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Plastikmüll all überall: Warum kaufen wir immer noch mit Plastiktüten ein?

Obwohl unsere Ozeane von schwimmenden Plastikinseln bedeckt sind und wir selbst das Hormongift Biphenol A im Blut haben, sind Plastiktüten immer noch an jeder Ecke zu bekommen.
Überfülltes Kaufhaus
Weihnachtsshopping. „Ja, ich nehme noch eine Tüte.“ Bild: Marcus Manske / Wikipedia | Lizenz: CC BY 2.0

Es weihnachtet, der Glühwein fließt und die Geschäfte locken mit den perfekten Präsenten. Das einzige, was noch einfacher ist, als ein für die Verwandtschaft unangreifbares Geschenk aus den Bereichen Duschkosmetik, Schokoparadies oder Küchenbedarf zu besorgen ist, sich dieses auch noch in eine Plastiktüte einpacken zu lassen.

Plastiktüten gehören bei uns in Deutschland immer noch zum guten Konsumton, obwohl sie in Ländern wie Bangladesch, Bhutan oder Frankreich bereits vollständig verboten sind. Eine striktere Regulierung gegen die rabiaten Umweltverschmutzer wird zwar fleißig diskutiert, ist jedoch immer noch weit von einer politischen Entscheidung entfernt.

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Eine Plastiktüte wird meist nur 25 Minuten genutzt. Aber ihr Zerfall dauert bis zu 500 Jahren.

Laut der Deutsche Umwelthilfe werden bundesweit 5,3 Milliarden Plastiktüten im Jahr benutzt oder anders gesagt, 10.000 Tüten pro Minute. Allein in Berlin kommen jährlich 227 Millionen neue Plastiktüten zum Einsatz. „Auf diese Weise entstehen jährlich 1,3 Kilogramm Verpackungsmüll pro Einwohner." Tendenz steigend.

Eine Plastiktüte benötigt bis zu 500 Jahre, um zu zerfallen. Sie besteht aus 40 Gramm Erdöl und wird in der Regel nur 25 Minuten genutzt. Leider werden nur die wenigsten Exemplare mehr als einmal verwendet und landen ohne Umwege im Müll. Nur ein Bruchteil der Tüten wird recycelt oder thermisch verwendet, die große Masse landet vermutlich irgendwann in unseren Meeren.

Solange sich die Regierung in der Tütenfrage bedeckt hält, liegt es vorerst leider am Verbraucher selbst, seinen Verpackungskonsum einzuschränken. Die Aktion „Weihnachtszeit: Lehnt Plastiktüten ab! #X-Mas_noplastic" ruft nun bei Facebook dazu auf, beim Geschenkeshopping auf die praktischen Beutelbeigaben zu verzichten. Erst in der vergangenen Woche hat eine aktuelle Studie das unglaubliche Ausmaß der Verschmutzung belegt: Insgesamt schwimmen Plastikteile mit einem Gewicht von mehr als 250.000 Tonnen auf unseren Weltmeeren. In der Folge sterben jährlich bis zu 100.000 Meeressäugern und Vögel an der Verschmutzung und verhungern mit vollen Mägen—bis oben angefüllt mit Plastik.

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Gleichzeitig sind in den Industrienationen 90 Prozent der Menschen chronisch mit Biphenol A belastet, wie anhand von Blut-, Urin- und Fruchtwasserproben festgestellt wurde—eine weitere Auswirkung der allgegenwärtigen Plastikverpackungen und Produkte in unserem komfortablen Alltag. Bereits winzige Mengen von Biphenol A können unseren Hormonhaushalt beeinträchtigen, die Spermien reduzieren und zu Verhaltensstörungen führen.

Toter Albatros mit Plastikmüll im Magen.

Die Geschichte der Polymere beginnt schon vor langer Zeit, denn Biopolymere werden schon seit Jahrtausenden verwendet. Bereits die Neandertaler benutzten Birkenpech als steinzeitlichen Klebstoff für ihre Werkzeuge. Doch erst nach der Entdeckung des Kautschuk vor circa 300 Jahren konnte sich eine florierende Gummiindustrie entwickeln, die mit Hilfe chemischer Verbindungen ganz neue Produktionsmöglichkeiten und Produkte entstehen ließ. Unsere gesamte Gegenwart basiert auf Vulkanisierung, Polymerisation und den unschlagbaren Eigenschaften von Kunststoffen.

Was wären wir ohne Tischtennisbälle, Tupperware oder Strohhalme? Ganz zu schweigen davon, was unserer Gesellschaft ohne so manch verzauberte Chemieformel vorenthalten worden wäre: Computer, Smartphones und In-Ear-Kopfhörer genauso wie Einwegspritzen, Funktionsklamotten, Ghettoblaster und ganz besonders Plastiktüten.

Ich selbst versuche mich der betörenden Anziehung der knisternden, bunten Beutelchen so gut es geht zu entziehen, aber meine Tütenschublade quillt dennoch über. Und die freundlichen Verkäuferinnen in den großen Warenhäusern gucken immer ganz ungläubig und traurig, wenn ich ihre angebotene Gratis-Tüte zurückweise.

