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Quantifizierte Träume

Die Shadow-App möchte die Couch des Psychologen durch das Smartphone ersetzen und Traumdeutung von Computer-Hirnen erledigen lassen. Ich habe mich mit dem Gründer Hunter Lee Soik getroffen, und mir seine Vision von verdatetem Glück angehört.

Die Shadow-App weiß mit Photoshop-Mystik für ihren Start in einer Woche zu werben. (via)

Hunter Lee Soik findet, dass die gute alte Traumdeutung dringend ein Update vertragen könnte. Statt den Konzepten von Sigmund Freud oder Carl Gustaf Jung, sollen Träume nun auch zu einer Sache von Bits und Bytes, von Big-Data und Data-Mining werden. Statt eines silberbärtigen Psychologen, der dich über deine Träume ausfragt und mit einem Bleistift etwas in seinen Notizblock kritzelt, soll in Zukunft ein riesiges Computergehirn deine hochgeladenen Gedanken nach aussagekräftigen Korrelationen durchforsten.

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Als Erfinder von Shadow, einer App zum Aufzeichnen und Abspeichern von Träumen, will Hunter die größte Traumdatenbank der Welt erschaffen. Seine bisherigen Aufgaben als „Creative Director" der Tournee von Jay-Z und Kanye West, als Entwickler einer Wecker-App oder als Vortragender zwischen Angel-Investor-Pitch in Spanien und neurowissenschaftlichen Vorträgen in Cambridge haben ihn wohl nicht genug ausgelastet.

Mit der neuen App, die am 14.2 den ersten Nutzern zu Verfügung gestellt werden soll, möchte er nichts weniger als Träume von bis zu einer Million Menschen in einer riesigen Cloud abspeichern, und sie von dort aus analysieren. Auch wenn es schon einige Apps für Traumaufzeichnung gibt, so ist das besondere seines Projekts die neurologisch fundierte gründliche Gesamtanalyse eines Datenberges und der Community-Gedanke von Shadow.

Ein soziales Erlebnis auf der Basis des Austauschs von Träumen gibt es nämlich für die Nutzer gratis dazu. Ich habe Hunter getroffen und mich mit ihm über Online-Egos und Big-Data unterhalten und wie er die Traumforschung ins 21. Jahrhundert bringen will:

„Wenn man sich die Traumforschung anschaut, dann sind Freud und Jung immer noch die großen Vorbilder, obwohl ihre Ideen schon sehr weit zurückliegen. Heute haben wir Super-Computer in unseren Taschen und globale Server, auf die wir zugreifen können, deswegen können wir damit beginnen, bisher unsichtbare Datensätze zu knacken.“

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Shadow—der Name soll bildhaft auf den Schatten verweisen, den unser Unbewusstes auf unsere inneren psychischen Vorgänge wirft, erzählt mir Hunter während unseres Interviews. Das Unbewusste folgt uns wie unser Schatten überall hin, doch es zeigt sich nirgends so deutlich wie in unseren Träumen.

So könnte der Beginn deines Lebens in der „Community of Dreamers" aussehen.

Die Grundgedanke von Shadow lautet: Quantifiziere deine Träume! Dahinter steckt die Überzeugung, dass, wenn du nur genügend Daten hast, du auch irgendwann alles erklären kannst! Hunter ist begeistert von dem potentiell der Traumanlyse des 21. Jahrhunderts:

„Wir sprechen hier also über die Quantifizierung von Träumen. Stell dir doch einmal vor, was das eigentlich bedeutet, wenn man die gesamten Träume einer Nutzer-Community in einer in einer riesigen Datenbank zusammenfasst. Das wäre eine unglaubliche Ressource für Forscher, die damit herausfinden könnten, wie unser Unterbewusstsein funktioniert.“

Aber auch auf die persönlichere Traumanalyse werden die Nutzer von Shadow nicht vollkommen verzichten müssen, denn dafür stehen bei Shadow 25 sogenannte Dream-Worker zur Verfügung, die dir gegen eine Extragebühr deine Träume in einer guten alten einer Eins-zu-Eins-Sitzung analysieren. Den großen Berg werden Daten-Spezialisten analysieren:

