Warum auf Chiles Flohmärkten noch immer stillose Nazi-Mash-Ups herumgeistern
„Tragische Liebschaften der Geschichte: Eva Braun und Hitler" lautete der Titel der zweiten Ausgabe der Zeitschrift Laser. Veröffentlicht in Santiago de Chile, Mai 1974. Unkenntlichmachung der Swastika durch den Autor.

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Warum auf Chiles Flohmärkten noch immer stillose Nazi-Mash-Ups herumgeistern

Kitschige Eva-Braun-Groschenromane beweisen, dass die Faszination des Bösen die Popkultur noch immer fest im Griff hat.

Neue Politik braucht neue Ästhetiken. Und so hatten sich kurz nachdem sich Augusto Pinochet nach einem blutigen Putsch offiziell zum Präsidenten Chiles ernennen ließ, auch die Ideale in der Popkultur des südamerikanischen Landes gewandelt. Wenige Monate nach dem Tod des demokratisch gewählten Salvador Allende machten in Chiles Hauptstadt Santiago kitschige Groschenromane mit dem Titel „Tragische Liebschaften der Geschichte: Eva Braun und Hitler" die Runde.

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Als zweite Ausgabe einer Zeitschrift mit dem eigenartigen Titel Laser erschienen sie im Mai 1974, während der staatliche Terror gegen alle wütete, die als Gegner der neuen Diktatur identifiziert wurden.

Als ich vor einigen Wochen für einen sonnigen Urlaub nach Santiago de Chile aufbrach, freute ich mich, der deutschen Guido-Knopp-Tristesse und dem nicht minder grauen deutschen Februarwetter entfliehen und einige Wochen im inzwischen wieder bunten und demokratischen Chile verbringen zu können. Ausgerechnet hier wurde ich bei einem Flohmarktbummel nun daran erinnert, welche extremen Formen die „Verarbeitung" und Ästhetisierung Hitlers tatsächlich annehmen kann. Angesichts der zahllosen nach Südamerika und Chile geflüchteten Ex-Nazis ist es natürlich alles andere als ein Zufall, dass diese äußerst unangenehme Form des Hitlertainments in Chile veröffentlicht wurde, und die totalitäre Ästhetik von Laser, die bis heute in zahlreichen spanischsprachigen BLogs geremixt wird, sich schon kurz nach der Machtergreifung des glühenden Hitler-Verehrers Pinochets Bann bricht.

Beim Durchstöbern angegilbter Bücherkisten stoße ich also auf genau die Art von literarischen Mash-Ups, die die Münchner Zeitschrift Wochenend im September 1948 erstmalig unter's Volk brachte. Woche für Woche veröffentlichte man Auszüge aus dem angeblichen Tagebuch Eva Brauns. Deren Familie klagte zwar schon nach der ersten Ausgabe und gewann den Rechtsstreit gegen den Olympia-Verlag. Doch der Verlag druckte munter weiter, und stellte den Groschenromanen im Nazi-Gewand fortan die juristische Klausel voran, dass ihr kompletter Inhalt reine Fiktion sei—die Ausgaben der Wochenend verkauften sich trotzdem prächtig.

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Hautcremes vom Führer, mit denen Eva Braun ihre Brüste pflegte, eine nackt tanzende Leni Riefenstahl und Hitlers Vorliebe für Unterwäsche aus Rehleder das war der literarische Stoff, der nur drei Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft die Fantasie vieler Deutscher beflügelte.

Und wer wollte schon so genau wissen, ob es tatsächlich historischer Fakt sei, dass Hitler seine Eva dazu verdonnert hatte, im Schlafzimmer zu warten, während er selbst einen Striptease von Leni Riefenstahl genoss. Als Fiktion und losgelöst von langweiligen politischen Feinheiten konnte die Erotisierung des Bösen ihre schaurige Faszination ungestört entfalten, so dass die Nachfrage nach dieser besonderen Form der Trivialliteratur nicht abriss. Im Gegenteil expandierte sie gar in andere europäische Länder wie Frankreich und Italien, wo die Texte noch im selben Jahr auch in Buchform erschienen.

„Eva füllte ihren Büstenhalter mit Taschentüchern aus, um ihren Brüsten diese Rundungen zu verleihen, die dem Führer so gefielen."

Ursprünglich verbreitet hatte die falschen Tagebücher der bekannte Bergsteiger, Schauspieler und Schriftsteller Luis Trenker. Auch anno 2015 ist noch immer nicht geklärt, ob Trenker die 96 Schreibmaschinenseiten, die er von Eva Braun persönlich in einem Kitzbühel Hotel empfangen zu haben behauptete, selbst geschrieben hat. Doch viel interessanter als die Autorenfrage ist das Genre, das der Hochstapler ins Leben gerufen hatte.