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Mehr als individueller Einsatz würde wohl nur eine allgemeine staatliche Regulierung helfen. Und auch hierbei darf bedacht werden, dass Plastiktüte nicht gleich Plastiktüte ist. Die dünnen, schnell reißenden Hemdchenbeutel, die wir meistens an der Obsttheke oder im Asialaden mitbekommen, gehen nicht nur sofort kaputt, sie sind auch besonders schädlich für die Umwelt. Eine einzige, besser verarbeitete Mehrwegtüte kann hundert der dünnwandigen Knisterdinger einsparen, verhindert somit unnötigen Rohstoff und Energieverbrauch produziert weniger Abfall. Dass mitgebrachte Stoffbeutel die beste Alternative sind, muss man, denke ich, nicht extra erwähnen.

Je größer die Müllberge werden und je mehr Dreck dir in deinem Strandurlaub entgegen dümpelt, desto gewisser wird, dass die schöne Welt der Polymere nur eine Illusion ist. Und auch wenn die Politik vor dem drohenden Umweltdesaster lieber ihre Augen zukneift, haben einige geniale Geister mit ihrem Elan bewiesen, dass das Problem durchaus lösbar ist.

Während ihr nun versucht, euch mit idealerweise möglichst wenig Plastiktüten durch den Weihnachtseinkauf zu kämpfen, haben wir hier noch einmal die ermutigendsten Projekte aus dem Jahr 2014 zusammengestellt, die dabei helfen sollen, das Plastikzeitalter zu überwinden. Ihr könnt auf die Bilder klicken, um zu unseren jeweiligen Artikeln zu gelangen:

The Ocean Clean Up Kid

Boyan Slat bei der ersten Machbarkeitsstudie für The Ocean Clean Up

Boyan Slat bei der ersten Machbarkeitsstudie für The Ocean Clean Up. Bild: The Ocean Clean Up. Mit freundlicher Genehmigung.

Der mittlerweile 20jährige Boyan Slat konnte sein Projekt The Ocean Clean Up erfolgreich crowdfunden und wird nun in einer weiteren Machbarkeitsstudie seine Technik perfektionieren, mit der er die Weltmeere vom Plastik befreien will.

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Radikaler Plastikverzicht im Alltag

Lauren Singer beim verpackungslosen Einkaufen in New York.

Lauren beim verpackungslosen Einkaufen. Bild: Mit freundlicher Genehmigung von Lauren Singer

Die New Yorkerin Lauren Singer richtet ihr Leben seit zwei Jahren so aus, dass sie keinen Müll mehr produziert und zeigt damit ohne erhobenen Zeigefinger, dass ein Leben ohne unnötigen Mist nicht nur möglich ist, sondern auch ziemlich glücklich macht.

Ozeanplastik im 3D-Druck upcyclen

Einer von vielen mit Plastik überschwemmten Stränden.

Einer von vielen mit Plastik überschwemmten Stränden. Bild: Wikimedia, Loranchet | CC BY 3.0

Plastic Bank sammelt den Müll aus Flüssen und Meeren, um mit den recycelten Plastikfasern 3D-Drucker zu betreiben.

Ein Supermarkt ohne Plastikverpackungen

Sara Wolf, eine der Gründerinnen von Original Unverpackt.

Sara Wolf, eine der Gründerinnen von Original Unverpackt. Bild: Almut Gaude

In Berlin eröffnete der erste deutsche Supermarkt ohne Verpackungen. Die beiden Gründerinnen von Original Unverpackt haben die Vision, dass wir in zehn Jahren überall in Deutschland ohne unnötige Müllproduktion einkaufen können.

Größte Plastikrecyclingfabrik Europas im Hafen von Rotterdam.

Größte Plastikrecyclingfabrik Europas im Hafen von Rotterdam. Bild: Manuel Freudt / MOTHERBOARD.

Doch auch Alternativen zum Plastik sind nicht unbedingt die Lösung des Problems. Eine interaktive Grafik australischer Forscher in der Zeitschrift The Atlantic zeigt, dass die Herstellung von Papiertüten viele Rohstoffe verbraucht und ebenfalls extrem viel Müll produziert. Und die Zeit schreibt über abbaubare Plastiktüten: „Auch zersetzbare Tüten aus oxo-abbaubarem Plastik lösen sich in mikroskopisch kleine Partikel auf, die sich im Boden ablagern können. Pflanzen oder Tiere, die sie aufnehmen, werden möglicherweise vergiftet."

Es gibt alle möglichen Maßnahmen, die von staatlicher Seite ergriffen werden könnten: von einem Plastiktüten-Pfand bis hin zu einem Verbot der sofort reißenden dünnen Obsttütchen oder gleich einem generellen Verbot der Kunststoffbeutel. Was, ist eigentlich egal, denn es wäre schon ein vielversprechender Anfang, wenn einfach mal irgendwas gemacht wird. Und dabei könnte Deutschland auch ganz unabhängig von Europa mit guten Beispiel voran gehen und sich gegen den unsäglichen Tütenkonsum positionieren. Wenn mir dieser Wunsch erfüllt würde, dann wäre es vielleicht wirklich Weihnachten.