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Vorwurf sexualisierte Gewalt: Millionenfach abonnierter Kinder-YouTuber verhaftet

Er veröffentlichte täglich YouTube-Videos mit Mädchen, seine Kanäle wurden millionenfach abonniert. Nun wurde der Brite verhaftet – angeblich habe er versucht, eine Darstellerin gewaltsam zu entkleiden.
Screenshot: YouTube-Kanal
Mit dem Kanal "SevenAweseomeKids" begann 2008 die Erfolgsgeschichte von R. und seiner Franchise | Bild: Screenshot | Youtube | SevenAwesomeKids

Die Videos des britischen YouTube-Produzenten Ian R. haben Titel wie "Prinzessin Lexi geht ins Bootcamp" oder "Ist Saras Zwilling eine Meerjungfrau?". Darin zeigen Mädchen und junge Frauen zwischen 8 und 20 Jahren ihre Zimmer, streiten sich mit ihren fiktiven Schwestern oder präsentieren sich am Strand. R.s YouTube-Karriere startete vor zehn Jahren mit dem Kanal SevenAwesomeKids, inzwischen gibt es sieben Kanäle mit 17 Millionen Abonnements, alle richten sich an Kinder.

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Doch mit der Karriere könnte es jetzt erstmal vorbei sein. R. droht nämlich in den USA ein Strafprozess: Am 17. August wurde er von der Orange County Police in Florida in seinem Hotelzimmer festgenommen. Der Vorwurf, der dem Haftbefehl zugrunde liegt ist alles andere als kinderfreundlich: "unzüchtige und wollüstige Körperverletzung" ("lewd and lascivious battery"). Das ist ein für Florida spezifischer Tatvorwurf, der in Deutschland mit sexuellem Missbrauch von Kindern vergleichbar ist. Darunter fallen unter anderem sexualisierte Gewalt oder Vergewaltigung von Menschen unter 16 Jahren.

Laut dem Bericht der Festnahme, der Motherboard vorliegt, gibt es für die Polizei einen hinreichenden Tatverdacht. R.s Kanäle sind zwar aktuell noch online, doch seit einem Monat wurden dort keine neuen Videos mehr hinzugefügt.

Wie BuzzFeed News berichtete, soll es sich bei dem mutmaßlichen Opfer um eines der Mädchen handeln, das für R. in seinen Videos aufgetreten ist. Dem Bericht der Festnahme zufolge, ist das Mädchen jünger als 16 Jahre. Laut BuzzFeed News soll R. von ihr verlangt haben, sich vor ihm auszuziehen. Er habe das Mädchen gestreichelt und versucht ihr gewaltsam die Unterwäsche auszuziehen. Außerdem habe er von ihr verlangt, sich ihre Brüste so an den Körper zu binden, dass sie im Video möglichst klein aussehen.

Motherboard gegenüber wollte sich das zuständige Sheriff’s Department nicht zu den Details der Vorwürfe äußern. Nach Informationen von BuzzFeed News plädierte R. bei der Verlesung der Anklage auf nicht schuldig und musste seinen Pass abgeben.

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Das Problem mit Gewalt gegenüber Kindern auf YouTube

Sollten diese Vorwürfe gegen den Produzenten stimmen, wäre das einer der extremsten bekannten Fälle von Machtmissbrauch eines YouTubers gegenüber Kindern. Zuletzt hatte im Sommer 2018 ein YouTuber seinen offenbar nichtsahnenden Kindern mutmaßlich Abführmittel verabreicht , um ihre Magenkrämpfe zu filmen, wie The Next Web berichtete. Im Jahr 2017 erhielten zwei YouTuber-Eltern aus den USA eine fünfjährige Bewährungsstrafe, weil sie ihre Kinder offenbar vor laufender Kamera angeschrien und gedemütigt hatten.

Videos mit und für Kinder sind auf YouTube ein Erfolgsrezept. Viele Kanäle, die sich als kinderfreundlich bezeichnen, haben mehrere Millionen Abonnenten. Der Kanal CHuChu TV Nursery etwa, der Kinderreime und -lieder zeigt, wurde von mehr als 19 Millionen Nutzern abonniert. 2016 galt ein damals 4-Jähriger, der Spieletester Ryan, als der erfolgreichste YouTuber der Welt. Er konnte in den dreieinhalb Jahren seit seinem ersten Auftritt fast 25 Milliarden Views sammeln.

Dabei scheinen grenzwertige oder gar gewaltsame Videos besonders viele Klicks zu bringen: 2017 entfachten mehrere Medienberichte eine öffentliche Debatte um angeblich kinderfreundliche, aber eigentlich traumatisierende Videos. YouTube löschte in der Folge zahlreiche Videos und Kanäle.

R.s YouTube-Kanäle gehören zu den großen Kanälen, die Videos nicht nur für, sondern vor allem auch mit Kindern und Jugendlichen produzieren. Insgesamt werden unter R.s Label SevenAwesomeKids sieben Kanäle betrieben. Sie haben jeweils zwischen 430.000 und 9,1 Millionen Abonnements (Stand 26. September 2018). Drei der Kanäle verzeichnen über eine Milliarde Video-Aufrufe.

