Jenseits der Zivilisation
Bild: Antoine Bruy. Mit freundlicher Genehmigung.

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Jenseits der Zivilisation

Der französische Fotograf Antoine Bruy hat in einem Projekt teilnehmender Beobachtung Aussteiger porträtiert, die sich bewusst für einen Alltag ohne Stadt, Technik und gesellschaftlichen Druck entschieden haben.

Das Gefühl des urbanen Overkill kennt jeder, der einmal in einer Großstadt gelebt hat. Dennoch ist trotz Verkehrsstaus, Smog und übermäßigem Sozialkontakt ein kompletter Ausstieg aus jeglicher Zivilisation für das Gros der Bevölkerung höchstens ein unrealistischer Wunschtraum. Und obwohl es in der modernen, überbevölkerten Gesellschaft kaum möglich scheint der Alltagswelt zu entfliehen, gibt es Menschen, die sich bewusst für ein Leben im totalen „Off" entschieden haben.

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Der französische Fotograf Antoine Bruy erhielt 2010 den Young Swiss Talent Prize. Seither reist er durch Europa und besucht Menschen, die den radikalen Schritt gegangen sind, ihr Leben jenseits von Städten, Konsum, Effizienz und sozialen Erwartungen zu führen. Über das wwoof-Netzwerk, welches in einer globalen Community Freiwillige an biologische Höfe, Bauern und Erzeuger vermittelt, bekam er Kontakt zu sogenannten Aussteigern. Mit ihnen erlebte er Tage ohne Uhr oder Verpflichtungen und gestaltete seine Zeit statt dessen nach Sonne, Mond und den Jahreszeiten.

Dank des wwoof-Netzwerks und seiner eigenen Neugier für alternative Lebensstile verbrachte Bruy viel Zeit mit den Menschen, die er fotografierte und beteiligte sich an ihrem Alltag. Er pflanzte Gemüse, reparierte Hausdächer, versorgte Tiere und begann Land und Leute von innen heraus zu verstehen, wie Antoine Bruy auf seiner Seite Scrublands schreibt.

„Das Konzept der teilnehmenden Beobachtung half mir zum einen akzeptiert zu werden und andererseits so nah wie möglich an die Menschen und ihren Alltag heran zu kommen. Dieses Vorgehen erlaubte mir sehr intime Bilder."

Bruys Hauptanliegen in den Bildern ist es, die Intimität von Menschen, ihrer physischen Umwelt und den Beziehungen zu ihren ökonomischen und intellektuellen Gegebenheiten, welche sie bestimmen, abzubilden.

„Ich wollte die Leute kennen lernen und sehen, wie sie es schaffen, mit etwas zurecht zu kommen, was sie nicht kennen", erzählte Bruy gegenüber Wired in einem Interview: „Die meisten von ihnen haben kein landwirtschaftliches Vorwissen."

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Natürlich entstanden in seinem Fotoprojekt auch wunderschöne, bezaubernde Naturbilder und Landschaftsaufnahmen, die von idyllischer Abgeschiedenheit erzählen. Die Fotos von den Menschen, den Hirten und Kleinbauern, sind beeindruckend rau und zeigen Abenteuer in der Wildnis und die herbeigesehnte Ursprünglichkeit. Aber auch, wie ein getrimmter Stadtmensch von Schmutz, fehlendem Komfort und freiwilliger Armut gezeichnet sein kann.

Scrublands bietet visuell besonders kraftvolle Einblicke in verschiedene Welten und archaische Lebensweisen. Antoine Bruy besuchte abgeschieden lebende Menschen in fünfzehn französischen Kommunen, wie auch in Rumänien, Spanien, Wales und der Schweiz.

Um seine Dokumentation weiter zu führen, möchte er gerne in die USA reisen und dort Selbstversorger in den Apalachen zu besuchen. „Amerika ist der Geburtsort der sogenannten 'zurück auf's Land-Bewegung'", schreibt Bruy auf seiner Seite. Für diese Reise und sein Equipment benötigt der Fotograf Geld, welches er mit Hilfe einer Crowdfunding-Kampagne bei fotofund sammelt. In den verbleibenden knapp zwei Wochen müsste er jedoch noch dreiviertel des angepeilten Betrags von 5700 Euro auftreiben.

Solch ein Projekt könnte natürlich nicht entstehen, wenn der Fotograf nicht selbst zumindest gelegentlich mit dem Gedanken eines Ausstiegs spielen würde. Und wer weiß, vielleicht landet Bruy irgendwann in seiner eigenen schönen Abgeschiedenheit, pflanzt dort Kartoffeln und Bohnen und wohnt in einer kleinen Hütte, die er selbst zusammen gezimmert hat. Dann wird er vom partizipierenden Beobachter zum Protagonisten seines eigenen Projekts.