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Bild: Motherboard/Rebecca Rütten

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Tech

Insider erzählen, wie der Job in der Games-Welt sie (fast) zerstört hat

Verpasste Beerdigungen, Nächte in der Ausnüchterungszelle, kein Privatleben: Darüber, wie hart die Arbeit in der Games-Branche ist, wird nur selten gesprochen. Fünf Entwickler erzählen uns von einer Realität, von der fast kein Gamer weiß.

Es gibt kaum ein großes Videospiel, das ohne Crunch Time auskommt. Die Abenteuer von Nathan Drake in Uncharted, die Planeten von Mass Effect: Andromeda, die Straßenschluchten von GTA – sie alle brauchten den Crunch: Wochen und Monate, in denen ganze Entwickler-Teams 10, 12, 14 Stunden am Tag, ohne Wochenenden, ohne Urlaub und für wenig Geld durcharbeiten. Die Auswirkung auf Privatleben, Gesundheit und oft auch auf die Spiele selbst sind desaströs. Aber öffentlich gemacht wird das nicht, denn die Spieleindustrie ist wie ein Schulhof. Jeder kennt jeden, niemand will als Memme gelten, niemand will seinen Job verlieren und niemand will Arbeitgeber und Kollegen anschwärzen oder verpetzen, mit denen man dann doch irgendwann am nächsten Spiel arbeitet.

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Viele Spielemacher, die wir zu dem Phänomen befragen, wollen deshalb nicht mit uns sprechen, haben Angst, dass etwas auf sie zurückfällt oder haben Verträge unterschrieben, die das Sprechen mit der Presse stark einschränken.

Die meisten Entwickler, mit denen wir für unsere Recherche sprechen sind Indies, sie waren Teil großer Studios und machen jetzt alleine oder in kleinen Teams ihr eigenes Ding. Ein Entwickler will seine Geschichte nur anonym erzählen, andere wollen nicht den Namen der Studios und Spiele nennen, obwohl die Chefs längst tot oder pleite sind. Teilweise werden die Arbeitsbedingungen auch verklärt. Manche beschreiben die extrem harten Arbeitsbedingungen schlicht als Notwendigkeit oder Normalität, etwas, das zur Branche gehört. Die Crunch Time wird in diesen Geschichten dann eine Art Feuertaufe für Entwickler. Doch Geschichten von Crunch Times und wie die Menschen in der Branche darunter leiden, kennt jeder. Keiner der Entwickler, mit dem wir sprechen, möchte die Crunch Time jemals wieder durchmachen – gleichzeitig ist eine Lösung für dieses außerhalb der Branche kaum bekannte Problem nicht bekannt.

Anonymer Entwickler: Launch statt Beerdigung

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Nein, das ist nicht wirklich unsere Quelle, die da die Augen verdreht, sondern der Autor. Bild: Motherboard/Rebecca Rütten

Als ich das Team übernommen habe, habe ich gesagt: Ich bin euer Tank. Ich fress' den Schaden. Morgens immer als erstes im Büro, und abends das Licht ausgemacht. Ich war auch jedes verfickte Wochenende da. Jeden Samstag und jeden Sonntag morgens 8 Uhr da gewesen und abends um 20 Uhr gegangen. Dreieinhalb Wochen lang. Ohne Wochenenden. Ich habe gesagt: Ich kann niemanden dazu zwingen zu kommen, ich kann nur versprechen, dass ich mich um euch kümmern werde, wenn ihr kommt. Und es hat keiner Nein gesagt. Wir hatten Glück, wir waren stark genug.

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"Drei Spritzen beim Orthopäden haben geholfen"

Jedes Mal wenn einer umgefallen ist, stand eine Person dahinter und hat gesagt: Alter, wir schaffen das. Das ist gut, das Produkt wird gut, da steht unser Name drauf. So richtig negative Konsequenzen für meine Kollegen habe ich nicht mitbekommen – aber ich selbst musste sowohl gesundheitliche als auch persönliche Folgen hinnehmen.

Mein Großvater ist im selben Monat gestorben. Die Beerdigung war genau am Tag der Abgabe, aber in einer anderen Stadt. Es war zu schwer für mich, dort hinzukommen. Ich habe dann viel mit meiner Familie gesprochen und das irgendwie mit mir selbst vereinbart.