„Je mehr Daten wir kriegen, umso mehr Korrelationen können wir ausfindig machen. In Zukunft wollen wir, diese unsichtbaren Datensätze sichtbar machen.“

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Nur waren Träume bis jetzt von der Daten-Sammelwut, der die Geheimdienste, Versandhändler und Wirtschaftsunternehmen dieser Welt verfallen sind, ausgenommen. Der NSA-Skandal des letzten Sommers sollte uns allen gezeigt haben, dass unsere Daten ein wertvolles Gut sind. Heute gilt die Devise—wenn du willst, dass deine Daten sicher sind, sorge selber dafür, denn die Regierung kann oder will es nicht. Besonders Träume sind etwas sehr Privates, ja sogar Intimes, und daher Schützenswertes. Aber Hunter hat auch hierfür vorgesorgt und sich zumindest personell gerüstet mit der Ernennung eines ehemaligen Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums als Chef für Datensicherheit. Nun gut.

Aber für Hunter heißt Big Data in erster Linie nicht „Überwachung“, sondern „großes Potential“. Sein Start-Up, das aus einem Team von IT-Experten, Unternehmern und Wissenschaftlern besteht, will nicht nur die Traumforschung neu beleben, sondern auch gleich noch das Selbstverständnis einer zusehends vereinsamenden und verblendeten Generation von Internetgläubigen verändern.

Das Werbevideo von Shadow auf der Crowd-Funding Plattform Kickstarter: „Zusammen können wir den Kurs der Geschichte für immer verändern.“

Diese neue Ausrichtung der Quantifizierungswut bezeichnet Hunter als „Understood-Self.“ Der Unterschied zu der besser bekannten Bewegung „Quantified-Self“ besteht darin, dass man von Anfang an versucht, den gesammelten biometrischen Daten einen Sinn zuzuweisen—so zum Beispiel in Form von konkreten Handlungsanweisungen oder fertigen Interpretationen. Übertragen auf Träume könnte das bedeuten: Dein iPhone sagt dir, was dein Traum bedeutet! Während eines TED-Vortrags nahm der Wired Redakteur Gary Wolf diesen Gedanken schon 2010 vorweg, als er sagte:

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Unsere bisherige Erfahrung mit diesen Instrumenten der Selbstaufzeichnung bestand darin, dass wir sie auf unsere äußeren Handlung richteten—sie waren wie Fenster zu einer Welt da draußen. Mein Vorschlag ist, sie auch auf unser Inneres zu richten und sie so zu Spiegeln unseres Selbst zu machen. Wenn man also fragt: Wozu braucht man diese Instrumente, dann lautet die Antwort—für eine neue Form der menschlichen Selbsterfahrung.

Das sind hochtrabende Pläne, dabei erinnerte mich Hunter zu Beginn unseres Interviews eher an einen Studenten als an den CEO einer Firma, die die Traumkultur unserer technikaffinen Welt für die nächsten 20 bis 30 Jahre prägen will. Doch sobald Hunter seinen Mund aufmacht, bombardiert er dich mit abgedrehten Zukunftsvisionen, von denen er mir bei einigen auch vielsagend hinzufügt, dass wir sie lieber erstmal nicht veröffentlichen sollten, da wir „kulturell für manches noch nicht bereit“ seien.

Ich frage mich aber sowieso immer noch, ob wirklich alles davon so umgesetzt werden wird, wie geplant—die Idee jedenfalls ist sehr ambitioniert und äußerst faszinierend. Und was wäre die Welt ohne Träumer?

Motherboard: Warum brauchen wir Shadow, eine App mit der man Träume aufzeichnen und quantifizieren kann?

Hunter: Unser Unterbewusstsein erschafft Bewusstsein, und unser Bewusstsein wiederum steuert unser Verhalten und unser Verhalten verändert unsere Umgebung. Das heißt, wenn du dein Unterbewusstsein veränderst, dann veränderst du am Ende auch die Welt.

