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Jan Marsalek, der meistgesuchte Mann der Welt, wollte offenbar Spionagetools kaufen

Der flüchtige Wirecard-Manager Jan Marsalek gab sich mutmaßlich als Gesandter Grenadas aus, um an Spionagesoftware zu kommen.
Ein Stand des Finanzdienstleisters Wirecard beim Web Summit. Ex-Manager Jan Marsalek befindet sich momentan auf der Flucht, 2013 soll er versucht haben, Hacking Tools beim italienischen Unternehmen Hacking Team zu kaufen

Jan Marsalek, der flüchtige Ex-Vorstand des Unternehmens Wirecard, hatte 2013 offenbar einen dreisten und bizarren Versuch unternommen, Hacking-Werkzeuge und Überwachungstechnologie von einem italienischen Unternehmen zu kaufen. Dies legt eine gemeinsame Recherche von Der Spiegel und VICE nahe.

Der 40 Jahre alte Österreicher Jan Marsalek war bis Juni Manager des Finanzdienstleisters und DAX-Unternehmens Wirecard, gegen das momentan wegen Marktmanipulation und Bilanzfälschung ermittelt wird. Marsalek gilt als Hauptverdächtiger und befindet sich aktuell auf der Flucht.

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Anscheinend hatte sich Marsalek 2013 geschäftlich mit dem umstrittenen italienischen Unternehmen Hacking Team getroffen, das dafür berüchtigt war, Überwachungstechnologie an Regierungen zu verkaufen. Damals trat Marsalek als offizieller Gesandter der Regierung von Grenada auf, einem kleinen Karibikstaat mit rund 100.000 Einwohnern. Das suggeriert jedenfalls ein Schreiben, das auf dem offiziellen Briefpapier der Regierung Grenadas gefertigt wurde. Die Dokumente sind Teil eines Datensatzes, der 2015 nach einem Hack von Hacking Team ins Internet gestellt worden war.

Anhand der Dokumente allein lässt sich nicht bestätigen, ob Marsalek irgendeine Rolle beim Versuch, Spionagesoftware zu kaufen, spielte oder ob jemand anderes seinen Namen verwendete. In den Wochen vor dem mutmaßlichen Kontakt mit Hacking Team wurden allerdings mehrere offiziell klingende Websites wie StateOfGrenada.org unter Jan Marsaleks Namen registriert. Das hatte Der Spiegel bereits vergangene Woche berichtet. Einige der Seiten waren mit Marsaleks Telefonnummer und seiner damaligen Adresse in München registriert, die Server wurden von Deutschland aus betrieben.

Das deutsche Unternehmen Wirecard galt bis dieses Jahr als eines der wichtigsten Unternehmen der sogenannten Fintech-Branche. Anfang Juni wurden die Geschäftsräume in Aschheim von der Staatsanwaltschaft München durchsucht. Die Vorwürfe: Marktmanipulation und 1,9 Milliarden Euro, deren Existenz das Unternehmen nicht belegen kann. Wirecard hat inzwischen Insolvenz beantragt.

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Der Hauptverdächtige Marsalek ist vermutlich nach Belarus geflohen und soll sich momentan in Russland aufhalten, unter Aufsicht des russischen Militärgeheimdienstes, wie das Handelsblatt berichtete. Das britische Investigativ-Magazin Bellingcat bezeichnete Marsalek als “meistgesuchten Mann der Welt”.

Bereits in der Vergangenheit war Marsalek in eine Reihe sonderbarer Geschäfte verwickelt: Er soll versucht haben 15.000 libysche Milizen zu rekrutieren und behauptete, mit dem russischen Militär einen Ausflug nach Syrien gemacht zu haben, heißt es in der Financial Times.

"Bezüglich der Unterhaltung mit unserem Repräsentanten, Herrn Jan Marsalek, bestätigen wir hiermit das Interesse der Regierung Grenadas an einem möglichen Kauf der Smartphone-Überwachungsplattform ihres Unternehmens ", steht auf einem Schreiben, das auf dem offiziellen Briefpapier der Regierung Grenadas gedruckt zu sein scheint. Der Brief ist auf den 31. Oktober 2013 datiert und trägt die Unterschrift des damaligen grenadischen Außenministers Nickolas Steele.

