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Wellenfeldsynthese ist virtuelle Realität für deine Ohren

Mit ein bisschen Mathematik, Physik und hunderten Lautsprechern erschafft das 3D-Audiosystem eine virtuelle Klangwelt, durch die du dich als Hörer frei bewegen kannst, ohne dass sich die Sound-Qualität verschlechtert.
Wellenfeldsynthese-Anlage des Fraunhofer Instituts
Wellenfeldsynthese-Anlage des Fraunhofer Instituts | Bild: Tobias Heinl. Verwendet mit freundlicher Genehmigung

Am 29. November 1877 präsentierte Thomas Alva Edison stolz seinen Phonographen, der erstmals Klang abspeichern und wiedergeben konnte. Die Entwicklung des amerikanischen Erfinders bildete nicht nur die Grundlage der modernen Plattenindustrie, sondern elektrisierte die Hörer auch mit einer überwältigenden neuen Welt in der Klänge realistisch wiedergegeben werden.

Die Realitätsnähe der ersten Grammophon Platten mag für uns heute etwas zweifelhaft sein, aber für damalige Verhältnisse muss die Echtheit von abgespieltem Klang eine faszinierende Erfahrung gewesen sein—ganz im Einklang mit der aufkommenden individualisierten Konsumgesellschaft. Der schwerhörige Erfinder Thomas Edison selbst jedenfalls brüllte damals „Hulloooo" in den Apparat und war begeistert als er anschließend seine Stimme über die Walze hören konnte.

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Die Authentizität von Sound bleibt bis heute ein stets aktualisiertes Versprechen von Musikanlagen. Nach Mono und Stereo gilt inzwischen längst Dolby Surround als Standard für überwältigenden Raumklang. Dolby 4.0, 5.1, 7.1 oder 13.1 warten zwar mit immer mehr Kanälen auf, doch neuere 3D-Audiosysteme tricksen dein Gehör nicht mehr aus, sondern erschaffen dank ihrer virtuellen Schallquellen gleich eigene Sound-Räume.

Mit ein wenig Mathematik, Physik und 2000 Lautsprechern

Die Physik der Wellenfeldsynthese basiert auf einem Verfahren der holländischen TU Delft von 1988, und wurde inzwischen vom Fraunhofer Institut für Digitale Medientechnologie IDMT in Ilmenau zu einem praktikablen System weiter entwickelt. Die Anlage wartet gerne mit mehreren hundert Boxen auf und kann eine virtuelle Sound-Realität erschaffen, durch die sich der Hörer frei bewegen kann und dabei an jedem Punkt einen idealen Klang geliefert bekommt. Vor wenigen Wochen habe ich mich selbst an das 3D-Audio System setzten können und eine eigene Komposition für die virtuellen Schallquellen entwickelt.

Die gute alte Mono-Wiedergabe der ersten Jahrzehnte der Schallplattenproduktion konnte zwar schon recht gut Direktschall abbilden, aber Stereo versprach erstmals dem Schall eine räumliche Dimension zu verleihen. Und die Werbung ließ es sich nicht nehmen immer neue Revolutionen im Raumklang anzupreisen, wie zum Beispiel in dieser Werbung aus den 1970er Jahren:

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Bild: Nesster / FlickR | CC BY 2.0

Bei Stereo-Lautsprechern entsteht mit Hilfe von zwei Lautsprechern durch Laufzeit- und Pegelunterschiede eine Phantom-Schallquelle. Das Ohr wird durch psychoakustische Effekte ausgetrickst und stellt sich zwischen den beiden Lautsprechern der Stereo-Anlage einen Herkunftsort des Klangs vor. Surround Sound erweiterte dieses System um immer mehr Lautsprecher und verspricht bessere Lokalisation, Tiefenstaffelung und Räumlichkeit.

Doch Raumklang existiert bei herkömmlichem, kanalbasiertem Surround, nach wie vor nur durch den gleichen Trick mit der Phantomschallquelle. Auch für mich als Musiker stellt bei diesen Systemen der sogenannte ‚Sweetspot' ein großes Problem dar—die ideale Hörposition, die üblicherweise genau in der Mitte zwischen den Lautsprechern liegt. Im Studio typischerweise eine Steilvorlage für Streitigkeiten zwischen Toningenieur und Produzent.

Als würde ein Helikopter um dich herum kreisen

Auch wenn du im Kino ganz an der Seite sitzt ist der Raumklang offensichtlich schlechter, als wenn du dich bis zu einem Platz in der Mitte drängelst. Noch ungünstiger wird es, wenn ich mich im Raum bewege, denn dann bewegt sich die Schallquelle mit mir mit. Was eben noch in der Mitte erklang erscheint weiter links, sobald ich einen Schritt nach links mache.