Meine Familie stand hinter mir und hat gesagt: Du, es kann nicht sein, dass du alles, was dir wichtig ist, aufgibst, nur um bei der Beerdigung dabei zu sein. Du warst immer für ihn da. Zehr lieber von dieser Erinnerung statt von dieser Beerdigung. Das hat geholfen.

Später kamen dann auch mal gesundheitliche Probleme dazu: Irgendwann hat dann mein rechter Arm nicht mehr funktioniert. Das war im ersten Moment ziemlich erschreckend, aber drei Spritzen beim Orthopäden haben geholfen.

Jörg, 39: Von der Ausnüchterungszelle ins Büro

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Jörg Reisig ist Programmierer und arbeitet am Science Fiction-Spiel The Fermi Paradox, davor war er u.a. Bei Yager, Radon Labs und Spellbound. Bild: Motherboard/Rebecca Rütten

Die anderen Junior-Entwickler und ich haben mehr oder weniger rund um die Uhr gearbeitet. Abends sind wir dann immer auf komischen Partys in einem Studentenwohnheim gelandet. Irgendwann sind auch die Bullen aufgetaucht, weil es halt laut wurde und dann haben wir irgendwelche blöden Sprüche gemacht, was in Berlin niemanden interessiert hätte. Aber in Kehl haben sie mich einkassiert.

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"Es war natürlich total sinnlos"

Ich bin dann in der Ausnüchterungszelle aufgewacht. Wenn man mal so einen Absturz hat, egal ob man in der Ausnüchterungszelle landet oder nicht, dann ruft man eigentlich am nächsten Tag bei seinem Arbeitgeber an und sagt: das geht nicht. Aber ich bin sofort wieder zur Arbeit geschlurft, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, das ist so wichtig, ich muss da wieder hin.

Es war natürlich eigentlich vollkommen sinnlos dann zur Arbeit zu gehen. Ich hab irgendwas programmiert und es hat nicht funktioniert. Jetzt rückblickend hört sich das lustig an, aber ich hab oft genug erlebt, wie so eine Arbeitspraxis Leute kaputtgemacht hat, die dann richtig Burnouts gekriegt haben, Beziehungsprobleme, Familienprobleme.

Pepe, 32: Auch Indies crunchen

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Alexander 'Pepe' Pieper ist technischer Leiter von Studio Fizbin und arbeitet am Adventure The Inner World 2. Bild: Motherboard/Rebecca Rütten

Der beschissenste Crunch war die QA von Inner World, die haben wir damals als junges naives Team auch noch selber gemacht. Das ging schon so 2-3 Monate. Gut 12, 13, manchmal sogar 14 Stunden [am Tag]. Am Anfang ist es wie ein Highscore: 16 Stunden am Stück Bugs kaputtgemacht! Yeah! Aber das verändert sich. Wenn du das acht Wochen am Stück machst, dann verändert sich dein Rhythmus, dein ganzes Sozialgefüge, du hast kein Bock mehr auf gar nichts. Das ist mir passiert.

"Es gab nichts Tolles mehr im Leben"

Es gab bei mir nur noch Arbeit. Vielleicht hab ich es Abends noch geschafft in eine Kneipe zu gehen, ein zwei Bier zu trinken und nach Hause zu fahren. Es gab nichts Tolles mehr im Leben. Und dadurch dass ich Fizbin gegründet habe, der technische Leiter bin und auch Geschäftsführer…sind da so zwei Seelen in meiner Brust. Die eine sagt: Ja, wir schaffen [den Crunch]! Die andere sagt aber: Wir haben das völlig falsch geplant. Und es ist super scheiße. Wir haben gelernt: Sobald es darum geht, ein Projekt zu planen, da sagen wir: Okay nimm dir die Zeit, die wir denken, die wir brauchen, nimm die mal zwei, oder vielleicht mal drei.

