Ist der größte Online-Drogenhändler Europas verschwunden?

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Ist der größte Online-Drogenhändler Europas verschwunden?

Der Clearnet-Shop Chemical Love ist größer, umsatzstärker, aggressiver, als Shiny Flakes es je war—doch der Dealer reagiert seit zwei Wochen nicht mehr. Geflüchtet oder hochgenommen? Was ist passiert?

Bild: Screenshot Chemical Love

Shiny Flakes aka Maximilian S.—früher Clearnet-Drogenhändler, mittlerweile Azubi und Insasse in der Leipziger JVA—bleibt in Kreisen deutscher Internetkrimineller eine Legende und ein Vorbild. Ein gutes Jahr ist seine Verhaftung nun her.

In seiner Nachfolge des Drogenhandels im Internet hat sich raketenartig eine Seite etabliert, die mit einem noch viel umfangreicheren Angebot auftrumpfen konnte und seine Produkte aggressiv und grafisch ansprechend vermarktet hatte: Chemical Love.

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Update: Das Ende von Chemical Love: Polizei nimmt bei Razzia fünf Verdächtige fest

Nach eigenen Angaben machte der Shop eine Viertelmillion Euro Umsatz im Monat, wie einer der Betreiber gegenüber Motherboard vor Monaten telefonisch erklärte. Der Shop hatte sich „zum Ziel gesetzt, unseren Kunden eine hohe Qualität von Drogen und echten Kundensupport anzubieten", wie es auf der schicken Shop-Website hieß, die sowohl im Clearnet als auch im Darknet unverändert zu erreichen ist. Tatäschlich erfreute sich das Angebot des bequemen, zuverlässigen, weltweiten Versandes von Drogen aus dem Chemical-Love-Katalog großer Beliebtheit, wie die zahllosen online einsehbaren, positiven Käuferrückmeldungen zeigen.

Bild: Screenshot Chemical Love

Wie vor rund einem Jahr bei Shiny Flakes scheint die gut geölte Maschine aber nun abrupt ins Stocken zu geraten: Seit dem 14. April reagiert der Händler nicht mehr, aktualisiert keine Bestellungen mehr, antwortet weder auf Nachrichten noch auf Mails und scheint keine Ware mehr zu verschicken. Seitdem ist online auch eine Diskussion unter Kunden und Kollegen über das Schicksal und die ungewisse Zukunft von Chemical Love entbrannt.

Das Angebot von CL wurde über ein großes deutsches Schwarzmarkt-Board beworben, auf dem sich der Dealer unter dem Alias z100 ein Monopol gekauft hatte: Im Gegenzug von 10.000 Euro pro Monat an den Administrator sync durfte er sein Angebot („Jetzt neu auf vielfachen Wunsch: Heroin!"—„Holt euch jetzt das Nature One-Paket: 0,5 Gramm Koks, 1 Gramm MDMA, 1 Gramm Speed zum Sonderpreis!") in bunten Großbuchstaben in dem Forum exklusiv bewerben und auch einen Treuhandservice anbieten. In dem deutschsprachigen Board mit über 60.000 Mitgliedern werden neben Drogen auch gestohlene Account- und Kreditkartendaten, gefälschte Ausweise, die ein oder andere Waffe und Schadsoftware gehandelt.

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Eine der letzten Nachrichten des Dealers auf dem Board: Auch z100 drohte gern mal Neidern und Kritikern.

Wichtig ist das Monopol auf dem Schwarzmarkt-Forum vor allem deswegen, die Kundenrückmeldung zu den erworbenen Drogen prominent zu platzieren; denn das Geschäft kann für den Empfänger ein Risiko darstellen, wenn die Ware nicht schnell versendet, anonym bezahlt und luftdicht verpackt ist (und natürlich wird auch die Qualität des Stoffs diskutiert).

Der Administrator des Boards hat dieses Monopol seit dem 23. April mittlerweile aufgehoben und gestattet jetzt auch anderen Mitgliedern wieder, ihre Darknet- und Clearnet-Drogenshops zu bewerben.

Neben vielen extrem nervösen Kunden, die auf ihre Ware warten und eine Hausdurchsuchung befürchten, klagen vor allem die Zwischenhändler: „Ich bekomme langsam Druck von den Kunden und kann dem ohne Infos oder Statement nicht mehr lange standhalten! Wann es weitergeht, ist nicht ganz so wichtig. Nur, DASS es weitergeht, wäre verdammt wichtig zu wissen, da nicht nur mein Geld in der Sache hängt, sondern auch fremdes, was langsam so aussieht, als hätte ich das Geld veruntreut", schreibt einer.

