Aufstieg und Fall des Streaming-Millionärs: Mutmaßlicher Kinox-Pate vor Gericht
Bild: Martin Schöler

FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Aufstieg und Fall des Streaming-Millionärs: Mutmaßlicher Kinox-Pate vor Gericht

Das illegale Streaming-Portal Kinox.to bleibt online. Zwei mutmaßliche Betreiber-Brüder sind auf der Flucht, doch die Nummer Drei der internen Hierarchie steht jetzt in Leipzig vor Gericht.

„Pedro" ist nur die Nummer 3. Eigentlich sollten neben ihm auf der Leipziger Anklagebank auch die Selimi-Brüder sitzen, „Pedros" Chefs und Geschäftspartner bei Kinox.to. Aber als die Polizei im Rahmen einer deutschlandweiten Razzia die Tür ihres Lübecker Elternhaus eintritt, sind die beiden bereits über alle Berge. Bis heute fehlt von ihnen jede Spur.

Lange kamen die Ermittler auch „Pedro" nicht auf die Schliche und konnten ihn keiner realen Person zuordnen. Nun aber muss sich Avit O. alias „Pedro" seit dem 30. Oktober als vermeintlicher Mitbetreiber, Programmierer und „Sicherheitsbeauftragter" einer der beliebtesten Websites Deutschlands vor dem Landgericht Leipzig verantworten.

Anzeige

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, als Teil einer mafiösen Struktur 767.000 Links zu raubkopierten Filmen, Serienfolgen und Dokus ins Netz gestellt zu haben. Dank Abos und Werbung soll Avit in den vergangenen Jahren Millionenbeträge verdient haben.

Nur Stunden nach der Razzia gegen Kino.to soll „Pedro" im Chat schon Pläne für die Nachfolgeseite geschmiedet haben.

Online ist die Seite Kinox.to bis heute. Noch immer ist das Geschäft mit den illegalen Streams nicht totzukriegen: Trotz Netflix und Co. schauen weiterhin Millionen Deutsche ihre liebsten Blockbuster gratis. Der Polizei will es einfach nicht gelingen, Kinox.to abzuschalten. Dafür fehlen den Ermittlern die Zugangscodes zu den Servern.

Teamarbeit Streaming-Business

Auch über das komplexe System aus Hintermännern, Werbebannervermittlungen und Uploadern gibt es bisher kaum handfeste Informationen. Klar ist, dass das illegale Streaminggeschäft eine organisatorische Meisterleistung ist und vieler Unterstützer und Mitarbeiter bedarf. Doch Avit O. schweigt bisher.

Einen wohl ähnlichen Umsatz wie „Pedro" mit Kinox.to machte der Online-Dealer Shiny Flakes

Der Prozess gegen den Lübecker begann mit einem Lesemarathon: Über drei Stunden lang referierte der Staatsanwalt Till Neumann die 69-seitige Anklage. Der 30. Oktober war der Auftakt zu einem der größten deutschen Prozesse in Sachen Streaming—vergleichbar nur mit dem Prozess gegen Dirk B., dem mittlerweile inhaftierten Chef von Kino.to, vor dreieinhalb Jahren.

Anzeige

Kino.to-Wiedergänger: Einfach nicht totzukriegen

Der 8. Juni 2011 sollte eigentlich einen schwarzen Tag für das illegale Streaming-Geschäft made in Germany markieren. Dirk B. aus Leipzig wurde als Betreiber der Seite Kino.to festgenommen, mehrere weitere Betreiber später verurteilt.

Ermittler wie auch Filmindustrie hofften, den extrem populären, illegalen Streaming-Seiten damit endlich einen Riegel vorzuschieben. Doch da hatten sie sich getäuscht: Noch am selben Tag soll „Pedro" in einem Chat bereits Pläne für das Nachfolgeprojekt geschmiedet haben. Und nur fünf Wochen später ging Kinox.to an den Start.

Kinox.to-Pläne soll „Pedro" direkt am Tag der Abschaltung von Kino.to geschmiedet haben. Bild: imago

Dem Gericht steht eine umfangreiche Beweisaufnahme ins Haus. Daher hat die Wirtschaftsstrafkammer für den Prozess bis Ende Januar 19 Verhandlungstage anberaumt. Die Staatsanwaltschaft legt dem früheren „Sicherheitsbeauftragten" Avit O. neben den Urheberrechtsverstößen auch Eingriff in Datenverarbeitungssysteme, Computersabotage, Steuerhinterziehung und Nötigung zur Last.