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Außerdem glaube ich, dass Menschen auf Maslows Bedürfnispyramide immer weiter nach oben rücken und „Selbstverwirklichung“ zu einem immer wichtigeren Thema wird. Daher fangen viele Menschen an, sich Fragen zu stellen wie: „Warum bin ich hier? Was mache ich eigentlich auf dieser Welt? Wenn ich noch 100 Jahre zu leben hätte, was würde ich noch alles tun wollen?“ Wir wollen eine Werkzeug schaffen, damit sich die Menschen über ihre Träume bewusst werden und sie ausleben.

Träume haben die menschliche Vorstellungskraft schon immer zum Großen animiert. Pierre Narcisse Guérin: Morpheus und Iris. Via Wikimedia Commons.

Doch das ist schwierig, weil Träume nicht einfach zu dekodieren sind. Vielleicht träumst du jeden Dienstag von deiner Mutter oder davon, wie du fliegst. Was bedeuten diese Daten und was passiert nun, wenn wir sie sammeln und analysieren? Was sagt uns das über unser Unterbewusstsein? Wir wissen es nicht. Niemand weiß es, weil es diese Daten noch gar nicht gibt. Und genau das wollen wir ändern.

Daten, Daten und nichts als Daten

M: Was passiert mit den gesammelten Daten?

H: Ich glaube wir sind immer noch dabei herauszufinden, was es eigentlich bedeutet, eine Online-Identität zu haben. Wir bei Shadow sind große Verfechter von Datensicherheit. Alle Traumdaten, die wir einsammeln, werden anonymisiert, und das hat mehrere Gründe:

Zunächst einmal, wenn du deine Daten als du selbst teilst, dann sprichst du primär über dich selbst. Anders ausgedrückt, du lässt dein Ego sprechen. Es wäre denkbar, dass Menschen ihre Träume manipulieren würden, um mehr Aufmerksamkeit zu kriegen. Dafür sind Twitter und Facebook die besten Beispiele. Dadurch aber, dass wir das Ego rausnehmen, erlauben wir es den Menschen, ehrlicher zu sein. Wir versuchen also, diesen eingeübten Belohnungsmechanismus neu zu kalibrieren. Anstelle zu fragen, was man alles tun muss, um mehr Likes auf Facebook zu kriegen, wollen wir, dass sich Menschen fragen: „Was sagt mein Traum über mich aus?“. Diese Selbsterfahrung kann man dann auch mit anderen Menschen teilen.

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Ein weiterer Teil ist die Datensicherheit im engeren Sinne: Wir glauben, dass Menschen ein besseres Verständnis von Daten-Integrität und Online-Privatsphäre haben sollten. Ich denke, Shadow könnte dazu beitragen, dieses Verständnis zu vertiefen.

Was tut ihr um die Privatsphäre und die intimen Daten der Nutzer zu schützen?

Wir benutzen eine 2048 SSL-Verschlüsselung vom Nutzeranschluss zum Server. Die Server-Daten sind ebenfalls komplett verschlüsselt. Die Traumdaten werden anonymisiert und liegen dann als einzelne Datenketten auf dem Server. Du meldest dich natürlich auch nicht mit deinem richtigen Namen an, sondern kriegst einen anonymisierten Namen. Dieser Name ist aber nicht verbunden mit deinen Träumen. Würde sich jemand in den Server reinhacken, könnte er nicht zur Ursprungsquelle der Träume vordringen.

Selbst wir als Betreiber können keine individuellen Traumdaten herausfiltern. Doch es gibt die Möglichkeit globale Datensätze einzusehen. Wenn du also wissen willst, was Menschen träumen, während in New York ein Hurricane wütet, dann kannst du das machen.

Hunter: „Wusstest du, dass es in den englischsprachigen Ländern 201 Millionen Smartphone-Besitzer gibt und dass die am dritthäufigsten verwendete Funktion der Wecker ist?" Via Shadow.

Wer hilft dir das Projekt umzusetzen und was ist euer Ziel?

In unserem Team besteht aus Menschen, die Ihre Abschlüsse von Harvard, dem MIT oder von Berkeley erhalten haben. Diese Leute kennen sich aus mit evolutionärer Psychologie, Big-Data und vor allem Träumen. Einer von ihnen betreibt die derzeit größte Traum-Datenbank der Welt, ein anderer hat Schlafmedizin an der staatlichen Universität von Arizona eingeführt. Und dann gibt es noch die Experten für luzides Träumen.