Andere Nutzer spekulieren, dass eine Großrazzia gegen Drogenbanden in den Niederlanden unter dem Namen „Operatie Trefpunt" in Zusammenhang mit dem Verschwinden von z100 stehen könnte. Am 4. April untersuchte die Polizei im Süden der Niederlande hunderte Geschäftsräume und nahm über 50 Verdächtige fest. Sechs Labore wurden hochgenommen sowie 15 Kilo Ecstasy-Pillen, mehrere tausend Liter Chemikalien sowie einige automatische Waffen und eine halbe Millionen in Bargeld beschlagnahmt. Der Einsatz konzentrierte sich vor allem auf einen Partyartikel-Laden im Dorf Best nahe Eindhoven, der von Drogenhändlern als Treffpunkt genutzt wurde. Nach zwei Jahren Observation schlugen die Ermittler dort zu. Gegen über 700 Personen werde noch ermittelt, so die Staatsanwaltschaft.

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z100 hatte stets behauptet, aus den Niederlanden zu operieren und bereits Shiny Flakes mit synthetischen Drogen beliefert zu haben. Ob sich die Razzia allerdings auch gegen die Hintermänner Chemical Love richtete, konnte uns die niederländische Staatsanwaltschaft noch nicht bestätigen. Klar ist jedoch, dass die Festnahme eines Drogenhändlers unter dem Pseudonym Lunatic Ende Februar für Wirbel gesorgt hatte, dessen „Lunatics Drogenparadies— Weed & Speed"-Onlineshop vermutlich aus Düsseldorf geführt wurde. Dieser soll wie Chemical Love mit demselben niederländischen Großhändler und Presswerk in Eindhoven unter dem Namen Partyflocks Geschäfte gemacht haben.

Aber auch im dem engeren Umfeld der Hintermänner wird spekuliert, ob der bis dato zuverlässigste Drogenlieferant des deutschsprachigen Internets (auf den Boards gerne überschwänglich als als „bester Mann" oder „Ehrenmann" betitelt") hochgenommen wurde. Die andere Möglichkeit, die laut diskutiert wird: ein sogenannter Exit-Scam. In diesem Fall hätte sich der Capo mit viel Geld aus dem Staub gemacht und wäre bis auf weiteres untergetaucht.

Vielen ehemaligen und aktuellen Kunden wäre das sogar um einiges lieber, als dass z100 sich hätte erwischen lassen—denn es ist keinesfalls gesichert, ob das Datenverarbeitungssystem seines Online-Shops tatsächlich so vertraulich und sicher mit Kundendaten umgegangen ist, wie er selbst gern behauptet hat. Selbst sein Admin, Partner und Coder der Seite hat keinen Zugriff mehr auf die Website, weil „z100 jeden Tag das root-Passwort für den Server geändert hat", wie er gegenüber Motherboard berichtete. „Alles wurde mitgeloggt", sagt er. Auch er weiß nicht, wo sich sein (ehemaliger?) Partner aufhält.

Auch im Fall Shiny Flakes war die Sicherheit der Kundendaten nicht so ausgeprägt, wie behauptet. Shiny hatte angegeben, er würde die Kundendaten geflissentlich löschen—doch wie sich später herausstellte, war das Gegenteil der Fall. Maximilian S. hatte eine ordentliche Lieferliste über jede verschickte Bestellung mit Klarnamen und Adresse auf seinem Rechner geführt, über die sich die Ermittler schlussendlich sehr gefreut haben dürften. Noch Wochen nach seiner Verhaftung berichteten ehemalige Kunden bundesweit von Hausdurchsuchungen, weil sie Drogen auf ihre Hausadresse oder den eigenen Namen bestellt hatten.

Wenn ihr zusätzliche Informationen zu dieser Geschichte habt, könnt ihr uns eine E-Mail an Motherboard_De@safe-mail.net schreiben. Wir nehmen die Hinweise selbstverständlich auch anonym entgegen. Wenn ihr der Autorin eine verschlüsselte Mail senden möchtet, findet ihr den entsprechenden PGP-Key hier.