„Pedro" ist nur die Nummer 3. Eigentlich sollten neben ihm auf der Leipziger Anklagebank auch die Selimi-Brüder sitzen, „Pedros" Chefs und Geschäftspartner bei Kinox.to. Aber als die Polizei im Rahmen einer deutschlandweiten Razzia die Tür ihres Lübecker Elternhaus eintritt, sind die beiden bereits über alle Berge. Bis heute fehlt von ihnen jede Spur.Lange kamen die Ermittler auch „Pedro" nicht auf die Schliche und konnten ihn keiner realen Person zuordnen. Nun aber muss sich Avit O. alias „Pedro" seit dem 30. Oktober als vermeintlicher Mitbetreiber, Programmierer und „Sicherheitsbeauftragter" einer der beliebtesten Websites Deutschlands vor dem Landgericht Leipzig verantworten.
Anzeige
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, als Teil einer mafiösen Struktur 767.000 Links zu raubkopierten Filmen, Serienfolgen und Dokus ins Netz gestellt zu haben. Dank Abos und Werbung soll Avit in den vergangenen Jahren Millionenbeträge verdient haben.Auch über das komplexe System aus Hintermännern, Werbebannervermittlungen und Uploadern gibt es bisher kaum handfeste Informationen. Klar ist, dass das illegale Streaminggeschäft eine organisatorische Meisterleistung ist und vieler Unterstützer und Mitarbeiter bedarf. Doch Avit O. schweigt bisher.
Online ist die Seite Kinox.to bis heute. Noch immer ist das Geschäft mit den illegalen Streams nicht totzukriegen: Trotz Netflix und Co. schauen weiterhin Millionen Deutsche ihre liebsten Blockbuster gratis. Der Polizei will es einfach nicht gelingen, Kinox.to abzuschalten. Dafür fehlen den Ermittlern die Zugangscodes zu den Servern.Nur Stunden nach der Razzia gegen Kino.to soll „Pedro" im Chat schon Pläne für die Nachfolgeseite geschmiedet haben.
Teamarbeit Streaming-Business
Der Prozess gegen den Lübecker begann mit einem Lesemarathon: Über drei Stunden lang referierte der Staatsanwalt Till Neumann die 69-seitige Anklage. Der 30. Oktober war der Auftakt zu einem der größten deutschen Prozesse in Sachen Streaming—vergleichbar nur mit dem Prozess gegen Dirk B., dem mittlerweile inhaftierten Chef von Kino.to, vor dreieinhalb Jahren.Einen wohl ähnlichen Umsatz wie „Pedro" mit Kinox.to machte der Online-Dealer Shiny Flakes
Anzeige
Kino.to-Wiedergänger: Einfach nicht totzukriegen
Dem Gericht steht eine umfangreiche Beweisaufnahme ins Haus. Daher hat die Wirtschaftsstrafkammer für den Prozess bis Ende Januar 19 Verhandlungstage anberaumt. Die Staatsanwaltschaft legt dem früheren „Sicherheitsbeauftragten" Avit O. neben den Urheberrechtsverstößen auch Eingriff in Datenverarbeitungssysteme, Computersabotage, Steuerhinterziehung und Nötigung zur Last.Doch ein genauerer Blick auf den Fall zeigt, welche weitreichenden kriminellen Tentakel das vermeintlich harmlose System Kinox.to entspannte, um zu einer Millionenmaschine für seine Betreiber zu werden.Das Verfahren steht am Ende einer Entwicklung, die Anfang der 2000er begonnen hat. Der Leipziger Dirk B. entdeckte nach eigenem Bekunden zur Jahrtausendwende die Chance, im Internet mit Werbung viel Geld zu verdienen. Etwa vier Jahre später geriet der Fußbodenverleger erstmals mit dem Gesetz in Konflikt: Über das Portal „Saugstube" hatte er Raubkopien verbreitet. Die Justiz beließ es bei einem Strafbefehl. Dirk zahlte 150 Tagessätze à 26 Euro. Die „Saugstube" existierte allerdings noch jahrelang weiter. Ermittler nahmen das Portal schließlich im Zuge der Razzia gegen Kino.to vom Netz.
Startschuss: Saugstube
Bei Kino.to gab es sogar Weihnachtsfeiern für die Mitarbeiter.