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Warum YouTube-Kanäle gegen Kinderrechte verstoßen können

Trotz ihres enormen Erfolges wurden Kanäle für Kinder häufig von Kinderschützern und Medienbeobachtern kritisiert – besonders wenn die Minderjährigen selbst der Inhalt sind. Das Deutsche Kinderhilfswerk etwa sieht in diesen Videos ein Risiko für die Persönlichkeitsrechte der auftretenden Kinder. Außerdem bestehe die Gefahr das Minderjährige instrumentalisiert werden. Dabei geht es besonders um die Frage, ob die Produktionen als Kinderarbeit gewertet werden müsse.

Die Darstellerinnen auf R.s Kanälen bekommen laut BuzzFeed News-Informationen ein monatliches Gehalt. Eine ehemalige Darstellerin R.s gab demnach an, durch einen Auftritt auf einem der Top-Kanäle könne ein durchschnittliches Monatsgehalt von 20.000 Dollar erreicht werden. Zudem investieren die Mädchen wohl viel Zeit in ihre Auftritte: Jeder der sieben Kanäle wird täglich mit einem neuen Video gefüttert, jeder Tag der Woche gehört einem Mädchen; einige Darstellerinnen treten in mehreren Kanälen auf.

In Deutschland verstößt es gegen das Gesetz zum Jugendarbeitsschutz, wenn Kinder und Jugendliche wie Erwachsene arbeiten. Die erlaubte Arbeitszeit ist stark begrenzt und es müssen strenge Voraussetzungen erfüllt sein. Zum Beispiel dürfen dem Gesetz zufolge Kinder über 13 nur bis zu zwei Stunden täglich arbeiten, wenn das den Besuch der Schule und ihre Gesundheit nicht negativ beeinflusst. Für Filmaufnahmen und Veranstaltungen gibt es Ausnahmen: Dort dürfen Kinder ab sechs Jahren bis zu drei Stunden am Tag arbeiten, aber nur wenn die Aufsichtsbehörde dem zustimmt.

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Diese Macht haben Kanalbetreiber auf junge Darstellende

Hinzu kommt die enorme Macht, die Eltern oder andere Produzenten haben können. So berichtet BuzzFeed News, R. hätte das mutmaßliche Opfer unter anderem mit einem Vertrag unter Druck gesetzt: Demnach hätten dem Mädchen Geldstrafen wegen Vertragsbruch gedroht, falls sie seinen Aufforderungen nicht nachkommen würde.

Einige ehemalige Darstellerinnen sollen sich daher gegenüber R. ohnmächtig gefühlt haben. Ein Mädchen erklärte Buzzfeed News, sie hätte ihrer Mutter schon vor zwei Jahren gesagt, dass sie R. sofort bei YouTube melden würde – wenn es ein "echtes" Entertainment-Unternehmen mit Regeln wäre. "Aber ich kann nicht, weil hier niemand ist, der mit helfen würde."

So geht YouTube mit den Anschuldigungen und dem Kanal um

Seit der Festnahme R.s Mitte August wurden auf keinem der Kanäle von SevenAwesomeKids neue Videos veröffentlicht. YouTube selbst ist dafür offenbar nicht verantwortlich. In einem Statement eines YouTube-Sprechers heißt es auf Anfrage von Motherboard: "Wir arbeiten eng mit führenden Organisationen für die Sicherheit von Kindern zusammen, um junge Menschen zu schützen." Doch eine Sperre werde nicht sofort bei dem Verdacht auf Missbrauch verhängt. "Wenn wir auf ernste Anschuldigungen dieser Art hingewiesen werden, werden wir aktiv, wir können etwa die Monetarisierung des Kanals aussetzen oder den Kanal schließen."


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Zumindest demonetarisierte YouTube den Kanal eigenen Angaben zufolge bereits im August kurz nach der Festnahme R.s. Das bedeutet, YouTube zeigt keine Werbeanzeigen mehr vor den YouTube-Videos. Diese Anzeigen würden dem Betreiber Geld einbringen. Geld verdienen können YouTuber natürlich auch ohne solche Werbeanzeigen, zum Beispiel indem sie mit Unternehmen zusammenarbeiten und etwa Produkte in ihren Videos platzieren.

YouTube erklärte außerdem, dass es Videos dem National Center for Missing & Exploited Children meldet, wenn sie Gewalt gegen Kinder zeigen oder sogenanntes Grooming zeigen. Mit diesem Begriff wird die Kontaktaufnahme zu Kindern zum Zweck der sexualisierten Gewalt bezeichnet. Die Non-profit-Organisation würde wiederum die Behörden über diese Videos informieren.

Offline ausgeübte Gewalt solle jedoch am besten direkt der Polizei gemeldet werden, damit die Betroffenen schnelle Hilfe erhalten. Wer sexualisierte Gewalt gegen Kinder oder Jugendliche hinter einem Video vermutet, kann YouTube darüber mithilfe der "Melden"-Funktion informieren.

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