Doch ein genauerer Blick auf den Fall zeigt, welche weitreichenden kriminellen Tentakel das vermeintlich harmlose System Kinox.to entspannte, um zu einer Millionenmaschine für seine Betreiber zu werden.

Startschuss: Saugstube

Das Verfahren steht am Ende einer Entwicklung, die Anfang der 2000er begonnen hat. Der Leipziger Dirk B. entdeckte nach eigenem Bekunden zur Jahrtausendwende die Chance, im Internet mit Werbung viel Geld zu verdienen. Etwa vier Jahre später geriet der Fußbodenverleger erstmals mit dem Gesetz in Konflikt: Über das Portal „Saugstube" hatte er Raubkopien verbreitet. Die Justiz beließ es bei einem Strafbefehl. Dirk zahlte 150 Tagessätze à 26 Euro. Die „Saugstube" existierte allerdings noch jahrelang weiter. Ermittler nahmen das Portal schließlich im Zuge der Razzia gegen Kino.to vom Netz.

Bei Kino.to gab es sogar Weihnachtsfeiern für die Mitarbeiter.

Anzeige

Spätestens ab 2008 betrieb Dirk mit einigen handverlesenen Mitarbeitern Kino.to. Der Leipziger verdiente mit dem Streaming-Dienst gigantische Summen. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden bezifferte seine Umsätze auf rund 6,6 Millionen Euro. Neben Geldern aus Werbung und Einnahmen seines Filehosters Archiv.to vermittelte Dirk Mitarbeitern seines Netzwerks, die eigene Filehoster betrieben, lukrative Werbedeals, für die er sich selbst saftige Provisionen einstrich. Zu den Großkunden zählte laut Zeugenaussagen u.a. der Österreicher Valentin F. Der frühere Eigentümer des Szene-Forums Gulli.com veröffentlichte auf seiner Seite sogar ein Interview, das drei Kino.to-Mitarbeiter abgefasst hatten, um für das Filmportal zu werben.

Kinox.to: Das lange Leben einer Kopie

Das Kinox.to-Geschäftsmodell gleicht bis heute dem von Kino.to, das früher rund 1,3 Millionen Links zu illegal kopierten Filmen, Serienfolgen und Dokus verzeichnete. Avit kassierte Einnahmen aus Werbung und durch Abos, die User in Form von Premium-Accounts mit Filehostern abschlossen. Diese Plattformen, auf denen die illegalen Dateien gespeichert werden, liegen teilweise nämlich in den Händen der Seitenbetreiber selbst, die ihren Kunden folglich keineswegs nur Links, sondern die kopierten Werke selbst bereitstellen.

Frühere Mitarbeiter berichten vor Gericht von straffen Hierarchien, an deren Spitze Dirk B. gestanden habe. Nummer zwei war Chefprogrammierer Bastian P. (33). Avit O. alias „Pedro" war den beiden Köpfen ab Frühjahr 2009 direkt untergeordnet. Nach einem Hack der Kino.to-Seite 2009 erfuhr Avit den Klarnamen des Betreibers Dirk B. und nahm gezielt zu ihm Kontakt auf.

Anzeige

Die Staatsanwaltschaft nennt es ein „arbeitsteiliges, parasitäres Geschäftsmodell".

Die Generalstaatsanwaltschaft beschreibt das System als „arbeitsteiliges, parasitäres Geschäftsmodell". Sogenannte Uploader beschafften die Filme. Betreiber von Filehostern bewarben sich laut Programmierer P. um die Aufnahme in das Netzwerk, um von der immensen Reichweite des Streaming-Dienstes zu profitieren. Die Uploader und Hoster seien in der Regel nur über ein Admin-Tool mit Kino.to verknüpft gewesen, ohne die Menschen hinter dem Projekt persönlich zu kennen.

Surfen hinter Gittern: Dieses System bietet Häftlingen zumindest ein bisschen Internetzugang

Der „harte Kern", eine Handvoll Uploader, Administratoren und sogenannte „Freischalter", kommunizierte auch via Skype. Die Mitarbeiter trafen sich sogar bei zwei Weihnachtsfeiern in Leipzig, die Dirk organisiert hatte. Gehälter wurden auf Rechnung und in bar ausgezahlt.

Nach der Razzia am 8. Juni 2011 landeten die meisten Mitglieder des inneren Zirkels in Untersuchungshaft. Kino.to konnte die Polizei mit Hilfe des Chefprogrammierers, der nach einer Begegnung mit den Maschinenpistolen eines SEKs eine Kronzeugenregelung unterzeichnete und alle Passwörter übergab, aus dem Netz nehmen. Acht Täter sind mittlerweile abgeurteilt. Dirk B. musste für viereinhalb, Bastian P. für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Drei weitere Beschuldigte erhielten Haftstrafen, drei weitere Mittäter kamen mit Bewährungsstrafen davon.