Anzeige
Spätestens ab 2008 betrieb Dirk mit einigen handverlesenen Mitarbeitern Kino.to. Der Leipziger verdiente mit dem Streaming-Dienst gigantische Summen. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden bezifferte seine Umsätze auf rund 6,6 Millionen Euro. Neben Geldern aus Werbung und Einnahmen seines Filehosters Archiv.to vermittelte Dirk Mitarbeitern seines Netzwerks, die eigene Filehoster betrieben, lukrative Werbedeals, für die er sich selbst saftige Provisionen einstrich. Zu den Großkunden zählte laut Zeugenaussagen u.a. der Österreicher Valentin F. Der frühere Eigentümer des Szene-Forums Gulli.com veröffentlichte auf seiner Seite sogar ein Interview, das drei Kino.to-Mitarbeiter abgefasst hatten, um für das Filmportal zu werben.Das Kinox.to-Geschäftsmodell gleicht bis heute dem von Kino.to, das früher rund 1,3 Millionen Links zu illegal kopierten Filmen, Serienfolgen und Dokus verzeichnete. Avit kassierte Einnahmen aus Werbung und durch Abos, die User in Form von Premium-Accounts mit Filehostern abschlossen. Diese Plattformen, auf denen die illegalen Dateien gespeichert werden, liegen teilweise nämlich in den Händen der Seitenbetreiber selbst, die ihren Kunden folglich keineswegs nur Links, sondern die kopierten Werke selbst bereitstellen.Frühere Mitarbeiter berichten vor Gericht von straffen Hierarchien, an deren Spitze Dirk B. gestanden habe. Nummer zwei war Chefprogrammierer Bastian P. (33). Avit O. alias „Pedro" war den beiden Köpfen ab Frühjahr 2009 direkt untergeordnet. Nach einem Hack der Kino.to-Seite 2009 erfuhr Avit den Klarnamen des Betreibers Dirk B. und nahm gezielt zu ihm Kontakt auf.
Kinox.to: Das lange Leben einer Kopie
Anzeige
Die Generalstaatsanwaltschaft beschreibt das System als „arbeitsteiliges, parasitäres Geschäftsmodell". Sogenannte Uploader beschafften die Filme. Betreiber von Filehostern bewarben sich laut Programmierer P. um die Aufnahme in das Netzwerk, um von der immensen Reichweite des Streaming-Dienstes zu profitieren. Die Uploader und Hoster seien in der Regel nur über ein Admin-Tool mit Kino.to verknüpft gewesen, ohne die Menschen hinter dem Projekt persönlich zu kennen.Die Staatsanwaltschaft nennt es ein „arbeitsteiliges, parasitäres Geschäftsmodell".
Der „harte Kern", eine Handvoll Uploader, Administratoren und sogenannte „Freischalter", kommunizierte auch via Skype. Die Mitarbeiter trafen sich sogar bei zwei Weihnachtsfeiern in Leipzig, die Dirk organisiert hatte. Gehälter wurden auf Rechnung und in bar ausgezahlt.Nach der Razzia am 8. Juni 2011 landeten die meisten Mitglieder des inneren Zirkels in Untersuchungshaft. Kino.to konnte die Polizei mit Hilfe des Chefprogrammierers, der nach einer Begegnung mit den Maschinenpistolen eines SEKs eine Kronzeugenregelung unterzeichnete und alle Passwörter übergab, aus dem Netz nehmen. Acht Täter sind mittlerweile abgeurteilt. Dirk B. musste für viereinhalb, Bastian P. für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Drei weitere Beschuldigte erhielten Haftstrafen, drei weitere Mittäter kamen mit Bewährungsstrafen davon.Surfen hinter Gittern: Dieses System bietet Häftlingen zumindest ein bisschen Internetzugang
Anzeige
Die unauffällige Lobby hinter den Ermittlungen
Der Lobbyverband brachte das Fass im April 2011 mit einem Strafantrag ins Rollen. Insider hatten gegenüber der GVU ausgepackt. Das Informationshonorar soll im sechsstelligen Euro-Bereich gelegen haben. Die Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen (INES), ein bei der Generalstaatsanwaltschaft angesiedelter Verbund aus Staatsanwälten, Polizisten, Buch- und Wirtschaftsprüfern, begann zu ermitteln. Die Razzia am 8. Juni entlarvte die vermeintlichen Streaming-Piraten schließlich als Raubkopierer-Ring, dessen Mitglieder einzig und allein das eigene Portemonnaie im Blick hatten. Gegenüber Motherboard äußerte sich GVU-Geschäftsführer Matthias Leonardy bislang nicht zu dem laufenden Verfahren.Freifahrtschein: In Österreich werden illegale Downloads nicht geahndet
Der digitale Goldrausch geht weiter
Anzeige
Das Ende von Kinox.to
Wahrscheinlich bewaffnet: Die Selimi-Brüder
Kontakte zu den Hells Angels und zum Russian Business Network—die Semilis schlagen eine härtere Gangart ein.
