Hartes Urteil gegen Chemical Love-Boss: Knapp 15 Jahre Haft und 10 Millionen Euro Schulden
Der Hauptangeklagte beim Prozessauftakt im Fall Chemical Love im März 2017. Foto: Daniel Mützel

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Hartes Urteil gegen Chemical Love-Boss: Knapp 15 Jahre Haft und 10 Millionen Euro Schulden

Der Kopf des ehemals größten europäischen Online-Drogenshops muss für knapp 15 Jahre ins Gefängnis. Außerdem schuldet er dem Staat rund 10 Millionen Euro – auch, weil er die Codes für die Bitcoin-Beute bis heute verschweigt.

Die vorerst letzte Klappe im Drama um Chemical Love ist gefallen: Im Prozess gegen die Betreiber des ehemals größten europäischen Drogen-Webshops hat das Landgericht Landau heute ein Urteil gefällt. Kopf der Bande und Sohn des früheren Fußballprofis Walter Kelsch muss für 14 Jahre und zehn Monate ins Gefängnis. Damit bleibt das Gericht nur knapp unter der Forderung der Staatsanwaltschaft von 15 Jahren und sechs Monaten. Die beiden Mitangeklagten und Brüder Denis T. und Rene L. bekamen jeweils sieben Jahre und drei Monate.

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Der vorsitzende Richter Urban Ruppert sah als erwiesen an, dass Kelsch junior die Fäden hinter Chemical Love gezogen hat und unter seinem Kommando über hundert Kilogramm Drogen nach Deutschland geschmuggelt und verkauft wurden. Zur vielseitigen Substanz-Palette des Drogen-Webshops gehörten Ecstasy, MDMA, Gras, Crystal Meth, Kokain, LSD, Heroin und Amphetamin. Rund 3,5 Millionen Euro Umsatz hat das Trio in einem knappen Jahr zwischen 2015 und 2016 umgesetzt, der Großteil davon floss jedoch in die Tasche des Bandenchefs. Die hohe Freiheitsstrafe erhielt Kelsch auch unter Berücksichtigung einer früheren Verurteilung wegen Handels mit Crystal Meth.

Kelsch hatte zwar eine Beteiligung an dem Drogen-Business eingeräumt, aber ausgesagt, es gebe einen unbekannten Strippenzieher namens "Chino" im Hintergrund. Das nahm ihm das Gericht jedoch nicht ab – in den abgehörten Telefonaten war dieser mysteriöse Hintermann nie erwähnt worden. Außerdem beanspruchte der heute Verurteilte den größten Teil des Umsatzes für seinen Lebenswandel, inklusive eines Maseratis und Übernachtungen in Luxushotels: "Für Chino wäre nichts mehr übrig geblieben", hieß es zuvor von Staatsanwalt Alexander Fassel von der Koblenzer Cybercrime-Abteilung. Das deckt sich auch mit unseren Recherchen.

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Die millionenschwere Drogen-Operation fand ein jähes Ende, als eine Spezialeinheit am 14. April 2016 das Drogendepot des Trios im pfälzischen Rülzheim stürmte. Im "BtM-Bunker", wie die Ermittler den Keller intern nannten, fand die Polizei neben den drei verdutzten Dealern insgesamt 54 Kilo Amphetamin, 4 Kilo Heroin, 1,3 Kilogramm Kokain und 25 000 Ecstasy-Tabletten. Bis zu 50 Sendungen hatte das Trio täglich aus Deutschland verschickt, den Großteil der Ware importierten sie aus den Niederlanden.

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"Sie können ihm doch nicht vorwerfen, dass er sich sein Gehirn ein bisschen weggekokst hat."

Auch sein Vater, der Ex-Kicker und insolvente Geschäftsmann Walter Kelsch, soll in die Drogen-Operation verwickelt gewesen sein und Kurierfahrten in die Niederlande für den Sohn gemacht haben. Sein Verfahren wurde jedoch abgetrennt und wird in den kommenden Monaten verhandelt.

