sind. Mit der Präzision ihrer Bildschirme würden sie realistisch mit ansehen, wie Menschen verbluten, panisch auseinanderlaufen und ihre Verletzte bergen.

Empathie, wurde bislang als Schwäche angesehen, die den Soldaten von seiner Mission abhält – nämlich töten – , soll heute den Drohnenpiloten einen menschlichen Touch geben. Helden werden sie, weil sie zwar mit leiden, aber dann alles daran setzen, die störenden Gedanken und Gefühle abzuschließen, und mit ihnen zu leben.

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„Das neue Heldentum ist rein psychischer Natur", sagt Chamayou. Statt der Bereitschaft zu sterben, also physisch verletzt zu werden, zeichnet Soldaten nunmehr die Bereitschaft sich psychisch zu verletzen aus. Die Ideen zur Verletzbarkeit der Soldatenpsyche im Krieg, die ursprünglich aus feministisch-pazifistischer Perspektive nach dem Ersten Weltkrieg proklamiert wurde, findet heutzutage Verwendung als Untermauerung und Legitimation des Krieges.

Die Rede von den psychischen Leidens des neuen Soldatentums, zeigt sich beispielsweise auch in den Berichten von posttraumatischen Belastungen der Jäger auf Distanz, die Chamayou als völlig haltlos zurückweist. Keine empirische Untersuchung konnte dies bislang ordentlich belegen, vielmehr würden die Piloten, erklärt der Philosoph, unter Stresssymptomen leiden, wie sie für einen Schichtdienst und Nachtarbeit typisch sind; manche leiden auch unter Schuldgefühlen.

Unter dem schönen Ausdruck „Perpetration Induced Traumatic Stress" (PITS) hat Rachel MacNair sich mit den psychischen Folgen des Tötens beschäftigt. Chamayou sieht in diesem Ansatz die letztlich entscheidenden moralisch-subjektiven Fragen eines Drohnenpiloten: Wie gehe ich damit um, zu töten, und danach einfach nach Hause gehe? Wie führe ich einen Krieg, ohne im Krieg zu sein?

Die Kriegsmoral der Drohne

Wie können wir sicherstellen, dass ein Krieg, der so geführt wird, nicht zu einer Jagdpartie wird? Dass Krieg nicht bloß die Entscheidung eines Einzelnen aus Lust und Laune wird?

Die Frage hat sich schon Kant gestellt. Die Republik war seine Antwort darauf, denn wenn die Bürger und Wähler „mit ihrem Körper zahlen müssen", wie es Chamayou sagt, kommt es zum demokratischen Pazifismus: ein Krieg wird nicht gern begonnen, man könnte ja seine Wähler verlieren. Mit Drohnen funktioniert dieses Kriegsmoralrecht nicht mehr. Der Staat kann nun tun was er will, der Einsatz ist vom Leben des Bürgers entkoppelt, den es nicht betrifft und deshalb auch nicht mehr kümmert.

Vielleicht kann uns nur noch die eigene technologische Selbstaufrüstung retten, an der zum Beispiel der Künstler Adam Harvey arbeitet: eine thermische Kleidung, die einen für die Drohnen fast unsichtbar werden lässt.

‚Théorie du drone' ist 2013 auf Französisch in den ‚Éditions la fabrique' erschienen.