Anzeige
Ihre Mitbewerber sollen die Brüder mit harten Bandagen unter Druck gesetzt haben. Sogar von Morddrohungen ist die Rede. Besonders hart verliefen die Auseinandersetzungen mit dem Hacker Tim C. sowie den Betreibern von movie2k.to. In der Gründungsphase von Kinox.to sahen Pedro und die Selimis ihr Portal mit wiederkehrenden DDos-Attacken konfrontiert. Das Betreiber-Trio vermutete C. hinter den Angriffen. Als ihnen der Hacker im Herbst 2011 mit seinem Konkurrenzportal den deutschen Markt streitig machte, ging das Auto seiner Mutter in Flammen auf. Schließlich stellte das Trio den widerspenstigen Konkurrenten in der Warez-Szene bloß, indem es seinen Klarnamen offenlegte.Die Selimi-Brüder sind deutsche Staatsbürger. Kastriot ist im Kosovo geboren. Die Familie floh in den Wirren des Bürgerkriegs nach Schweden, wo Kreshnan zur Welt kam. Auf welchen Wegen die jungen Männer in die kriminelle Internetwelt eingetaucht sind, lässt sich bloß erahnen. Sollten die Infos der GVU zutreffen, starteten die Selimis im Alter von 13 und 16 Jahren mit Bitshare.com ihren ersten Filehoster. Heute werden ihnen Drähte zum „Russian Business Network" (RBN) nachgesagt. Der Sankt Petersburger Provider soll eine führende Rolle bei der internationalen Internetkriminalität, etwa der Verbreitung von Phishing- und Spam-Mails sowie Kinderpornografie, spielen.
GVU und Generalstaatsanwaltschaft gehen davon aus, dass die Selimi-Brüder neben Kinox.to das Konkurrenzportal movie4k.to, die Spiele-Download-Plattform Rom-Freaks.net, die Speicherdienste Bitshare und Freakshare sowie weitere illegale Angebote betreiben könnten. Die Ermittler werfen dem Duo vor, spätestens seit 2009 Straftaten wie räuberische Erpressung, Nötigung, Brandstiftung, Urheberrechtsverletzung und Steuerhinterziehung begangen zu haben.Während sächsische Ermittler Hand in Hand mit der GVU die Betreiber von Streaming-Diensten jagen, sind nicht wenige Internetnutzer verunsichert. Müssen User befürchten, vor Gericht zu landen, wenn GVU oder Justiz sie beim Filme gucken erwischen? Für einen Leipziger Amtsrichter war der Fall im Dezember 2011 klar. „Denn auch beim Streaming werden die über das Internet empfangenen Datenblöcke zunächst auf dem Rechner zwischengespeichert, um sodann in eine flüssige Bildwiedergabe auf dem Bildschirm des Nutzers ausgegeben werden zu können", argumentierte Mathias Winderlich in seiner Urteilsbegründung. „§ 16 UrhG stellt insoweit klar, dass auch vorübergehend erstellte Vervielfältigungsstücke dem Urheberrechtsschutz unterfallen."
Streaming? Für die Zuschauer noch immer eine Grauzone
Die Entscheidung entfaltete seinerzeit Signalwirkung, ist jedoch nicht bindend. Das deutsche Recht kennt keine Präzedenzfälle. Die Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof haben sich zur Streaming-Frage noch nicht hinreichend geäußert, um von einer verlässlichen Rechtsprechung sprechen zu können.Streaming bleibt eine Grauzone—auch wenn die Lobbyisten von der GVU das ganz anders sehen. Doch allein die schiere Anzahl an Kunden macht eine Strafverfolgung vorerst unwahrscheinlich. Und so wird es wohl noch länger illegale Alternativen zu Netflix und Co. geben.Motherboard wird weiterhin vom Prozess gegen Avit O. berichten—am 9.11. werden die ersten Zeugen vernommen.