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Mit unserem Vorhaben eine der größten Datenbanken für Träume zu schaffen, wollen wir eine globale Lernressource erschaffen. Es wird daher wahrscheinlich auch eine Option geben, die es Universitäten und Forschungseinrichtungen erlabt, Nutzer-Daten mit der Einwilligung der Nutzer zu erheben.

Träume auf dem Smartphone, via Shadow.

Immer wenn ich mit Forschern über das Thema spreche, dann sind die meisten von ihnen schnell Feuer und Flamme. Denn ein Datenset für sie besteht aus 50 bis 100 Probanden, höchstens 1000. Dabei kommen die Probanden meist aus ein und der selben geografischen Region. Lass uns einmal annehmen, Shadow hätte 100.000 Nutzer oder vielleicht sogar eine Million. Wenn 20.000 davon an einer Erhebung teilnehmen und 10.000 nach einer ersten Untersuchung herausfallen, dann blieben immer noch 10.000 und das wären dann immer noch 10 Mal so viele wie gewöhnlich. Außerdem wären die Daten nicht auf einen 50 km Radius begrenzt, sondern kämen vielleicht aus der gesamten Welt.

Sollten sich irgendwelche Künstler an uns wenden, weil sie die Traum-Datenbank für ihre Kunstprojekte verwenden wollen, dann wollen wir uns darauf einlassen. Vielleicht kann man dann eine 3D-Installation aller in Echtzeit ablaufenden Träume als bunte Projektion in den Himmel strahlen. Warum nicht? Wir würden diese Art von Auseinandersetzung nur begrüßen. Wenn wir diese Datenbank erst einmal haben, dann wollen wir uns, vielen verschiedenen Projekten öffnen. Universitäten und Forschungseinrichtungen sind nur ein Teil davon, aber ein besonders wichtiger.

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Träume 2.0

Was sind überhaupt Träume?

Unser Ziel ist es, das Verständnis über Träume zu erweitern. Wir haben keine feststehende Meinung darüber, was Träume eigentlich sind. Aber wir haben ein Werkzeug, um die Daten zu sammeln und sie zu analysieren, damit helfen wir der Traumforschung.

Was hätte Freud, der Begründer der Traumdeutung, wohl zu Shadow gesagt? Via Flickr.

Viele Fragen sind noch offen. Es ist noch nicht klar, ob Träume dabei helfen, Eindrücke des Kurzzeitgedächtnisses oder des Langzeitgedächtnisses zu verarbeiten oder vielleicht gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Manche fragen sich, ob Träumen vielleicht etwas Präkognitives sind. Niemand weiß das genau. Wir behaupten nicht, wir wüssten es, aber durch das Sammeln der Daten wollen wir helfen neue Erkentnisse in der Traumforschungen zu gewinnen.

Also zunächst nur das Werkzeug, ja?

Wir erschaffen ein Instrument für den sozialen Austausch. Die Idee ist im Grunde genommen ganz einfach. Wusstest du, dass es in den englischsprachigen Ländern 201 Millionen Smartphone-Besitzer gibt und dass die am dritthäufigsten Verwendete Funktion der Wecker ist? Außerdem ist bekannt, dass 95% aller Träume in den ersten 5 Minuten nach dem Wecken vergessen werden.

Der klassische Klingelwecker zerstört deine Träume, denn das Wecksignal reißt dich aus der hypnopompischen Schlafphase (morgendliche Aufwachphase). Je langsamer und behutsamer man durch diese Phase hindurch kommt, umso sanfter ist der Aufwachprozess. Wir haben einen Wecker rausgebracht, der dich durch einen ansteigenden Alarm sehr sanft aus dem Schlaf holt. Dadurch vergisst du deine Träume nicht gleich, sobald dein Wecker dich weckt.

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Man nimmt also immer nur einen Traum auf?

