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Was es mit dem mysteriösen Sensor auf sich hat, den Russland gerade ins All geschossen hat

Der Sensor diene rein wissenschaftlichen Experimenten, beteuert die russische Weltraumorganisation. Raumfahrtexperten haben jedoch eine andere Theorie – und die ist weit weniger harmlos.
Der Progress MS-07 Transporter vor dem Start. Der geheimnisvolle Sensor ist das schwarze Objekt in der oberen rechte Ecke des Fotos | Bild: RKK Energia

Das russische Raumfahrzeug Progress MS-07 hatte auf seiner jüngsten Mission zur Internationalen Raumstation (ISS) eine Überraschung an Bord: einen geheimnisvollen Sensor, der an der Vorderseite des Gefährts prangt. Raumfahrtexperten glauben, dass er Teil einer kontroversen Militäroperation sein könnte.

Die russische Weltraumorganisation hatte die Progress MS-07 am 12. Oktober von vom Raumfahrtbahnhof Baikonur im Süden Kasachstans ins All gefeuert. Die unbemannten Raumtransporter des Typs Progress werden hauptsächlich genutzt, um die Internationale Raumstation ISS mit Vorräten und Ersatzteilen zu versorgen.

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Die Besatzung der ISS lädt dabei alle Güter aus dem Transporter und anschließend ihre Abfälle der letzten Monate in die leere Progress-Kapsel. Daraufhin koppelt sich der Transporter wieder von der Raumstation ab und schwebt noch ein paar Tage im All, bevor er zurück zur Erde fällt und nach dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglüht.

Die zusätzliche Zeit, die der Transporter vor seiner Rückkehr zur Erde im All verbringt, nutzt Russland gerne für ein paar zusätzliche Aufgaben, wie die Positionierung von Satelliten oder kurze Experimente. So befanden sich an Bord der MS-07 zusätzlich zu den Vorräten für die ISS auch ein kleiner Kommunikationssatellit und ein Miniaturroboter, der Teil einer Social-Media-Kampagne einer russischen Firma ist.

Außerdem transportierte Progress MS-07 noch einen mysteriösen Sensor – und der könnte laut Experten von militärischer Bedeutung sein. Der Weltraumexperte Anatoly Zak bemerkte den Sensor als einer der Ersten auf offiziellen Fotos von RKK Energia, jener russischen Firma, die den Raumtransporter Progress MS-07 gebaut hat.

Von den russischen Behörden erfuhr Zak nach eigenen Angaben, dass der Sensor Teil eines gesonderten "wissenschaftlichen Experiments" sei. Nähere Angaben zur Funktion des Geräts wollten sie jedoch nicht machen. Die russische Weltraumorganisation Roskosmos hat auf eine Anfrage von Motherboard US nicht reagiert.

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"Der Sensor befindet sich an einer Stelle, an der in der Vergangenheit andere wissenschaftliche Messgeräte angebracht waren", bestätigt James Oberg, der mehrere Bücher über Raumfahrttechnologie verfasst hat, gegenüber Motherboard. Somit stimmt es wohl, dass der Sensor einen wissenschaftlichen Zweck erfüllen soll – aber das ist möglicherweise nicht die ganze Wahrheit.

Denn es bleibt die Frage, welchen wissenschaftlichen Zwecken der Sensor dienen soll. Immerhin wäre auch die Entwicklung von Waffen eine Form der Wissenschaft. "Es ist ungewöhnlich, dass Russland die Sache nicht kommentiert. Vielleicht handelt es sich um eine Art militärischen Sensor", sagte der unabhängige Weltraumexperte Jonathan McDowell gegenüber Motherboard.

Ein Experte für russische Raumfahrttechnologie, der anonym bleiben möchte, erklärte uns, dass der Sensor für sogenannte Annäherungsmanöver verwendet werden könnte. Darunter versteht man die hohe Kunst, einen Flugkörper im All sehr nahe an einen anderen Flugkörper zu manövrieren – diese Vorgänge werden auch als "Rendezvous" bezeichnet.

Derartige Flugmanöver im Weltall sind gerade sehr beliebt: Die USA, Russland und China haben ihre Weltraumprogramme kürzlich allesamt um spezialisierte "Inspektions"-Raumfahrzeuge erweitert. Ihr Hauptziel ist es, ganz nah an andere Fahrzeuge heranzukommen, um sie zu reparieren, zu manipulieren oder gar zu zerstören.

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Die Raumfahrzeuge können sich in Windeseile vom zivilen Gefährt mit friedlicher Mission zur militärischen Waffe wandeln: Gerade noch repariert das Inspektionsfahrzeug einen beschädigten Satelliten des eigenen Landes. Im nächsten Moment nähert es sich jedoch einem fremden Satelliten und sabotiert ihn als Teil einer hinterhältigen Attacke.

Der US-Geheimdienst hat die kosmischen Annäherungsversuche bereits als Bedrohung identifiziert. "Derartige Missionen werden in Zukunft eine besondere Herausforderung darstellen. Sie erschweren es, die Situation im Weltall richtig einzuschätzen, die Absichten andere Raumfahrtnationen zu deuten und frühzeitig vor Bedrohungen zu warnen", erklärte Dan Coats, der Direktor der US-amerikanischen Nachrichtendienste, im Mai vor dem Senat.

Das Raumfahrzeug, das am berüchtigtsten dafür ist, sich an Satelliten anzunähern, stammt jedoch nicht aus Russland, sondern aus den USA: Die Weltraumdrohne X-37B sei in rein wissenschaftlicher Mission unterwegs, beteuert die US-Luftwaffe – sagt also dasselbe, was Russland über den geheimnisvollen Sensor an Bord von Progress MS-07 verlauten lässt.

Da die X-37B jedoch zur US-Luftwaffe gehört, kann sie indirekt sowieso als Teil von militärischen Initiativen gelten. Das meint auch Brian Weeden, Weltraumanalyst der Secure World Foundation: "Der Fall von X-37B ist anders, weil sie Teil eines Militärprogramms ist."

Es könnte sich also lohnen, in Zukunft ein wachsames Auge auf die Versorgungsflüge der Progress-Transporter zu haben. Denn es ist möglich, dass Russland einen militärischen Sensor in eine ansonsten friedliche internationale Raummission geschmuggelt hat. Genauso kann es jedoch sein, dass die Experten sich irren und der Sensor keinen militärischen Nutzen hat. Die Spekulationen um den Progress-Transporter zeigen vor allem eins: Auch Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges und dem Wettlauf ins All beäugen sich die USA und Russland nach wie vor sehr misstrauisch.

Ein Grund zur Panik ist der geheimnisvolle Sensor laut McDowell jedenfalls nicht: "Wir sollten meiner Meinung nach mit Neugier reagieren, nicht mit Angst."