FYI.

This story is over 5 years old.

Körper

Warum wir es so sehr hassen, unsere eigene Stimme zu hören

Sich selbst zu hören, ist ein richtiger Matrix-Moment: Man erkennt, jahrelang in einer Lüge gelebt zu haben.
Foto: Imago | Westend61

Einer von vielen Gründen, warum ich meinen Job so sehr liebe, ist es, dass wir immer versuchen, selbst Zitate zu bekommen, anstatt einfach nur bei anderen abzuschreiben. In der Praxis bedeutet das, dass ich sehr viel telefoniere, um Menschen zu interviewen oder zumindest einen kurzen Kommentar von ihnen zu bekommen. Und weil ich nahezu alle meine Anrufe aufnehme, habe ich mein Diktiergerät immer griffbereit und bewache es auch mit der mütterlichen Entschlossenheit einer Kris Jenner. Die Angst, dass jemand meine Aufnahmen löschen könnte, bevor ich die Gelegenheit hatte, sie zu transkribieren, ist einfach zu groß.

Anzeige

Einmal hat ein freundlicher Mann aus einem Ressort, mit dem ich nichts zu tun habe, gefragt, ob er sich mein Diktiergerät ausleihen könnte. Und weil ich britisch und ein wenig seltsam bin, hatte ich gar keine andere Wahl, als Ja zu sagen. Aber natürlich hat er mir mein Diktiergerät nicht – wie versprochen – gleich wieder zurückgebracht. Mit der Zeit wurde ich immer nervöser und verzweifelter, bis mir meine Kollegin Zing, die meine Panik riechen konnte, mein Diktiergerät schließlich wieder zurückholte und es mir mit einem Ausdruck von stillschweigendem Mitgefühl, aber auch tiefem Mitleid in den Augen auf den Schreibtisch legte. Ihr seht also: Ich spreche hauptberuflich wirklich gerne mit anderen Menschen.

Mehr lesen: "Meine Patientinnen wissen nichts über ihren Körper" - ein Frauenarzt im Gespräch

Das bedeutet gleichzeitig aber auch, dass sehr viel Zeit damit verbringe, meine eigene Stimme zu hören. Und … sie macht mich nicht sonderlich glücklich. Ich musste lange darüber nachdenken, wie ich meine Stimme am Besten beschreiben könnte und ich würde sagen: Ich höre mich an wie Emma Watson bei dem kläglichen Versuch einen britischen Akzent nachzuahmen, nur ein wenig nasaler. Und ja, ich weiß, dass Emma Watson Britin ist.

Der Punkt ist: So ziemlich jeder hasst es, seine eigene Stimme zu hören. Das ist eine dieser Dinge, auf die sich alle einigen können – wie verkatert sein oder Montage oder montags verkatert zu sein. Doch woran liegt das? Um das herauszufinden, musste ich einmal mehr mein heißgeliebtes Diktiergerät herauskramen und einen Experten befragen.

Anzeige

"Es gibt zwei Wege, wie Geräusche zu deinem Gehirn gelangen können", erklärt Professor Douglas Hartley, ein HNO-Chirurg und Professor für Otorhinolaryngologie an der University of Nottingham. "Der eine Weg führt über die sogenannte Luftleitung. Das heißt, dass die ankommenden Luftschwingungen dein Trommelfell zum Vibrieren bringen und an das Innenohr weitergeleitet werden. Auf diese Weise hören wir die Menschen in unserer Umgebung sprechen."


Mehr von Broadly: Lohnt es sich, seine Eizellen einfrieren zu lassen?


Der andere Weg führt über die Knochen in unserem Kopf, was vor allem passiert, wenn wir uns selbst sprechen hören.

"Wenn du sprichst, werden die Knochen deines Schädels durch die Vibrationen direkt in Schwingung versetzt und diese Schwingungen werden dann an dein Innenohr weitergeleitet", erklärt Hartley. "Dieser Weg nennt sich Knochenleitung. Wenn du sprichst, hörst du dich selbst, wie dich sonst niemand hört. Das liegt daran, dass du eine Kombination aus dem Klang deiner Stimmbänder und deines Kehlkopfs über die Luftleitung und der Schwingungen durch die Knochen in deinem Kopf über die Knochenleitung hörst."

Es ist also tatsächlich so, dass wir eine vollkommen falsche Vorstellung von uns selbst haben. Das fängt dabei an, dass wir uns im Spiegel angeblich immer deutlich attraktiver wahrnehmen, als wir eigentlich sind, und hört auch bei unserer Stimme nicht auf.

Das macht es dann auch ungleich verstörender, wenn wir plötzlich einen Eindruck davon bekommen, wie andere uns wahrnehmen – schließlich untergräbt es die eine Sache, der wir uns immer vergleichsweise sicher waren: uns selbst.

Mehr lesen: "Im Spiegel sah ich ein Monster" – Das Leben mit einer Körperschemastörung

"Was du hörst, wenn du eine Aufnahme deiner Stimme hörst, ist das, was alle anderen hören. Auf einmal hörst du dich ganz anders und deswegen empfinden wir es als so schrecklich", erklärt Hartley. "Menschen haben immer wieder Schwierigkeiten damit, sich mit den Dingen zu arrangieren, die ihnen eigentlich sehr nahe sind, aber nicht ihren Vorstellungen entsprechen."

Bevor wir jetzt komplett verzweifeln uns alles in Frage stellen – man kann diese unterschiedliche Wahrnehmung auch von einer anderen Seite betrachten. Als etwas Positives, ein Geheimnis, dass du nur mit dir selbst hast. Oder, um es mit den Worten des Experten zu sagen: "Deine Stimme ist einzigartig und niemand wird sie jemals so hören, wie du sie hörst."

Folgt Broadly bei Facebook, Twitter und Instagram.