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Granaten, Entführungen und abgeschnittene Hundeköpfe

Die Vorbereitungen für die ukrainischen Präsidentschaftswahlen werden in der Ostukraine von pro-russischen Rebellen massiv behindert.

Foto via AFP

„Wir sind von der Volksrepublik Donezk“, riefen Männer in Skimasken, als sie mit Maschinengewehren bewaffnet ein Treffen von Wahlleitern in Donezk stürmten. Nach Augenzeugenberichten befahlen die Bewaffneten der erschrockenen Wahlkommission des 44. Bezirks von Donezk, die für die Wahl am Wochenende vorbereiteten Materialen zu übergeben—dazu gehören offizielle Stempel, Wahllisten und Stimmzettel. Nach einem fragwürdigen Referendum am 11. Mai, das ohne internationale Beobachter, aber unter Bewachung von bewaffneten Milizsoldaten abgehalten wurde, erklärten die Rebellen, dass überwältigende 90 Prozent in den Donezk- und Luhansk-Oblasts für die Unabhängigkeit gestimmt hätten (auch eine Stichprobenbefragung durch die FAZ und sechs weitere deutsche Medien deutete auf eine große Mehrheit hin). Die Anführer der danach ausgerufenen Volksrepublik Donezk haben jetzt jeden Versuch, die für den 25. Mai angesetzte ukrainische Präsidentschaftswahl auf ihrem Territorium abzuhalten, für illegal erklärt. Wenige Tage vor der Abstimmung haben die pro-russischen Rebellen jetzt den Druck erhöht und überziehen den Osten des Landes mit einer Droh- und Gewaltkampagne, mit der sie die Wahl verhindern wollen. In den letzten Wochen haben Milizsoldaten mehrere Wahlhelfer und Lokalpolitiker in den östlichen Regionen entführt. Viele wurden nach ein paar Stunden mit deutlichen Einschüchterungen wieder freigelassen—aber nicht alle. Am 8. Mai tauchten bewaffnete Männer vor dem Haus von Alexey Deniko auf, einem Mitglied der nationalistischen Partei Swoboda. Die Rebellen zerbrachen ein paar Möbel, bevor sie den Politiker mit vorgehaltener Pistole abführten. Deniko wurde später, zusammengeschlagen und mit einer ernsten Schussverletzung, irgendwo liegengelassen. Als er in ein Krankenhaus im nahen Dnipropetrovsk verlegt werden sollte, wurde der Krankenwagen überfallen und er ein zweites Mal entführt. „So weit ich weiß, wird er immer noch von Separatisten festgehalten, ich glaube in Gorlovka“, sagte seine Frau Marina am Telefon aus einem Versteck. Marina, die nach dem Angriff auf ihren Mann aus ihrer Geburtsstadt floh, gibt an, dass Alexey unregelmäßiger Kontakt zu ihr erlaubt sei, aber dass sie sich „außerordentliche Sorgen“ um seine Gesundheit mache. Auch andere Unterstützer der Regierung in Kiew wurden bedroht. Am Dienstag riefen Beamte die Polizei und Sicherheitsdienste, nachdem ein stinkendes Paket mit Absender aus Odessa ins Büro des amtierenden Bürgermeisters Juri Granaturowa geliefert worden war. Als sie es auspackten, fand die Polizei einen verwesenden Hundekopf mit einer Handgranaten-Attrappe im Maul.

Polizisten diskutieren vor Granaturowas Büro über den Vorfall. Auf der anderen Seite hat der Übergangspräsident der Ukraine, Olexandr Turschinow, gestern angekündigt, dass die ukrainischen Streitkräfte den Kreis um Slawjansk enger ziehen würden. Slawjansk ist das Kernland der Separatisten. Bei einem Besuch an der Front einer sogenannten Anti-Terror-Operation in Izyum erklärte Turschinow VICE News: „Die Spezialeinheiten sind für die letzte Phase der Anti-Terror-Operationen bereit … wir werden die Terroristen aus den Regionen von Luhansk und Donezk entfernen können.“ Die Offensive hat seit ihrem Eintritt in die „aktive“ Phase Dutzende Leben auf beiden Seiten gekostet. „Die Wahlen werden [in den von den Rebellen kontrollierten Regionen] unter normalen Bedingungen durchgeführt werden“, fügte Turschinow hinzu, der versprach, sich um die „Probleme“ zu kümmern, mit denen die Wahlhelfer zu kämpfen haben. Trotz der kaum verborgenen Drohungen des Präsidenten macht die bewaffnete Miliz in der Region keine Anstalten zurückzuweichen. Am selben Tag, an dem der 44. Bezirk von bewaffneten Rebellen überfallen wurde, wurden laut Berichten noch 11 weitere Wahlkommissionen in der ganzen Ostukraine gestürmt und ihre Wahlmaterialien gestohlen. Die Überfälle fanden von Artemivsk, 43 Kilometer von Slowjansk entfernt, bis Mariupol statt, einem Industriehafen im Südwesten, wo die ukrainische Armee bei einer schiefgelaufenen Anti-Terror-Operation vor Kurzem sieben Menschen tötete. Die Beschlagnahmung von Wahlmaterialen machen nicht nur die Durchführung der Wahl in der Ostukraine logistisch fast unmöglich, sie erzeugen auch ein Klima der Angst bei potenziellen Wählern genauso wie bei Wahlhelfern. Olexandar Kliu, ein Analyst bei einer lokalen Wahlbeobachtungs-NGO, hat VICE News erklärt, dass gegenwärtig 30 Prozent der Wahllokale wegen Personalmangels nicht öffnen werden können. Diese Zahl beinhaltet die Änderungen der Kiewer Regierung, die die Mindestanzahl von gesetzlich notwendigen Wahlbeobachtern von dreizehn auf acht gesenkt hat. Die Zahl der ungeöffneten Lokale wird in den nächsten Tagen wahrscheinlich noch zunehmen. „Wir arbeiten jetzt im Untergrund“, erklärt Alexandr, ein Vertreter des Präsidentschaftskandidaten Sergej Tihipko und Leiter einer Bezirkswahlkommission in Donezk. „Ich sage Leuten nicht mal mehr, was ich arbeite.“ Alexandr, der im normalen Leben eine Autowaschanlage betreibt, erzählt, dass der Wahlkampf dieses Jahr auf Eis gelegt wurde. „Normalerweise verteilen wir Flyer und Wahlkampfmaterial“, sagte er uns. „Aber jetzt ist es zu gefährlich, solche politischen Aktivitäten zu machen.“ „Wir haben alle Angst“, fügte er hinzu, während er unruhig auf die Bilder der Überwachungskameras blickte, die seine Autowaschanlage umgeben. „Ich habe große Sorge um mein Geschäft, sie könnten es abbrennen.“