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Nukleares Waldbrandrisiko in Tschernobyl

Die verstrahlten Bäume im sogenannten Roten Wald zersetzen sich nicht und würden im Brandfall nukleare Mikropartikel verbreiten.
Wald
Bild: Henri Sivonen

Als wenn die Ukraine momentan nicht schon genug Sorgen mit der russischen Kriminvasion hätte, warten Wissenschaftler nun auch noch mit einer weiteren Hiobsbotschaft auf: es besteht eine akute Bedrohung durch einen nuklearen Waldbrand. Die Wälder um das vor 28 Jahren explodierte Atomkraftwerk Tschernobyl können nicht mit einem regulären Verfallsprozess aufwarten. Beim Ausbruch eines Feuers würde sich das radioaktive Material bis jenseits der kontaminierten Zone um Tschernobyl verbreiten. Die abgesperrten 2.500 Quadratkilometer rund um die stillgelegte Anlage befinden sich circa 110 Kilometer nördlich von Kiew.

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Dieser kontaminierte Bereich liefert Ökologen eine Menge Anschauungsmaterial: Abgewanderte Insekten oder dort lebende Vögel, die Abnormitäten wie verformte Schnäbel, seltsame Schwanzfedern und kleinere Gehirne entwickelten. Und auch die Bäume sind merkwürdig.

Forscher, die die Umgebung in der kontaminierten Zone seit 1991 untersuchten, stellten bei den Bäumen „im Laufe der Zeit eine signifikante Ansammlung von Abfall" fest, wie sie kürzlich in einer in Oceologia veröffentlichten Studie schrieben. „Signifikant" bedeutet in diesem Fall, dass sich die Bäume nicht zersetzen und auch die Blätter lediglich auf dem Boden liegen bleiben und nicht verfaulen. Dass lässt sich vor allem im sogenannten Roten Wald beobachten—einem Gebiet um den ehemaligen Reaktor herum, das seinen Namen den rotbraun verfärbten Bäumen verdankt.

In einem Interview mit dem Smithsonian Magazin, nannte der Hauptautor der aktuellen Studie, Timothy Mousseau, ein Biologie von der Universität South Carolina, dieses nicht-verfallende organische Material „auffällig, denn in den Wäldern, wo ich lebe besteht ein Baum, nachdem er ein Jahrzehnt herumgelegen hat, vor allem aus Sägemehl."

Der Grund für diesen fehlenden Verfall in der Gegend um Tschernobyl liegt schlicht und ergreifend an der Abwesenheit von Mikroben, Bakterien, Pilzen, Würmern, Insekten und andere lebenden Organismen, die als Zersetzer bezeichnet werden und ihre fleißige Arbeit am biologischen Kreislauf einfach nicht mehr leisten. Im Jahr 2007 verteilten Mousseau und sein Team 600 Beutel mit Blättern um Tschernobyl herum. Als sie die Blätter ein Jahr später wieder einsammelten, stellten sie fest, dass diese in Gegenden ohne radioaktive Verseuchung zu 70 bis 90 Prozent verwest waren. Die Blätter in den verstrahlten Bereichen jedoch waren nur zu ungefähr 40 Prozent verfallen. „Wir haben wachsende Bedenken, dass es in den nächsten Jahren ein katastrophales Feuer geben könnte", berichtete Mousseau.

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Neben dem Aufräumen von allem, was als Zunder für Waldbrände dienen könnte, sind Zersetzer unerlässlich für das Wachstum von Pflanzen, weil sie Nährstoffe zurück in den Boden und generell zurück in den Umweltkreislauf bringen. Die Abwesenheit dieser Zersetzer könnte also auch erklären, warum die lebenden Bäume um Tschernobyl sehr langsam wachsen. Diese Tschernobyl-Bäume bedecken ungefähr 1700 Quadratkilometer in der kontaminierten Zone und haben seit nunmehr drei Jahrzehnten Radionuklide wie Strontium 90 (Verursacher von Knochenkrebs) und Cäsium 137 (mit gesundheitliche Folgen von von Brechreiz bis zum Tod bei hoher Dosis) absorbiert.

Wenn die Bäume verbrennen, würden diese Radionuklide wie „einatembarer Schwebestaub" in die Atmosphäre freigesetzt werden, berichtete Scientific American letztes Jahr und verwies auf eine Studie von 2011. Neben dem Einatmen von krebserregenden Partikeln, die hunderte von Kilometern durch die Luft fliegen würden, wäre die größte Bedrohung die Produktion von Nahrungsmitteln wie Milch und Fleisch, die noch, „in einer Entfernung von bis zu 150 Kilometern von dem Feuer" betroffen wäre.

Die Befürchtung eines Waldbrandes in der kontaminierten Zone, der zur weitreichenden Ausbreitung der radioaktiven Partikel führen würde, ist schon seit 1992 eine Sorge von Umweltwissenschaftlern. Die Bedrohung ist durch die vom Klimawandel ausgelösten längeren, trockeneren Sommer nur noch schlimmer geworden.

Um die kontaminierte Zone herum sind Feuerwehrmänner stationiert, die speziell dafür da sind, Feuer in den Wäldern zu verhindern, aber sie sind „offensichtlich nicht für einen großen Waldbrand ausgerüstet", sagt Scientific American: nahezu ohne „professionelles Training, Schutzanzüge oder Atemmasken". Die Feuerwehrmänner halten zur Zeit nach Feuern Ausschau, indem sie täglich auf sechs Aussichtstürme klettern. Unterstützt werden sie außerdem von einem Helikopter, der „gelegentlich verfügbar" ist.

Aber immerhin haben sie ja ihren sowjetischen Panzer. Der wurde mit einer sechs Meter langen Klinge nachgerüstet, mit der er tote Bäume fällt, die nicht verfallen wollen und die nur die Wege verstopfen und vermüllen.