Anzeige

Die unauffällige Lobby hinter den Ermittlungen

Beschäftigt man sich tiefer mit dem Fall "Kino.to", stößt man auf die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU). Der Interessenverband hat sich der Jagd auf Raubkopierer verschrieben. Die GVU engagiert sich nach eigenen Angaben „für einen effektiven Urheberrechtsschutz", um „legale Geschäftsmodelle der Kreativwirtschaft vor illegaler Konkurrenz" zu schützen. Mitglieder sind die Big Player der Branche.

Freifahrtschein: In Österreich werden illegale Downloads nicht geahndet

Der Lobbyverband brachte das Fass im April 2011 mit einem Strafantrag ins Rollen. Insider hatten gegenüber der GVU ausgepackt. Das Informationshonorar soll im sechsstelligen Euro-Bereich gelegen haben. Die Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen (INES), ein bei der Generalstaatsanwaltschaft angesiedelter Verbund aus Staatsanwälten, Polizisten, Buch- und Wirtschaftsprüfern, begann zu ermitteln. Die Razzia am 8. Juni entlarvte die vermeintlichen Streaming-Piraten schließlich als Raubkopierer-Ring, dessen Mitglieder einzig und allein das eigene Portemonnaie im Blick hatten. Gegenüber Motherboard äußerte sich GVU-Geschäftsführer Matthias Leonardy bislang nicht zu dem laufenden Verfahren.

Eine Nachricht von den Betreibern an die GVU auf Kinox.to am 26.10.2014: „Ihr macht euch lächerlicher, als ihr seid. Aber VIELEN DANK (…) für die extreme unbezahlte Werbung". Bild: Screenshot Kinox.to via WayBackMachine

Der digitale Goldrausch geht weiter

Für einige Personen aus dem Umfeld von Kino.to war der digitale Goldrausch aber noch lange nicht vorbei. Spätestens am 21. Juni 2011 kamen Avit O. und zwei Komplizen in den Besitz eines älteren Backups von Kino.to, aus dem dann zwei Wochen nach der Kino.to-Razzia das neue Portal Video2k.tv mit 30.000 Titeln aus dem Kino.to-Portfolio geboren wurde.

Auch das nächste Portal Kinoo.to sah dem Original zum Verwechseln ähnlich. Ein Unbekannter soll mehreren Empfängern einen Vertrag gemailt haben, wonach er der neue Eigentümer der Domain Kino.to sei. Diese habe er drei Monate zuvor für 1,5 Millionen Euro erworben. Ab Anfang November wurden User automatisch zu Video2k.tv weitergeleitet. Die Dienste sind inzwischen wieder offline. Hinter beiden Portalen soll der Hacker Tim C. gesteckt haben. Ermittler nahmen den Raubkopierer im November 2011 in Delmenhorst (Niedersachsen) fest. Doch verurteilt wurde er nach Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft bisher nicht.

Anzeige

Das Ende von Kinox.to

Ab Mitte Oktober 2014 gingen die sächsischen Fahnder gegen die mutmaßlichen Hintermänner von Kinox.to vor. Die Seite basiert offenbar auf der zweiten von insgesamt drei Versionen der Kino.to-Software. Bei einer Durchsuchung in Pansdorf bei Lübeck beschlagnahmten IT-Fahnder diverse Dokumente und Speichermedien. Die beiden Hauptverdächtigen, das Brüderpaar Kreshnik und Kastriot Selimi, gingen den Beamten durch die Lappen. Das Duo ist auf der Flucht, hält sich vermutlich außer Landes auf. Nach den 22 und 26 Jahre alten Männern wird international gefahndet.

„Pedro" ging den Fahndern schließlich in Nordrhein-Westfalen ins Netz: Am 22. Oktober nehmen Polizisten Avit O. fest. Der Raubkopierer war schon länger im Visier der Fahnder. Schon Anfang Juni 2014 vernahmen ihn die Beamten, weil sie die Vermutung hegten, sie könnten es mit „Pedro" zu tun haben.