Ja, man sagt, dass wir etwa 3-5 Träume pro Nacht haben. Es gibt, grob gesagt, zwei Schlafphasen—den nicht-REM-Schlaf und die Phase des REM-Schlaf, in der du die meisten und intensivsten Träume hast. Ob man in der nicht-REM-Phase träumt oder nicht, ist umstritten. Robert E. Strecker hat durch Experimente zwar nachweisen können, das wir auch während der nicht-REM-Phase träumen, aber es ist wirklich hart, diese Träume aufzuzeichnen.

Die Träume, an die man sich am besten erinnert, sind die aus der letzten REM-Phase. Im REM-Schlaf verarbeiten wir Ereignisse aus der Vergangenheit, der Gegenwart und der geplanten Zukunft. Deswegen sieht man in seinen Träumen oft Mischszenarien aus diesen unterschiedlichen Zeitebenen.

Zukunft? Meinst du damit irgendwelche verborgenen Wünsche oder Begierden?

Nein, ich würde sagen, es handelt sich dabei eher um Termine oder Vorhaben. Das hängt damit zusammen, dass während wir Träumen nicht nur Erinnerungen verarbeitet werden, sondern auch Erlerntes. Man nimmt an, dass der flache Schlaf aus der Steinzeit stammt. Damals mussten Menschen immer auf der Hut sein und Handlungsabläufe selbst im Schlaf präsent haben, damit sie bei einer Attacke auch schnell genug reagieren konnten. Ich würde sagen, dass es sich hier um eine Form des Lernen im Traum handelt.

Die Selbststilisierung von Menschen im Internet

Habe ich dich vorhin richtig verstanden: Indem ihr die Traumdaten vom Träumer loslöst, wollt ihr der Selbststilisierung, die man in den sozialen Netzwerken sieht, entgegenwirken?

Ja, man kann diesen Zusammenhang auch mit dem „Observer-Effect" erklären, der besagt, dass die Beobachtung eines Objekt es im gleichen Zug verändert. Wenn du aber weißt, dass du beobachtet wirst, dann passt du dein Verhalten an. Dazu wiederum brauchst du eine Art Feedback, das du bei Facebook in Form von Likes kriegst. Du kannst dir also nie sicher sein, ob das, was du machst, oder das, was du darstellst, gut ankommt und du dafür belohnt wirst, deswegen tust du alles, um zu gefallen. Du wirst zum Sklaven deines virtuellen Selbst.

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Die Frage ist also, wie erschaffen wir etwas, das dich authentisch repräsentiert, etwas, das dich Aussagen darüber treffen lässt, was du auf einer unbewussten Ebene denkst? Wie kriegt man Menschen dazu, sich selbst besser zu verstehen?

Das Unschärfeprinzip (eigentlich „Observer-Effect“) für Dummies: „Je mehr du hinsiehst, desto weniger weißt du, was vor dir ist.“

Es gibt eine Bewegung, die man „Quantified-Self“ nennt, was bedeutet, dass man alles Dinge, die man tut, in Zahlen festhält. Wir wollen „Quantified-Self“ zu „Understood-Self“ erweitern. Wir wollen fragen, was bedeuten alle die Daten für uns? Aus einem weiteren Blickwinkel betrachtet wollen wir fragen, wie verankert sich der Einzelne in einer Gemeinschaft aus Träumern—„Wo passe ich rein?“

Welche Einfluss haben neue Technologien auf die Selbststilisierung von Menschen?

Es gibt da ein interessantes Missverhältnis: Wir wollen zwar, dass Technologie uns als Menschen immer stärker miteinander verbindet und uns mehr Möglichkeiten des Austauschs gibt, doch leider kann Technologie auch dazu führen, dass Menschen vereinsamen.

Es gibt eine Studie über Menschen unter 25, die besagt, dass wenn diese Menschen ein Bild auf Instagram posten und nicht genug Likes kriegen, sie es wieder offline nehmen—das heißt, diese Menschen verbinden ihren sozialen Status oder ihren sozialen Wert mit Bildern, die viele Likes generieren.

