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Haben Chirurgen wirklich gerade einen Affenkopf transplantiert?

Der italienische Chirurg, der auch die erste menschliche Kopftransplantation durchführen will, meldet eine Sensation: Angeblich habe sein chinesischer Kollege erfolgreich einen Affenkopf verpflanzt—Beweise blieb er schuldig.
Screenshot: YouTube.

Hinweis: Dieser Artikel enthält explizite Bilder medizinischer Eingriffe.

Sergio Canavero, der italienische Chirurg, der letztes Jahr mit einer für 2017 angesetzten menschlichen Kopftransplantation für Aufsehen gesorgt hatte, hat sich mit einer spektakulären Presseerklärung zurückgemeldet. Dieses Mal verkündete er, dass der chinesische Chirurg Xiaoping Ren erfolgreich die Transplantation eines Affenkopfes durchgeführt habe. Und damit nicht genug: Ren, der an der chinesischen Harbin Medical University arbeitet, soll zusätzlich schon Experimente mit den Köpfen menschlicher Leichen vorgenommen haben.

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Die Presseerklärung lässt allerdings die ein oder andere Frage offen—und lässt jegliche Belege und Hintergründe zu wissenschaftlichen Details der Prozedur vermissen. Könnte es sich also auch schlicht um eine PR-Aktion des italienischen Arztes handeln, der damit in der Öffentlichkeit für seine eigenen Transplantationspläne werben möchte?

Die Motherboard-Redaktion erreichte bereits am Montagmorgen über Skype folgende kryptische Mitteilung von Canavero:

„BREAKING NEWS FROM THE HEAVEN/AHBR HEAD TRANSPLANT INTERNATIONAL COLLABORATIVE EFFORT: GEMINI LEADS TO MOTOR RECOVERY, CRITICS DISPROVEN."

Angeblich habe Xiaoping Ren bei seiner Transplantation die gleiche Methode angewandt, die auch Canavero für seine Kopf-OPs favorisiert: Es wird ein scharfer Einschnitt in das Rückenmark vorgenommen und der Patient wird in eine milde therapeutische Unterkühlung, eine sogenannte Hypothermie, versetzt. Damit soll dem Körper schließlich eine erfolgreiche Genesung erleichtert werden.

„Eine vollständige Transplantation eines Affenkopfes wurde von Professor Rens Team in China erfolgreich durchgeführt, mit dem Ziel, Cross-Circulation und Hypothermie als effiziente neuroprotektive Strategien zu testen", so der auf Englisch übersendete Text. „Die ersten Studien mit menschlichen Kadavern haben in China bereits begonnen und werden in Kürze fortgeführt", heißt es weiter.

Canavero erklärte weiterhin, dass die Forschungsergebnisse demnächst insgesamt in sieben Papers beschrieben würden. Diese würden in den Publikationen Surgery und CNS Neuroscience & Therapeutics veröffentlicht werden.

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Auch der chinesische Forscher Xiaoping Ren bestätigte gegenüber Motherboard, tatsächlich an Versuchen mit Affen zu arbeiten. „Wir haben diese Prozedur bereits letztes Jahr an einigen Affen vorgenommen", sagte er. Ren hat es bereits in der Vergangenheit mit der Transplantation von Mäuseköpfen zu einiger Prominenz gebracht.

Während Ren jedoch jegliche Erwartungen bezüglich einer menschlichen Kopftransplantation zu mäßigen versucht (er erklärte dem Wall Street Journal im Juli, er könne „[noch] nicht sicher sagen, eine menschliche Transplantation durchführen zu können"), prescht Canavero gerne vor. Auch für seine geplante menschliche Kopftransplantation warb er bereits ausführlich, bevor Details in wissenschaftlichen Fachpublikationen veröffentlicht wurden. Mit einem Russen namens Valery Spirindonov, der an unheilbarem Muskelschwund leidet, hat er sogar bereits sein erstes menschliche Versuchskaninchen zum Patient 0 erkoren—und Mark Zuckerberg darum gebeten, die Operation mitzufinanzieren.

Canavero scheint die spektakulären Operationen wirklich in Angriff zu nehmen wollen—allerdings hat er bisher keinerlei Beweise über seine möglichen Fortschritte vorgelegt. Nachdem er Motherboard seine Presseerklärung über die chinesische OP geschickt hatte, war er nicht dazu bereit, Auszüge aus den Papers oder Fotos und Videos des jüngsten Experiments zur Veröffentlichung bereit zu stellen.

Canavero schickte der Motherboard-Redaktion zwar über Skype Fotos von Affen mit Nähten am Hals, erlaubte uns jedoch nicht, diese zu publizieren. Wir haben uns stattdessen dazu entschieden, einen Screenshot aus dem oben eingebetteten Youtube-Video zu verwenden, in welchem Canavero behauptet, der oben abgebildete Affe sei der in China transplantierte. Das Video (ein Skype-Gespräch zwischen Canavero und seinem russischen Patienten Spiridinov), kursiert bereits im Netz. Einer von Canaveros Mitarbeitern informierte uns darüber, dass Videomaterial des Affen lediglich „Fernsehnachrichten für Live-Interviews " zur Verfügung gestellt werde.