3D Audio Systeme, wie das Verfahren zur Wellenfeldsynthese, versprechen dieses Problem zu beseitigen. Sie funktionieren nicht mehr über das Austricksen unserer Wahrnehmung durch Phantomschallquellen. Stattdessen erschafft das System vom Fraunhofer Institut mit virtuellen Schallquellen ein realistische Reproduktion der Aufnahmesituation und die Wiedergabe von komplexen Räumen.

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Bild (Ausschnitt): Fraunhofer IDMT. Verwendet mit freundlicher Genehmigung.

Mit ein bisschen Mathe und Physik werden virtuelle Schallquellen im Computer berechnet und über die Wiedergabe eines entsprechenden Lautsprechersystems rekonstruiert. Damit sich die virtuellen Schallquellen in ihrem Verhalten kaum von realen unterscheiden, braucht es zur Synthese bislang noch eine große Anzahl von Lautsprechern, die einmal um den ganzen Raum gehen. Also werden in den Systemen meist hunderte von Lautsprechern verbaut. In einem Hörsaal der Technischen Universität Berlin sind es sogar über 2000 Lautsprecher.

Für jeden Lautsprecher berechnet ein Algorithmus ein individuelles Signal, mit anderer Lautstärke und zeitlicher Verzögerung. Im Zusammenspiel ergibt sich daraus das physikalische Schallfeld der virtuellen Schallquelle. In diesem objektbasiertem Verfahren kann eine virtuelle Schallquelle also z.B. in der Mitte des Raums positioniert werden. Sie bleibt dann in der Mitte, auch wenn ich mich im Raum bewege und um sie herum laufe.

Als ich zusammen mit meinen Kollegen der Sound Studies vor kurzem eine Arbeit für die Wellenfeldsynthese entwickelte, bemerkten wir schnell, dass selbst die beste virtuelle Realität nicht perfekt sein kann. Selbst wenn die Lokalisation der virtuellen Schallquelle ganz gut funktionierte und der Schall wirklich aus der Mitte des Raumes zu kommen schien, so hört man dazu immer noch die Lautsprecher von außen.

Räume, die nicht nach den Regeln der Realität funktionieren

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Wir interessierten uns aber ohnehin weniger für die perfekte akustische Reproduktion von Räumen und mehr für die Erschaffung neuer Räume, die nicht nach den Regeln der Realität funktionieren müssen. Wir wollten das System nicht zur Simulation sondern für eine Live-Performance nutzen, und präsentierten verschiedene Stücke bei der Audio Engineering Society Convention in Berlin.

Dass man mit vielen Lautsprechern um sich herum eine Menge Spaß haben kann, wussten schon die Pioniere der Elektroakustischen Musik. Karlheinz Stockhausen bespielte für die Weltausstellung in Osaka im Jahr 1970 ein ganzes Kugelauditorium, in dem er den Sound live auf 50 Lautsprechergruppen verteilte. Francois Bayle wiederum designte 1974 sein aus 80 verschiedenen Lautsprechern bestehendes Acousmonium zur räumlichen Wiedergabe der musique conrète Kompositionen:

Längst werden 3D Audiosysteme nach dem Prinzip der Wellenfeldsynthese nicht nur für künstlerische Einsätze sondern auch in der Forschung und für Firmenveranstaltungen, Live-Konzerte und Multimediale Opern eingesetzt. Fürs Kino hat Dolby mit Atmos längst auch sein eigenes System am Start, was das objektbasierte Verfahren der Wellenfeldsynthese aufgreift und mit herkömmlichem Kanal-Surround kombiniert.

Eine genauere Abbildung der Realität scheint bei 3D Audio immer noch als Überwältigungstaktik für eine größere Immersion zu taugen. So gab Alek Sandar, Model und Musiker als Reaktion auf eine 3D Audio Show bei der Berliner Fashion Week zu Protokoll:

„Es war etwas ganz neues, denn es war wirklich sehr authentisch. Ich hatte tatsächlich das Gefühl als würde der Helikopter überall um mich herum fliegen."

Willst du diese Immersion zu Hause erleben, kannst du das bald auch ohne das nötige Kleingeld und den Platz für hunderte von Lautsprechern. Die deutsche Firma IOSONO, die als Pioniere für kommerzielle Systeme zur Wellenfeldsynthese für viele der oben genannten Beispiele verantwortlich ist, bringt die Wellenfeldsynthese nun auch auf den Weg in dein Wohnzimmer und den Sound näher an dein Ohr: Im „next level of realism" kannst du zum Beispiel mit deiner Playstation noch tiefer in virtuelle Welten abtauchen.

Schon bald wirst du dir mit Papierlautsprechern großflächig dein Zimmer tapezieren, und wenn du sowieso nur durch eine Virtual-Reality-Brille auf die Welt schaust, tut es vielleicht auch einfach dein ganz normaler Kopfhörer, der durch ein bisschen Software um Surround 3D erweitert wird—was du dir hier gleich mal anhören kannst.