Um die Hintermänner des Webshops aufzuspüren, setzten die Behörden ein ganzes Arsenal an Ermittlungsmethoden ein: Telekommunikationsüberwachung (TKÜ), IMSI-Catcher, GPS-Tracker bei Kurierfahrten, E-Mail-Beschlagnahmungen und Codeknacker-Software. Das harte Urteil ist ein Erfolg für die Behörden – die sieben- bis 14-jährige Haftstrafe für das berüchtigte Dealer-Trio dürfte bis in die letzten Ecken der Crime-Boards im Internet durchdringen, auf dem Chemical Love zuvor kräftig die virtuelle Werbetrommel für seine Produkte gerührt hatte.

Zu den Hintergründen der Beute: Die Jagd nach den verschwundenen Drogen-Millionen von Chemical Love

Und doch bleibt auch auf Seiten der Ermittler ein leicht bitterer Nachgeschmack zurück: Bis zuletzt konnten sie nicht klären, wo die erwirtschafteten Millionen aus dem Drogenverkauf landeten. Einen Teil des Geldes – rund 1,6 Millionen Euro – können die Behörden zumindest digital lokalisieren: auf Bitcoin-Adressen, für die ihnen der Zugangsschlüssel fehlt. Kelsch junior hat bis heute die Herausgabe des Schlüssels verweigert, beziehungsweise sagte aus, er könne sich nicht mehr dran erinnern. Sein Anwalt Achim Bächle versuchte zuvor, um Verständnis für seinen Mandanten zu werben: "Sie können ihm doch nicht vorwerfen, dass er sich sein Gehirn ein bisschen weggekokst hat."

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Doch die Indizien sprachen für das Gericht trotzdem eine deutliche Sprache: Auf dem Laptop des Bandenchefs fanden die Ermittler das Bitcoin-Wallet, das als Geschäftskonto für den Shop Chemical Love diente. Außerdem ließen sich von diesem Wallet aus regelmäßige Zahlungsströme an Betreiber des mittlerweile abgeschalteten Schwarzmarkt-Boards "Crimenetwork" ableiten; Verwendungszweck: "Monopol". Mit diesem Geld stellte Chemical Love sicher, dass kein anderer Drogenhändler seine Ware über die gut besuchte Internetplattform anbieten durfte, auf der rund 60.000 angemeldete Nutzer auch Waffen, Viren, Kreditkartendaten und gestohlene Waren aller Art kaufen und verkaufen.

Wer mit illegalen Drogen handelt, schuldet dem Staat exakt die Summe, die den Umsatz ausmachte. Juristisch heißt das "Verfall" – im Fall von Chemical Love beträgt er zehn Millionen Euro. Die Staatsanwaltschaft hat den Betrag deutlich über den geschätzten Umsatz von 3,5 Millionen Euro angesetzt, weil Kelsch das Passwort bis heute verschweigt und die illegal erwirtschaftete Beute weiterhin behält, während der Bitcoin-Kurs auf Rekordhöhen steigt. Kelschs Schulden steigen also auch deshalb so enorm an, weil der Kurs der Kryptowährung ebenfalls nach oben geht.

Der auf Drogen-Fälle spezialisierte Hamburger Anwalt Axel Max spricht im Gespräch mit Motherboard von "sehr großen Mengen", die Chemical Love verschoben hat, die das Trio an Endkonsumenten verkauft und nicht nur Mittelsmänner versorgt hat. "Das sind eigentlich Importmengen", so Max.

Laut dem Verteidiger, der den Kurier Denis T. vertritt, spiegelt das Urteil klar die Arbeitsteilung innerhalb der Bande wieder: Kelsch hatte als Boss der Truppe die "Tatherrschaft", wie es juristisch heißt – er gab die Anweisungen, er verfügte über das Geld. Seine Strafe fällt daher doppelt so hoch aus wie die seiner beiden Erfüllungsgehilfen.

Redaktionelle Mitarbeit: Theresa Locker