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Der UK-Pornofilter sperrt den CCC aus dem britischen Internet aus

Camerons angekündigter „War on Porn“ funktioniert genauso wie der „War on Drugs“—nämlich nicht so gut. Ob durch Zufall oder mit Absicht, die Zensur trifft nun ausgerechnet wenige Wochen vor dem nächsten Kongress den Chaos Computer Club.
Auge hinter Reißverschluss
​Bild: Shutterstock / ​Ryger

Der Chaos Computer Club ist ein Opfer der britischen Internetzensur geworden. Die Website des CCC und seiner Veranstaltungen werden seit Ende vergangener Woche bei Zugriffen aus Großbritannien vom Provider Three geblockt.

Bereits im vergangenen Juli 2013 hat der britische Premier David Cameron eine Art Opt-Out-Liste für die großen nationalen Internetprovider angeordnet. Die auch „Great Firewall of Britain" genannte Filtertechnik soll zwar vordergründig kinderpornografisches Material eliminieren und wurde dann auf extremistische Adressen ausgeweitet, blockiert aber auch Seiten, die sich mit ganz legalen Themen befassen, jedoch als jugendgefährdet eingestuft werden—zum Beispiel Nikotin und Alkohol.

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Der Filter führt dazu, dass die jeweiligen Inhalte vom Provider prophylaktisch gesperrt werden müssen und der Nutzer sich anschließend selbst darum bemühen muss, diese Sperrung von Anbieterseite außer Kraft setzen zu lassen.

Da sich auf der CCC-Seite keine Pornografie befindet, bleibt im Ausschlussverfahren als Grund für die jüngste Sperrung eigentlich nur der Verdacht des Extremismus, der eine Filterung des britischen Filters begründen könnte. Wer mit dem Anbieter Vodafone ins Netz geht, kann zudem auch nicht mehr auf die Vorverkaufsstellen des diesjährigen Chaos Communication Congress (31C3) zugreifen, was etwas ungünstig ist, da die Vorbereitung auf das tausende Gäste anziehende Event zwischen Weihnachten und Neujahr aktuell auf Hochtouren laufen. Dirk Engling, Sprecher des CCC, kommentierte die Entwicklungen dann auch drakonisch:

„Wir sehen uns leider darin bestätigt, dass Zensurinfrastruktur – ganz unabhängig vom Land, in dem sie eingesetzt wird – früher oder später auch zur Durchsetzung politischer Interessen eingesetzt wird."

Ob die Blockade des CCC Versehen oder Absicht war, werden wir vermutlich nie wirklich erfahren. Sollte sie versehentlich erfolgt sein, ist der Vorgang immer noch ein weiteres eindrückliches Beispiel dafür, wie schlecht elektronische Filter eigentlich funktionieren und wie schnell unsere Meinungsfreiheit als Kollateralschaden eingeschränkt wird, wenn automatische Systeme das Aussieben von Inhalten übernehmen.

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Das größere Problem an Netzzensur-Mechanismen ist, dass sich ein einmal implementiertes System sehr schwierig wieder entfernen lässt, sondern im Gegenteil schnell für andere Zwecke missbraucht werden kann. Nun trifft es mit dem CCC ausgerechnet eine der wichtigsten, größten und ältesten europäischen Hackervereinigungen, die sich spätestens seit der Veröffentlichung von Wolfgang Schäubles Fingerabdruck einen Namen in den Debatten um die sozialen Implikationen technischer Entwicklungen gemacht hat. Die jüngste Jahreskonferenz 30C3 war außerdem mit rund 8.000 Besuchern und globaler Presseaufmerksamkeit der endgültige Beweis, dass die trotzige Hacker-Paranoia à la „wussten wir eh schon vorher" durchaus ernstzunehmen ist.

Mit dieser Zensurmaßnahme kann sich Großbritanniens Netzpolitik langsam aber sicher in die restriktive Liga lupenreiner Diktaturen wie Saudi-Arabien einreihen. Im Vergleich zu „Tempora", das den gesamten Intenetverkehr über mehrere Tage hinweg speichert, ist das Setzen einer Adresse auf eine Sperrliste per Gerichtsanordnung natürlich ein Kinderspiel.

Das, was Cameron so kämpferisch als War on Porn bezeichnet (vermutlich, weil der War on Drugs ja schon so unheimlich gut funktioniert), wurde kurz nach seiner Einführung auf extremistische Inhalte ausgeweitet. Nach den Filterlisten führte die britische Regierung zuletzt einen Internet-Kanon moralisch korrekter Sexpraktiken ein, der beispielsweise Fesselspiele als jugendgefährdend ausschließt. Das bedeutet in der Weltsicht der britischen Regierung eben auch, durch Overblocking Ratgeber- und Selbsthilfeportale zu sperren. So werden zum Beispiel Websites zur Opferhilfe bei sexueller Gewalt blockiert. Und auch in anderen Bereichen der Netzfreiheit läuft auf der Insel einiges rückwärts: In welchem Land musste die Presse doch gleich Festplatten mit Beweismaterial von Edward Snowden vor den Augen von Geheimdienstmitarbeitern zerstören? Genau.

In der FAZ kommentiert CCC-Sprecherin Constanze Kurz dann auch, wieso der Übergang von den sogenannten D-Notices zu einem politisch motivierten Update der Filterlisten nur ein kleiner Schritt ist:

„Die Regierungen sind keine Garanten für Freiheit von Information und Publikation und schon gar nicht für die Privatsphäre der Bürger. Wann immer sie ihre Hände an das Netz legen, kommen dabei Resultate heraus, die die Datensammler bei Google, Facebook & Co. wie Verteidiger der Freiheit aussehen lassen."

Dass sich einzelne Seiten nicht so einfach sperren lassen—it's the Internet, dude!— wird sich eventuell irgendwann auch nochmal bis in die Downing Street herumsprechen. Auch wir in Deutschland brauchten eine Weile, bis sich die damals als „Zensursula" verschriene Verteidigungsministerin wieder gänzlich anderen Langzeitprojekten abseits der Sperrung pornografischer Inhalte im Internet widmen mochte.

Sollte bis dahin irgendjemand in Großbritannien auf die CCC-Website zugreifen wollen: Sie ist nach wie vor unter ihrer IP als URL, http://213.73.89.123/, erreichbar.