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Ungewöhnlicher Vorfall beweist: Geräusche können Festplatten zerstören

In dem Rechenzentrum einer Bank ging am Wochenende ein Testlauf gehörig nach hinten los.

Eine harmlose Brandschutzübung hat am Wochenende im Hauptrechenzentrum der ING Bank in Bukarest zu ebenso überraschenden wie immensen Schäden geführt. Nachdem Löschgase wie vorgesehen in das Rechenzentrum freigelassen wurde, kam es zu einem extrem lauten Geräusch, das schließlich dutzende Festplatten zerstörte. Auch wenn die Möglichkeit einer solchen sonischen Zerstörung von Speichermedien theoretisch bekannt war, markiert der Vorfall eines der seltenen Ereignisse, in dem dieser ungewöhnliche Vorgang tatsächlich in der Praxis beobachtet werden kann—zu allem Überfluss auch noch in einem durchaus kritischen Rechenzentrum: Die Anlage war bis mindestens Sonntagabend offline und die Bank komplett auf ihr Ausweichrechenzentrum angewiesen, das ein paar Kilometer weiter angesiedelt ist.

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„Die Übung verlief wie geplant, aber es kam zu Kollateralschäden", so die ING Pressesprecherin in Rumänien gegenüber Motherboard. Aufgrund des Serverausfalls konnten die rumänischen Kunden am Samstag zwischen 13:00 und 23:00 Uhr weder ihre Debitkarten benutzen noch ihre Bankgeschäfte online erledigen. „Unser Team untersucht den Vorfall momentan", erklärte die Sprecherin weiter.

Das Ziel der Übung war es zu überprüfen, wie die Brandbekämpfungsanlage des Rechenzentrums funktioniert. In Serverräumen werden häufig Gaslöschanlagen zur potentiellen Brandbekämpfung installiert, da die Edelgase zwar das Feuer löschen, aber der empfindlichen Elektronik keinen Schaden zuführen und auch die Raumtemperatur durch Gasanlagen nur geringfügig gesenkt wird.

Durch den Einsatz spezieller Düsen wird das Löschgas mit hoher Geschwindigkeit im gesamten Rechenzentrum verteilt. Ein mit dem Löschsystem vertrauter Experte erklärte gegenüber Motherboard, dass der Druck im Rechenzentrum der ING Bank höher war als erwartet und es dadurch zu einem lauten Geräusch kam, als das Gas plötzlich durch die winzigen Löcher strömte. Den Sound kann man sich ähnlich dem Pfeifen einer Dampflok vorstellen.

Eine während der Übung durchgeführte Geräuschmessung der Bank bestätigte, wie laut das Geräusch tatsächlich war, erklärte der Experte gegenüber Motherboard: „Die Nadel des Messgeräts hätte nicht höher ausschlagen können—sie erreichte über 130 Dezibel."

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Zu Schaden gekommen sind die Festplatten der Computer durch die vom Schall ausgelösten Vibrationen. Die HDD-Festplattengehäuse fingen an zu vibrieren und die Vibration übertrug sich auf die Schreib-/Leseköpfe, weshalb diese aus der Datenspur gerieten und nicht mehr funktionierten.

„Der Einsatz des Löschgases hat überraschend zu schweren Schäden an mehreren Servern und an unseren Speicheranlagen geführt", hieß es in einer entsprechenden Pressemitteilung der Bank.

In der Wissenschaft ist noch nicht besonders viel darüber bekannt, wie genau laute Geräusche den Ausfall von Festplatten verursachen können. Erste Experimente zu diesem Thema führte der Ingenieur Brendan Gregg im Jahr 2008 durch. Anschließend nahm der Mitarbeiter des Computerherstellers Sun ein Video auf, in dem er erklärte, wie Festplatten durch lautes Schreien im Rechenzentrum aus dem Tritt gebracht werden können.

Im Falle der ING Bank war es, als hätte man „seinen Datenspeicher neben ein (laufendes) Düsentriebwerk gestellt", erklärte eine mit den Vorgängen vertraute Person gegenüber Motherboard.

Auch IBM-Forscher untersuchen momentan die Auswirkungen der Geräuschentwicklung beim Löschgaseinsatz in Rechenzentren. „HDD-Festplatten tolerieren weniger als 1/1.000.000 Zoll Abweichung von der Mitte der Datenspur—sobald die Abweichung diesen Wert überschreitet, kommt es zu einem Stillstand des Schreib-/Lesekopfes", schrieben Brian P. Rawson und Kent C. Green in einer Paper in einer Fachzeitung. „Früher waren die Abstände zwischen den Datenspuren auf Festplatten viel größer, weil viel weniger Daten darauf gespeichert wurden. Das erklärt wahrscheinlich auch, warum dieses Problem erst jetzt auftritt."

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Siemens hat letztes Jahr ebenfalls ein White Paper veröffentlicht, in dem Testläufe beschrieben wurden, bei denen „übermäßiger Lärm zu negativen Auswirkungen auf die HDD-Performance führte." Nach Angabe der Forscher könnte dieser negative Effekt schon ab einem Geräuschpegel von unter 110 Dezibel eintreten. „Wir wissen inzwischen, dass die Störungen von Speichersystemen nach der Freisetzung von Löschgasen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Auswirkungen des hohen Geräuschpegels auf die Festplatten zurückzuführen sind", so Siemens.

Nach Aussage der Bank dauerte es aufgrund des Ausmaßes und der Komplexität der Schäden ganze zehn Stunden, bis der Betrieb des Rechenzentrums wieder aufgenommen werden konnte. „Außerdem haben wir, um die vollständige Datenintegrität zu wahren, vor der Wiederherstellung des Systems eine zusätzliche Kopie unserer Datenbank angefertigt", steht in der Pressemeldung von ING.

In den nächsten Wochen muss jede einzelne Komponente der Anlagen untersucht werden. Das Hauptrechenzentrum der ING Bank ist „zu großen Teilen lahmgelegt", bilanzierte eine mit dem Vorgang vertraute Person gegenüber Motherboard.

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