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Jörg, 41: Crunch macht Spiele kaputt

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Jörg Friedrich arbeitet an einem Spiel über eine Widerstandsbewegung im Dritten Reich, Through the Darkest of Times, davor war er u.a. bei Sandbox Interactive und Yager. Bild: Motherboard/Rebecca Rütten

Hinter dem Crunch-Problem steckt auch oft das Macho-Gehabe der Branche: "Yeah! Wir sind die harten Jungs! Wir holen uns jetzt einen Kasten Bier und reparieren das Spiel bis nachts um Drei. Wir sind die Elite!" Zum Teil war das einfach unproduktiv. Viele Jungs, die Testosteron ausschwitzen und sich gegenseitig erzählen wie cool sie sind, im Endeffekt aber echt wenig schaffen und auch manchmal die Arbeit der anderen kaputt machen. Das ist so ein bisschen wie, wenn du Drogen nimmst: Man gerät in eine komische Euphorie, wie bei Schlafmangel, und trifft schlechte Entscheidungen.

"Plötzlich dehnten sich alle Gelenke der Gegner aus"

Wir saßen irgendwann an der neuesten Demo für die wichtigste Spielemesse, die E3. Wenn die nicht gut wird, dann wird das Projekt eingestellt. Und du sitzt dann da und machst so Kleinigkeiten: Wo liegt hier ein Grashalm, guckt der Gegner in die richtige Richtung?

Plötzlich – das ist wirklich passiert – dehnen sich alle Gelenke der Gegner total aus und du siehst: Da hat jemand so richtig krass alles kaputt gemacht. Und dann wird es auch mal richtig laut. So wird ein Crunch zu einem endlosen Ding. Zwei Schritte vor, einer zurück. Nachdem wir das Spiel fertiggestellt haben, wurde bei mir massiv erhöhter Blutdruck festgestellt, so richtig gefährlicher. Der Arzt hat gesagt, Sie bleiben erstmal sitzen und gehen nicht mehr arbeiten.

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Johannes, 38: Wie Crunch Teams auseinanderreißt

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Johannes Kristmann arbeitet zusammen mit Riad Djemili an The Curious Expedition, davor war er u.a. bei Yager und CDV Software. Bild: Motherboard/Rebecca Rütten

Es gibt auch subtilere Formen von Crunch. Da wird dann gesagt: Wir wollen jetzt eigentlich nicht sagen, wir müssen crunchen, aber es wäre cool wenn ihr crunchen könntet. Das ist eigentlich sehr viel schlimmer als wenn man es aufgezwungen bekommt von der Geschäftsführung. Am Montag kommen dann die Langweiler wieder rein, die Freitags schon um 4 Schluss gemacht haben, um ihre Kinder zu sehen und dann sitzen da die crunchenden Super Heroes in der Firma rum und geben einem Side Eye. Die sollen dann genau wissen: Sie gehören nicht zu den Coolen.

"Man arbeitet nicht mehr gemeinschaftlich am Spiel"

Die angeblichen Superhelden denken sich auch ihren Teil, dass man die Frechheit besitzt früher zu gehen. Das führt dazu, dass man natürlich nicht gemeinschaftlich an einem Spiel arbeitet, sondern dass es mehrere Fraktionen gibt, die sich auf verschiedene Art und Weise verstanden fühlen in ihrer Arbeit. Die Auswirkungen davon habe ich erlebt, bis hin zu Leuten, die einfach komplett die Industrie verlassen haben, weil sie sagen: Das ist nix für mich, diese Art zu arbeiten. Ich bin da zu alt für. Ich hab jetzt Familie. Ich kann da nicht mithalten. Wir verlieren darum oft die erfahrenen Menschen, die aber notwendig sind, damit wir einen qualitativen und inhaltlichen Sprung schaffen für die Spiele. Dass wir rauskommen aus dieser Brofist Ecke und hin zu künstlerisch wertvolleren Spielen.

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Auch bei Vice: Larping hat mir das Leben gerettet


Offenlegung: Der Autor hat mit Johannes Kristmann an einem Spiel gearbeitet

Motherboard recherchiert auch weiterhin zu den Arbeitsbedingungen in der Games-Branche. Wenn ihr relevante Informationen zu dem Thema habt, die ihr mit uns teilen möchtet oder von euren Crunch-Geschichten berichten wollt, dann kontaktiert gerne unseren Autoren Dennis Kogel per E-Mail. Er ist auch verschlüsselt über die App Signal mit der Nummer +49 160 102 2689 erreichbar.