Wenn man sich dieses Phänomen aus neurowissenschaftlicher Perspektive anschaut, dann kann man vereinfacht sagen, dass es sich dabei um einen ständigen Kampf um mehr Dopamin handelt. Immer, wenn man etwas postet, was andere Menschen für gut befinden, wird Dopamin ausgeschüttet—denn es macht süchtig geliebt zu werden. Dieser Mechanismus in Verbindung mit sozialen Netzwerken erschafft einen Teufelskreis, aus dem man nicht mehr so leicht rauskommt. Es gibt schon jetzt Menschen, die buchstäblich süchtig nach Facebook sind. Wenn das passiert, dann schränkt das den Horizont der Betroffenen sehr stark ein. Man sieht dann nur einen ganz engen Tunnel der eigenen Existenz. Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist.

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Vereinsamt der Mensch durch soziale Medien? Via Flickr.

Für uns ist Shadow eine Möglichkeit, die Menschen auf andere Weise mit einander in Kontakt treten zu lassen. Die Idee ist, dass Menschen auf der Basis ihrer Träume anfangen, mit einander zu kommunizieren. Sie reden dann über Dinge, die sie in ihrem Unterbewusstsein miteinander verbinden. Sagen wir, letzte Nacht hast du von einem Papagei geträumt, wir können dir alle anderen Menschen zeigen, die von einem Papagei geträumt haben. Dann könnt ihr darüber ins Gespräch kommen, was diese Träume eigentlich bedeuten, und zwar ohne dabei das Ego in den Mittelpunkt zu stellen. Schließlich bleiben die Identitäten anonym.

M: Was hast du von der Analyse deiner Träume gelernt?

H: Vielleicht ist eine Konsequenz meiner Erfahrungen die, dass wir bei Shadow sagen: Macht mehr! Erlebt mehr in eurem Leben, dann werdet ihr auch bessere Träume haben.

Es gibt ein Konzept, das man hedonische Anpassung bezeichnet, was etwa so viel bedeutet, dass egal wie glücklich oder unglücklich man ist, dieser Zustand im Laufe Zeit abnimmt und irgendwann zum Normalzustand wird. Das Ganze läuft auf einer unterbewussten Ebene ab. Die Konsequenz müsste entsprechend lauten: Wenn wir immer glücklich sein wollen, dann müssen wir permanent daran arbeiten, es auch zu sein, z.B., indem wir immer wieder neuer Erfahrungen machen. Vielleicht gilt das auch für Träume, die, wenn man sie bewusster erlebt, ebenfalls neue neurologische Verbindungen im Gehirn schaffen.

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M: In einem Video hast du mal gesagt: „A dream we dream alone is only a dream, a dream we dream together can become reality.“ Was bedeutet dieser Satz?

H: Es bedeutet, dass Träume verwirklicht werden können, wenn Menschen sich über sie bewusst werden und anfangen an sie zu glauben.

Luzides Träumen

M: Glaubst du es ist möglich, das Unterbewusstsein und Träume zu kontrollieren?

H: Auf einer luziden Ebene ist das sicherlich möglich. Allerdings wissen wir nicht, ob es gut oder schlecht ist. Vielleicht sollte man seine Träume in Ruhe lassen. Vielleicht sollte man sich auch nicht an sie erinnern. Sollte sich das herausstellen, werden wir damit aufhören, es zu versuchen.

M: Erzähl mir etwas über das luzide Träumen.

H: Luzides Träumen kann man trainieren, genauso wie man seine Muskeln trainieren kann. Ich habe es durch die Unterstützung einiger Experten, die wir an Bord geholt haben, und durch viele verschiede Übungen geschafft, etwa 10% meiner Träume zu einer luziden Erfahrung zu machen. Später haben wir vor, auch eine App herauszubringen, mit der die Menschen lernen können, luzid zu träumen. Und wir wollen auch Online-Seminare geben, wo man die verschiedene Techniken in Gruppen von bis zu 150 Teilnehmern erlernen kann. Doch der erste Schritt um zu lernen, wie luzides Träumen geht, besteht darin, dass man seine Träume aufzeichnet.

