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Gamer wittern eine Verschwörung, weil ihnen die Heldin in 'Mass Effect: Andromeda' nicht heiß genug ist

Es kann nur eine Erklärung geben: Feminazis haben den Spielentwickler infiltriert und alle Frauen hässlich gemacht, um die Jungs zu ärgern. Eine Animatorin wird zum realen Opfer dieser schrägen Thesen.

Das hatte sich BioWare sicher ein bisschen anders vorgestellt. Als der Spielentwickler Fans vor dem offiziellen Start eine zehnstündige Version des Raumfahrt-Epos Mass Effect: Andromeda zum Testen gab, hagelte es in den darauffolgenden Tagen Häme und Spott von Spielern.

Zugegeben: ME:A, ein Open-World-Weltraumspiel, das morgen für PC, Xbox One und PlayStation 4 erscheint, bietet schließlich auch eine breite Angriffsfläche. Die hölzernen Dialoge! Der ungelenke Gang der Protagonisten, den man so schön in ein GIF zum Retweeten verwandeln kann! Und nicht zuletzt: Die leblos animierten Gesichter der Figuren.

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Seit Tagen diskutiert die Gamingwelt nun darüber, wie enttäuschend, schrecklich und katastrophal das neue Mass Effect: Andromeda ist. Doch die Debatte geht über die üblichen Mäkeleien an Game-Features weit hinaus. Ganz besonders hart traf es die weibliche Protagonistin Sara Ryder. Ihr Pferdefuß: Sie sieht in den Augen mancher Spieler nicht aus wie ein Supermodel. Ganz klar: Da ist doch etwas im Busch!

„Ist euch nicht aufgefallen, dass die weiblichen Charaktere entweder hässlich oder maskulin bis zum Gehtnichtmehr aussehen?", raunt der US-Blog The Gaming Ground – und will auch gleich die Wurzel des Skandals gefunden haben: Gamerhass! Hier die bestechende Argumentation: Das BioWare-Studio wurde infiltriert – von böswilligen Feministen, die alles dafür getan haben, die Heldin und eigentlich alle anderen weiblichen Figuren im Spiel weniger attraktiv zu machen. Und das alles nur, um Hetero-Gamern richtig ans Bein zu pissen. „Dabei lieben Bi-Frauen und Lesben doch auch heiße Frauen", schüttelt der Gaming-Ground-Autor virtuell den Kopf.

Es wäre die ganz große Verschwörung der auch in manchen Gaming-Kreisen so verhassten „Social Justice Warriors" – wenn denn auch nur der Hauch einer Wahrheit an dieser absurden Logik dran wäre. Praktischer Nebeneffekt dieses Zirkelschlusses: Endlich kann man jemanden für die eigene Enttäuschung über das Spiel verantwortlich machen.

So weit, so absurd – doch leider zog diese schräge These so weite Kreise, dass sie sich binnen kürzester Zeit in handfeste Belästigungen ausweitete. Gefährlich wurde es spätestens dann, als antifeministische Gamer behaupteten, eine Animatorin und Cosplayerin habe sich den Job als „Lead Facial Animatorin" bei Andromeda ergaunert, weil sie sich hochgeschlafen habe. Obwohl ihr Name auf Twitter herumgereicht wurde, werden wir ihn nicht nennen, um sie nicht noch mehr zur Zielscheibe von Beschimpfungen zu machen.

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Nicht nur wäre das für eine Diskussion um die Grafik des Spiels vollkommen irrelevant, es gibt auch keinerlei Belege für diese These – passt aber in die Aluhut-Welt mancher Jungs und Männer, die die inklusivere, progressivere Welt verdächtigen, ihr Spielzeug und ihren Rückzugsraum kompromittieren zu wollen.

Doch die Konsequenzen dieser Fantasien sind leider sehr real: Besagte Animatorin sieht sich nun gezielten Hasskampagnen ausgesetzt, die andere weibliche Entwickler wie die Gamergate-Opfer Anita Sarkeesian nur noch zu gut kennen dürften. Tatsächlich wird die feministische Games-Kritikerin Sarkeesian im Gaming-Ground-Blogpost sogar direkt beschuldigt: Es wäre ja kaum verwunderlich, wenn sie selbst ihre Finger bei der großen Geschlechtsangleichungs-Verschwörung bei BioWare im Spiel gehabt hätte, heißt es im Artikel.

No Man's Sky ist so langweilig entspannend, dass Gamer Einschlaf-Videos daraus machen

Es dauerte keine Stunde, bis Twitter-Nutzer den LinkedIn-Lebenslauf des Opfers der aktuellen Hetzkampagne posten, in ihrem Facebook-Feed „recherchieren" und fröhlich ihre Qualifikation herunterreden: „Sie wurde aus Diversity-Gründen eingestellt", urteilte einer. „Nicht im Geringsten qualifiziert, aber im Besitz einer Vagina". – „Traurig, dass so eine Quotentussi ein Spiel für uns alle ruinieren darf…", sinniert ein zweiter.

Andere Twitter-Nutzer wollten der Verschwörung mit Fakten beikommen: Ihr Lebenslauf beweise schließlich auch, dass sie nur zwölf Monate an dem Spiel gearbeitet hatte, das insgesamt dreieinhalb Jahre entwickelt wurde, wendeten sie ein. Außerdem habe sie das Spiel wohl kaum alleine gestaltet haben können. Andere wiesen darauf hin, „dass in diesem Lebenslauf um einiges mehr an Animations- und Programmiererfahrung stecken als in unseren." Nützte alles nichts – bis die Beschuldigte ihren Jobtitel als Animatorin aus ihrer Twitter-Biografie strich. Bis heute ist nicht klar, ob und in welcher Position die Cosplayerin tatsächlich an dem Spiel gearbeitet hat. Die Stalker auf Twitter nahmen diese Info lediglich aus ihren Social Media-Profilen.

Die Episode erinnert an ein anderes Spiel, bei dem die Erwartungen im Vorfeld ebenfalls bis zum Platzen überspannt waren und sich letztlich als überzogen herausgestellt haben: No Man's Sky. Als sich der Release des Spiels verzögerte, schlug die kollektive Enttäuschung schnell in blinde Wut um. „Fans" wünschten erst dem Journalisten den Tod, der über die Verspätung berichtet hatte, dann traf die Rage den Entwickler Hello Games.

So weit wollte es BioWare nicht kommen lassen. Vor zwei Tagen veröffentlichte der Entwickler ein Statement auf Twitter: „Kürzlich wurde eine frühere EA-Mitarbeiterin fälschlich als ein Teil des Leitungsteams von Mass Effect: Andromeda identifiziert. Diese Berichte sind falsch. Wir respektieren die Meinungen unserer Spieler und der Community und freuen uns über Rückmeldung über unsere Spiele. Aber Individuuen anzugreifen, egal, ob sie in das Projekt involviert waren, ist niemals akzeptabel."

Und siehe da: 762 Twitter-Replies später scheinen sich selbst die beleidigsten Hater auf diesen Minimalkonsens einigen zu können. Vielleicht ist das die gute Nachricht: Es ist noch nicht zu spät.