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Künstliche Intelligenz aus Israel errechnet neue Ursprungsgeschichte der Bibel

Wie ein moderner Algorithmus internationalen Wissenschaftlern neue Erkenntnisse in der ewigen Debatte um die ältesten Texte der Bibel lieferte.
Die Inschriften von Arad, welche von der Künstlichen Intelligenz untersucht. Bild: Michael Cordonsky / Tel Aviv University / Israel Antiquities Authority

Ob du nun gläubig bist oder nicht: Du wirst zugeben müssen, dass kein Buch die Menschheitsgeschichte so stark beeinflusst hat wie die Bibel. Dem diametral gegenüber steht unser Wissen darüber, welche Menschen wann welchen Teil der Bibel geschrieben haben. Wo liegen die Ursprünge dieses Buches, auf das sich auch im dritten Jahrtausend nach seiner Entstehung noch immer die Mehrheit aller religiösen Menschen dieser Welt beruft?

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Möglicherweise hat uns eine Künstliche Intelligenz bei der Beantwortung dieser Frage, die nicht nur internationale Wissenschaftler seit jeher umtreibt, gerade einen entscheidenden Schritt weitergebracht. In einer Studie, die Anfang dieser Woche im Wissenschaftsmagazin PNAS veröffentlicht wurde, stellen neun israelische Mathematiker und Archäologen der Tel Aviv University ihren radikalen Ansatz vor, einer Jahrtausende alten Fragestellung mit der Technologie des 21. Jahrhunderts beizukommen—und zwar mit dem Maschinellen Lernen.

Wie so oft im Leben liegt auch das Geheimnis der Bibel in der Handschrift ihrer Verfasser. Als der babylonische Tyrann Nebukadnezar II. die Stadt Jerusalem 586 v. Chr. zum zweiten Mal mit seinen Truppen überrannte, verschleppte er Teile des jüdischen Volkes und stieß auf jede Menge Inschriften, unter anderem auf Tongefäßen. Während sich die meisten Historiker einig sind, dass die ältesten Teile der Bibel—dazu zählen das Buch Josua und das Buch der Richter—bereits vor dem Fall Jerusalems geschrieben wurden, ist unklar, wann genau und von wie vielen Autoren.

Und hier kommt nun die Künstliche Intelligenz der israelischen Forscher ins Spiel. „Eine weit verbreitete Alphabetisierung gilt als Voraussetzung für die Entstehung derartiger Texte. Antike Inschriften enthalten wichtige Hinweise auf seine solche Verbreitung", erklären sie in ihrem Paper. Mittels eines eigens entwickeltem multispektralen Bildverarbeitungsverfahren und Methoden der Dokumentenanalyse sowie Algorithmen des Maschinellen Lernens untersuchten die Wissenschaftler deshalb 16 gut erhaltene Inschriften auf Keramikscherben, sogenannte Ostraka.

Die in der Nähe der alten judäischen Festung Arad, rund 100 Kilometer südlich von Jerusalem, gefundenen Inschriften werden auf rund 600 v. Chr. datiert, also früher als die Eroberung Jerusalems. Mit der Bildbearbeitungssoftware rekonstruierten sie die hebräischen Buchstaben, die teilweise zunächst von der Oberfläche abgerieben waren, der Algorithmus identifizierte dann verschiedene Handschriften auf den Fundstücken. Die Künstliche Intelligenz hatte sich also zunächst anhand von Dokumentenanalysen klassisches Hebräisch beigebracht und anschließend anhand eines statistischen Vergleichs der Buchstabenformen herausgefunden, dass die 16 Inschriften von insgesamt sechs verschiedenen Autoren verfasst worden sein müssen. „Das deutet auf einen hohen Alphabetisierungsgrad innerhalb des judäischen Verwaltungsapparates hin", so das Paper.

Der Inhalt der Inschriften ließ die Forscher außerdem davon ausgehen, dass Angehörige des gesamten Militärs, also aller Dienstränge, lesen und schreiben konnten—ein überraschendes Ergebnis, das nahelegt, dass das Bildungssystem der Judäer bereits lange vor der Eroberung Jerusalems prächtig florierte und einen furchtbaren Nährboden für die Produktion von Bibeltexten bereitete.

Die Studie der Forscher gibt über die Erkenntnisse, was den Ursprung der Bibel angeht, hinaus auch einen Ausblick auf die zukünftige Bedeutung Künstlicher Intelligenz in akademischen Disziplinen wie Archäologie, Biologie oder Geschichtswissenschaften. Erst letztes Jahr hatte ein Algorithmus das über 100 Jahre alte evolutionsbiologische Rätsel des unzerstörbaren Plattwurms gelöst.