Wenn du luzid träumen willst, dann musst du dir über den Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit bewusst werden. Das hört sich einfach an, aber stell dir vor, du bist in einem Traum, dann weißt du sicherlich nicht, dass du träumst. In Inception verwendet Leonardo DiCaprio ein Totem, um sagen zu können, ob er träumt oder nicht. Für unsere Nutzer bieten wir eine iPhone-Hülle mit einem Totem darauf. Die Idee ist, dass man sich konditioniert, im wachen Zustand immer wieder auf das Totem zu schauen. Verändert es sich irgendwann, dann weiß man, dass man höchst wahrscheinlich träumt. Du befindest dich dann in einem Zustand, in dem du zwar träumst, aber alles bewusst erlebst.

Ein Totem muss ein dir gut vertrauter Gegenstand sein. Via Flickr.

Was dabei im Gehirn passiert, ist, dass der dorsolaterale-präfrontale Kortex auf einmal aktiv wird. Dabei handelt es sich um den Teil des Gehirns, der für das Antizipieren zukünftiger Ereignisse verantwortlich ist. Normalerweise ist dieser Teil des Gehirns im Schlaf ausgeschaltet. Beim luziden Träumen kann man ihn aber aktivieren, dadurch wird der Traum zu einer Wirklichkeit, in der man die Dinge, die als nächstes passieren sollen, mental steuern kann.

M: Willst du die Barriere zwischen Träumen und Wirklichkeit aufbrechen?

H: Zunächst einmal wollen wir ein besseres Verständnis von Träumen ermöglichen und wir wollen ein Produkt auf den Markt bringen, dass nicht auf dem Verkauf von Werbung basiert. Ich glaube, das ist ein überholtes Geschäftsmodell, das viel mehr Schaden anrichtet, als es nutzt. Wir wollen das nicht.

Wir wollen ein Werkzeug schaffen, dass den Menschen dabei Hilft, sich ihrer Träume bewusst zu werden, und das ihnen erlaubt, ihre Träume mit dem, was sie in der Wirklichkeit tun, zu verbinden. Wir wollen also eine Brücke schaffen, die nicht nur Traum und Wirklichkeit mit einander verbindet, sondern eine die die Wirklichkeit zu einem wirklichen Traum werden lässt—ein Traum, den man realisieren kann. Ob uns das gelingt, weiß heute noch niemand. Vorhersagen für die Zukunft können oft daneben liegen, das hat uns das Beispiel von Asimov gezeigt.

M: Was kannst du mir über das kollektive Unterbewusstsein sagen?

H: Auf einer globalen Ebene können wir einen Algorithmus erstellen und ihn an die gerade stattfindenden Nachrichtenereignisse anpassen. Dabei könnten wir vielleicht herausfinden, dass einige Menschen mit ihren Träumen die Zukunft akkurat vorhergesagt haben. Wir könnten solche Behauptungen überprüfen. Es wäre ja möglich einfach zurückzuspulen und die Audio-und Textdaten herauszufiltern.

Was wären die Konsequenzen, wenn das nicht nur Hirngespinste wären und solche präkognitiven Träume nicht nur individuell, sondern auch global vorkämen? Hätten wir Ereignisse wie 9/11 oder Hurricane Sandy womöglich vorhersagen können? Einige schließen das aus. Doch man sollte bedenken, dass es noch nie eine globale Traumdatenbank dieses Ausmaßes gegeben hat. Diese Daten waren unerreichbar. Einzelne Individuen haben aber immer wieder behauptet, sie hätten die Zukunft in ihren Träumen vorhergesehen. Womöglich kann man das auch auf einer globalen Ebene nachweisen. Aber auch ohne den Blick in die Zukunft, könnte uns eine globale Traumdatenbank viel darüber sagen, was Menschen in einem Katastrophengebiet unterbewusst durchmachen.

M: Was kommt als Nächstes?

H: Träume waren bis jetzt unsichtbare Datensätze. Es gibt noch mehr unsichtbare Datensätze und wir können sie sichtbar machen. Unser Ziel ist es, Strukturen zu schaffen, damit Menschen lernen mit diesen Daten umzugehen und dabei ein tieferes Verständnis von sich selbst kriegen. Es gibt noch viele Daten, die uns Menschen entgehen.