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Eine Motherboard-Anfrage bei einem der Magazine, dass die Papers angeblich publizieren würde, brachte zutage, dass die wissenschaftlichen Veröffentlichungen vielleicht noch gar nicht vollständig verfasst sind. Canavero habe die Presseerklärung verschickt, bevor die Papers überhaupt fertiggestellt seien. Zudem wurde die Presseerklärung wurde generell ohne Wissen des Magazins herausgegeben.

Michael Sarr, Redakteur beim Fachjournal Surgery, das angeblich drei der sieben Papers veröffentlichen würde, erklärte Motherboard: „Leider war Canavero mit seiner Pressemitteilung wohl ein wenig voreilig. Schon die Bezeichnung Kopftransplantation ist sensationalistisch. Ich bin schrecklich verärgert darüber. Wir sind ein seriöses Magazin für chirurgische Wissenschaft und uns interessiert, was das für Patienten mit traumatischen Verletzungen der Wirbelsäule bedeuten könnte."

Einer der Artikel, die Surgery veröffentlichen wolle, beschäftige sich zum Beispiel mit zwei Menschen, deren Nerven nach einem chirurgischen Eingriff an der Wirbelsäule nachgewachsen seien, erzählte Sarr.

Bei einer möglichen Veröffentlichung der Papers würde Sarr in einem Vorwort auf jeden Fall darauf hinweisen, dass solch eine Transplantation nicht gesichert funktioniere und gleichzeitig erläutern, warum der Fall aus der Perspektive von Fachjournalisten dennoch interessant sei.

„Als Redakteur eines Wissenschaftsmagazins möchte ich nicht sensationalistisch sein, ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass es bezüglich einer Rückenmarksparalyse durch Verletzungen des Rückenmarks möglicherweise neue Erkenntnisse gibt", so Sarr.

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Falls die Transplantation wirklich stattgefunden hat, so wäre dies übrigens nicht der erste Versuch einer Kopftransplantation, für die ein Affe herhalten musste. Bereits in den 1970ern führte der amerikanische Neurochirurg Robert White bei einem Affen eine Kopftransplantation durch. Das Tier verstarb neun Tage später.

Ren wies darauf hin, dass es bei der aktuellen Affenkopf-Transplantation nicht unbedingt um die Maximierung der langfristigen Überlebenschancen für das Tier gegangen sei, sondern darum, die vielversprechendsten chirurgischen Methoden auszuprobieren—zum Beispiel um die Herausforderung zu lösen, die für das Gehirn nötige Blutzirkulation aufrecht zu erhalten.

Canavero wiederum erklärte, dass der Affe kurze Zeit nach der Transplantation eingeschläfert worden sei. „Wir wollen den Affen nicht mehrere Tage leiden lassen, so wie Dr. White es tat", sagte Canavero. In einem weiterenSkype-Gespräch mit Spiridonov, welches bei RIA Novosti veröffentlicht wurde, erzählte Canavero seinem menschlichen Versuchskaninchen: „Der Affe überlebte wunderbar und ohne Beinträchtigung für 24… für 20 Stunden, bevor er durch die Spritze starb."

„Ich werde die Bilder von Menschen nicht zeigen, weil sie einfach zu heftig sind. Aber die erste menschliche Enthauptung (bei Leichen) wurde bereits unter der Leitung von Xiaoping Ren durchgeführt", fügte Canavero in dem auf YouTube veröffentlichten Skype-Call mit Spiridonov auch noch hinzu.

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Canavero behauptet, Rens Arbeit mit Affenmodellen sei „der erneute Beweis, dass ein Gehirn wirklich die Abtrennung und Wiederbefestigung überleben könnte".

Bis die Papers geprüft und veröffentlich sind, sind diese Behauptungen jedoch mit einer gehörigen Portion Vorsicht zu genießen. Canaveros ist seit seinem Vorspreschen mit Spiridonovs Kopftransplantation vielfach kritisiert worden—nicht zuletzt auch aufgrund ungeklärter ethischer Fragen. Die neuesten Statements zeigen jedoch erneut, dass sich der italienische Chirurg nicht von seinem äußerst ambitionierten Vorhaben abbringen lässt.

Canavero präsentierte Motherboard bereits das Bild eines Menschenkopfes, der angeblich mit dem selben Verfahren abgetrennt worden sei, wie es auch für die anvisierten Transplantationen nötig sei. Er weigert sich jedoch, Spiridonov dieses Bild zu zeigen.

Außerdem berichtete sein Team von koreanischen Forschern, welche die Motorik von Mäusen wiederhergestellt hatten, nachdem die Wirbelsäule der Tiere durchgeschnitten und mittels Polyethylenglycol (PEG), einer Art Klebstoff, wieder verbunden worden war. Canavero zeigte uns Videos von lebendigen Mäusen, die vier Wochen zuvor solch einer Operation unterzogen worden waren. Bei den Operationen waren die Köpfe der Tiere jedoch nicht abgetrennt worden: Die Mäuse liefen in den Aufnahmen lebendig herum, schienen sich jedoch etwas benommen zu verhalten.

„Ohne den Zweifel konnten wir beweisen, dass die Kritiker sich geirrt haben. [Sie behaupteten, dass] das Rückenmark nicht wieder hergestellt werden kann—sie lagen falsch und wir hatten recht", sagte Canavero selbstsicher.