Wahrscheinlich bewaffnet: Die Selimi-Brüder

Gerierte sich Dirk B. noch halbwegs als seriöser Geschäftsmann, operieren die Selimis als Kinox.to-Betreiber mit Drohungen und Gewalt. Das LKA warnt: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie im Besitz von Schusswaffen sind." Die Befürchtung kommt nicht von ungefähr. Bei einer Durchsuchung ihres Elternhauses aufgrund des Verdachts, die Brüder könnten für das Games-Download-Portal rom-freaks.net verantwortlich sein, fanden die Polizisten im Januar 2013 eine Pistole. Ob es sich dabei um jene Waffe handelte, die sich laut Anklage einer der Brüder im Sommer 2011 bei einem Waffenhändler der Hells Angels besorgt haben soll, ist bislang unklar.

Kontakte zu den Hells Angels und zum Russian Business Network—die Semilis schlagen eine härtere Gangart ein.

Anzeige

Ihre Mitbewerber sollen die Brüder mit harten Bandagen unter Druck gesetzt haben. Sogar von Morddrohungen ist die Rede. Besonders hart verliefen die Auseinandersetzungen mit dem Hacker Tim C. sowie den Betreibern von movie2k.to. In der Gründungsphase von Kinox.to sahen Pedro und die Selimis ihr Portal mit wiederkehrenden DDos-Attacken konfrontiert. Das Betreiber-Trio vermutete C. hinter den Angriffen. Als ihnen der Hacker im Herbst 2011 mit seinem Konkurrenzportal den deutschen Markt streitig machte, ging das Auto seiner Mutter in Flammen auf. Schließlich stellte das Trio den widerspenstigen Konkurrenten in der Warez-Szene bloß, indem es seinen Klarnamen offenlegte.

Die Selimi-Brüder sind deutsche Staatsbürger. Kastriot ist im Kosovo geboren. Die Familie floh in den Wirren des Bürgerkriegs nach Schweden, wo Kreshnan zur Welt kam. Auf welchen Wegen die jungen Männer in die kriminelle Internetwelt eingetaucht sind, lässt sich bloß erahnen. Sollten die Infos der GVU zutreffen, starteten die Selimis im Alter von 13 und 16 Jahren mit Bitshare.com ihren ersten Filehoster. Heute werden ihnen Drähte zum „Russian Business Network" (RBN) nachgesagt. Der Sankt Petersburger Provider soll eine führende Rolle bei der internationalen Internetkriminalität, etwa der Verbreitung von Phishing- und Spam-Mails sowie Kinderpornografie, spielen.

Bild: Martin Schöler

GVU und Generalstaatsanwaltschaft gehen davon aus, dass die Selimi-Brüder neben Kinox.to das Konkurrenzportal movie4k.to, die Spiele-Download-Plattform Rom-Freaks.net, die Speicherdienste Bitshare und Freakshare sowie weitere illegale Angebote betreiben könnten. Die Ermittler werfen dem Duo vor, spätestens seit 2009 Straftaten wie räuberische Erpressung, Nötigung, Brandstiftung, Urheberrechtsverletzung und Steuerhinterziehung begangen zu haben.

Streaming? Für die Zuschauer noch immer eine Grauzone

Während sächsische Ermittler Hand in Hand mit der GVU die Betreiber von Streaming-Diensten jagen, sind nicht wenige Internetnutzer verunsichert. Müssen User befürchten, vor Gericht zu landen, wenn GVU oder Justiz sie beim Filme gucken erwischen? Für einen Leipziger Amtsrichter war der Fall im Dezember 2011 klar. „Denn auch beim Streaming werden die über das Internet empfangenen Datenblöcke zunächst auf dem Rechner zwischengespeichert, um sodann in eine flüssige Bildwiedergabe auf dem Bildschirm des Nutzers ausgegeben werden zu können", argumentierte Mathias Winderlich in seiner Urteilsbegründung. „§ 16 UrhG stellt insoweit klar, dass auch vorübergehend erstellte Vervielfältigungsstücke dem Urheberrechtsschutz unterfallen."

Auch eine Frage des Copyrights: Darf ein Künstler die Instagrambilder anderer ausstellen und damit Geld verdienen?

Die Entscheidung entfaltete seinerzeit Signalwirkung, ist jedoch nicht bindend. Das deutsche Recht kennt keine Präzedenzfälle. Die Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof haben sich zur Streaming-Frage noch nicht hinreichend geäußert, um von einer verlässlichen Rechtsprechung sprechen zu können.

Streaming bleibt eine Grauzone—auch wenn die Lobbyisten von der GVU das ganz anders sehen. Doch allein die schiere Anzahl an Kunden macht eine Strafverfolgung vorerst unwahrscheinlich. Und so wird es wohl noch länger illegale Alternativen zu Netflix und Co. geben.

Motherboard wird weiterhin vom Prozess gegen Avit O. berichten—am 9.11. werden die ersten Zeugen vernommen.