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abstiegskampf

Der Platzsturm der VfB-Fans war vorbildliches Chaos

Nach dem voraussichtlichen Abstieg stürmten Stuttgarter „Chaos-Fans" den Platz. Dabei waren sich vor Ort alle einig: Dieser Platzsturm war absolut vorbildlich.
Foto: Imago

Der VfB Stuttgart ist einen Spieltag vor Schluss so gut wie abgestiegen. Dabei träumten Optimisten beim schwäbischen Traditionsverein Anfang März nach dem 5:1-Sieg gegen Hoffenheim und nur sechs Punkten Rückstand auf Platz 7 noch von der Europa-League. Doch keines der acht Spiele danach konnte der VfB gewinnen. Nun steht der Meister von 2007 auf Platz 17 und kann den ersten Abstieg seit 41 Jahren nicht mehr aus eigener Kraft abwenden. Nach der schwachen 1:3-Heimniederlage gegen Mainz 05 brachen auch bei den Fans alle Dämme: Sie stürmten den Platz. „Chaos, Tränen, Platzsturm: VfB am Boden", titelte der kicker. Bei der BILD-Zeitung hieß es in der Überschrift beängstigend: „Wut-Fans stürmen den Platz."

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Als die ersten Fans nach Abpfiff das Spielfeld „stürmten", trotteten sie gemächlich in Richtung Mittelkreis. Ein Großteil der VfB-Profis kam ihnen entgegen. Die Stadionordner schlenderten hinterher. Hunderte Fans stellten ihr Team zur Rede. Von außen sah es wie das reinste Chaos aus—doch es war ein geregeltes Chaos. „Ich will die Dinge nicht zusätzlich überhöhen. Wir akzeptieren das so, es ist keiner zu Schaden gekommen", erklärte VfB-Sportvorstand Robin Dutt nachher den Pressvertretern. „Ich habe auch in der Menge gestanden und ich hatte jederzeit den Eindruck, dass unsere Sicherheitskräfte die Lage im Griff hatten."

Ein Platzsturm ist—außerhalb von Sieges- und Aufstiegsfeiern—wohl nie gut zu heißen. Schließlich können Kurzschlussreaktionen ernsthaften Schaden anrichten und es stellt sich die Frage nach dem rationalen Sinn. Das Motiv des „Luftmachens" ist dagegen nur zu verständlich. Während vor Jahren aber die Abstiegs-Platzstürmer aus Berlin und Frankfurt für hässliche Bilder sorgten, brillierten sowohl Fans als auch Sicherheitskräfte und Spieler am Samstagnachmittag in Stuttgart. Durch das ausschließliche Absichern der Stadionordner von Gästesektor und Spielertunnel wurde die Lage deeskaliert—auch, weil die Polizei sich zurückhielt und nicht eingriff. Und die Fans benahmen sich ebenfalls.

„Bis auf einige Pöbler—was bei der Enttäuschung auch irgendwie zu verstehen ist—war die Stimmung überhaupt nicht aggressiv", erzählt ein Platzstürmer auf Nachfrage von VICE Sports. Auf TV-Bildern war sogar zu sehen, dass zu heftig pöbelnde Chaoten von anderen Fans zurückgehalten wurden. „Dass manche in der Enttäuschung über das Ziel hinausschießen, muss man so akzeptieren", erklärte Dutt. Die meisten Anhänger wollten nur mit den Profis sprechen, andere ließen durch „Vorstand raus"-Rufe ihrem Frust freien Lauf. Aber auch die VfB-Spieler hatten ihren Anteil an der weitaus ruhigen Lage.

Zwar überzeugten die Profis während der 90 Minuten gegen Mainz keineswegs, doch danach bewiesen sie Größe. Sie sprinteten nicht in die Kabine, sondern gingen auf die aufgebrachten Fans zu und standen ihnen Rede und Antwort. So diskutierten etwa Kapitän Christian Gentner und Neuzugang Kevin Großkreutz mit den Anhängern über einzelne Spielszenen oder den drohenden Abstieg. Großkreutz, der sich offen fannah und Ultra-affin gibt, überzeugte die VfB-Anhänger nicht erst durch die Tränen im späteren Sky-Interview von seiner Glaubwürdigkeit. Der Ex-Dortmunder verschwand als vorletzter Profi und unter „Außer Kevin könnt ihr alle gehen"-Sprechchören in der Kabine.

Großkreutz ging nach langer Diskussion als Vorletzter in die Kabine. Die Fans singen: "Außer Kevin könnt ihr alle gehen"
— BILD VfB Stuttgart (@BILD_VfB) 7. Mai 2016

Von Abstieg will beim VfB zwar noch niemand etwas wissen, doch fast alles spricht dafür. Die Stuttgarter stehen mit einer weitaus schlechteren Tordifferenz zwei Punkte hinter Bremen und drei Zähler hinter Frankfurt auf einem direkten Abstiegsplatz. Daher muss der VfB kommendes Wochenende auf das direkte Duell der beiden Konkurrenten vor ihm schauen. Um überhaupt die Chance auf den Relegationsplatz zu wahren, müssen sich die Schwaben aber erstmal einen Sieg in Wolfsburg erkämpfen. Bis dahin kann man Verein und Mannschaft trotz enttäuschender Leistungen in den letzten Monaten und Jahren zumindest nicht vorwerfen im absoluten Chaos zu versinken. Im Falle eines Abstiegs gehen jedoch nur die Fans ganz sicher mit in die zweite Liga—Profis, Vorstand und sportliche Leitung vielleicht nicht.

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