Ein Brief der mit Jan Marsalek in Verbindung gebracht wird

Ein Brief, der sich im Anhang von E-Mails des mexikanischen Vermittlers und Hacking Team befand

Zusammen mit einem mexikanischen Vermittler scheint Marsalek ein Treffen am 27. November 2013 in der Hauptgeschäftsstelle von Hacking Team in Mailand vereinbart zu haben. Das geht aus den geleakten E-Mails hervor. In einer auf den 28. November datierten Mail ist die Rede von einem "erfolgreichen Meeting" mit Marsalek und einem Kollegen "bezüglich Grenada".

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"Marsalek wird seine Eindrücke den Behörden in Grenada schildern, wenn positiv, der Vorgang wird rund drei Wochen dauern. Haltet uns bitte auf dem Laufenden", schrieb Marco Bettini, einer der Gründer von Hacking Team und damaliger Sales Manager.

Ein ehemaliger Hacking-Team-Angestellter, der hier anonym bleiben will, hat uns gegenüber bestätigt, die E-Mails zu dem Treffen erhalten zu haben. Er sagt allerdings, dass er bei dem Treffen nicht dabei gewesen sei.

Wie Spiegel und VICE herausgefunden haben, ist Marsalek nie ein Vertreter der Regierung von Grenada gewesen.


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Steele, inzwischen der Gesundheitsminister von Grenada, sagte in einem Telefongespräch, dass das geleakte Dokument in den E-Mails von Hacking Team gefälscht sei.

"Ich kann Ihnen definitiv sagen, dass der angehängte Brief, der zu meiner Unterschrift und zu meinem damaligen Posten Ähnlichkeiten aufweist, ein gefälschtes Dokument ist", sagte Steele in dem Anruf und bezieht sich damit auf das augenscheinliche Geschäft zwischen Grenada und Hacking Team. "Ich habe diese oder eine ähnliche Anfrage garantiert nicht gestellt."

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Steele bestätigte gegenüber Spiegel und VICE, dass er Marsalek und eine andere Person, deren Name in dem Dokument auftaucht, im Sommer 2013 getroffen hat. "Er war ein sehr charismatischer junger Mann, der gut reden konnte", erinnert sich Steele. Bei den Treffen ging es um einen Geschäftsvorschlag von Marsalek zu Zahlungsabwicklungen mit der Wirecard-Technologie. Laut Steele kam es letztendlich aber zu keinem Deal.

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Alfonso Ayensa ist der Vorsitzende von Encryptech, einem mexikanischen Unternehmen, das in dem Brief erwähnt wird und als Vermittler zwischen Hacking Team und einigen Regierungskunden fungiert hat. Er bezeichnet den Brief als "fake".

"Sie haben ohne Erlaubnis den Namen meines Unternehmens verwendet", sagte Ayensa in einem Online-Chat.

Der Spyware-Deal ist offenbar jedoch nie zustande gekommen. Es ist unmöglich, nur mithilfe der Dokumente zu sagen, wer versucht hat, die Hacking-Tools zu beschaffen, für was sie genutzt werden sollten, und inwieweit Marsalek involviert war. Hacking Team hat immer beteuert, die eigenen Produkte ausschließlich an Regierungsbehörden verkauft zu haben, nachdem man eine Exportlizenz von der italienischen Regierung eingeholt hatte. Hätte man den Deal erfolgreich abgeschlossen, wäre das der erste bekannte Fall, bei dem die leistungsfähige Spyware von Hacking Team in den Händen einer Privatperson gelandet ist.

Paolo Lezzi ist der Vorsitzende von Memento Labs, also dem Unternehmen, das aus der Asche von Hacking Team hervorgegangen ist. Er sagt, dass Grenada laut den firmeninternen Dokumenten, zu denen er Zugang hat, nie Kunde gewesen sei. Zwei andere ehemalige Hacking-Team-Angestellte, die dort seit 2013 gearbeitet haben, sagten ebenfalls, dass Grenada die Produkte des Unternehmens nie gekauft habe.

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