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„Eva, wie aus dem Paradies"–Die Autoren der Laser waren nicht sparsam mit Komplimenten für die "Ehefrau des Kriegsgotts".

„Eva gab Hitler die Seelenruhe und den emotionalen Frieden, den jeder Mann braucht". 

Die von Trenker in Umlauf gebrachten Liebesgeschichten aus dem Hause Hitler waren die ersten  Nazi-Mash-Ups ihrer Art, wie eifrige Rechercheure schon bald offiziell beweisen konnten. Die gefälschten Tagebücher der Eva Braun hatten mindestens eine konkrete literarische Vorlage, nämlich das autobiographische Werk  „Meine Vergangenheit" einer gewissen Maria Freiin von Wallersee Gräfin Larisch.

Trenkert oder wer auch immer für die Fälschung der Tagebücher verantwortlich war, hatte die skandalträchtigen Memoiren einfach auf den sozialen Kreis des Diktators übertragen, im Stile eines Kolporteurs um allerlei erotische Details angereichert und so die Grundlagen für den Nazi-Liebesroman im Groschenheft-Stil geschaffen, der das 20. Jahrhundert kurioserweise in Form zahlreicher Remixe überlebt hat und uns auch heute noch in immer neuen Formen über den Weg läuft.

Gab es andere Frauen im Leben Adolf Hitlers, die Eva Braun das Wasser reichen konnten? Laut Laser waren es Geli Raubal und Unity Mitford, die der Führer gleichermaßen verehrte. 

So zum Beispiel unverhoffter Weise auf Reisen durch Südamerika. Als ich vor einigen Wochen auf den besagten Flohmärkten in der chilenischen Hauptstadt Santiago staubige Bücherkisten durchwühlte, sprang mir plötzlich ein umgedrehtes Hakenkreuz in die Augen. Ich hielt eine Ausgabe der Zeitschrift Laser in den Händen: „Tragische Liebschaften der Geschichte: Eva Braun und Adolf Hitler."

Als „Ehefrau des Kriegsgotts" und „wie aus dem Paradies" wird mir Eva Braun in dem leicht angegilbten Groschenheft präsentiert. Hitlers heimliche Liebe als naive Protagonistin einer aufrichtigen Liebesbeziehung. Das „junge Fräulein von 17 Jahren, gerade von der Nonnenschule abgegangen" arbeitete als Mädchen für alles im Fotografiegeschäft des Heinrich Hoffman, der mit seinen ästhetisierenden Bildern Adolf Hitlers nicht nur zum Multimillionär wurde, sondern genauso wie Leni Riefenstahl den Grundstein für sämtliche spätere popkulturelle Inszenierungen eines mehr oder weniger sinnentleerten und enthistorisierten Nazi-Chics, ob nun Inglorious Basterds, Naziploitation oder Rammstein, legte.

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Exemplarisch für die ambivalente Ästhetik der Nazi-Mash-Ups sehen wir auf Seite 49 Magda Göbbels mit ihren Kindern beim Vorlesen, kontrastiert von einem Foto der toten Familie Göbbels im Führerbunker

„SS-Konzert für Eva"

Dieses Geschäft von Heinrich Hoffmann fungiert in der vorliegenden Laser-Ausgabe als Bühne für die zaghaften Annäherungsversuche der engelsgleichen Eva und ihrem 23 Jahre älteren Verehrer.

„Eva füllte ihren Büstenhalter mit Taschentüchern aus, um ihren Brüsten diese Rundungen zu verleihen, die dem Führer so gefielen." Schließlich „übten die Uniformen und Stiefel in vielen Regionen Deutschlands eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die Frauen aus."

Von der ersten Begegnung des ungleichen Paares über das Sofa, auf dem Eva ihr Jungfräulichkeit verliert, bis zu Eifersuchtsgefühlen, Hochzeitsgeschenken und den letzten gemeinsamen Minuten im Führerbunker wird dem geneigter Leser ein dramatischer Liebesroman gereicht, dessen Faszination wohl vor allem in der Mischung aus Schaudern und Entzücken besteht. In die Erzählung von zwei all zu menschlichen schüchternen Turteltäubchen werden immer wieder Andeutungen der furchtbaren Grausamkeiten des Dritten Reichs gestreut werden und Fotos von Magda Göbbels, die ihren Kindern aus einem Buch vorliest, mit Bildern der Kadaver derselben Kinder im Führerbunker kontrastieren.

Eine kurze Google-Recherche fördert zu Tage, dass eine ganze Armada englisch- und spanischsprachiger Blogs die "tragische Liebesgeschichte von Eva Braun und Adolf Hitler" noch immer wieder und wieder neu aufbereitet. Hannah Arendts Banalität des Bösen hat sich also jenseits des Hitlertainment á la Guido Knopp ein eigenes Genre erschaffen, das sich immer wieder neu erfindet.