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Cop Watch

Cop Watch: Polizisten schneiden Demonstranten die Haare ab und weisen ihn in die Psychatrie ein

Der Aktivist hatte sich an einem Panzer festgekettet und wurde später einer psychiatrischen Einrichtung übergeben. Er behauptet jetzt, provoziert, beleidigt und entstellt worden zu sein.

Das "Die-In" vor der Vernehmung. Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Sebastian Rave

Die Polizei spricht von einem friedlichen Einsatz, Sebastian Rave aus dem Bremer Landesvorstand der LINKEN nennt es "krasse Einschüchterung". Aktivisten überwiegend aus dem Kreis der "Linksjugend 'solid Bremerhaven und Cuxhaven" sowie der "Jugend gegen Rassismus Bremen" waren am vergangenen Sonntag im Zuge ihrer Demo gegen Rechtspopulismus, Militarismus und rassistische Politik zunächst gegen den AfD-Parteitag in Bremerhaven aufmarschiert. Im Anschluss begaben sich rund 50 von ihnen zum Seestadtfest, auf dem die Bundeswehr um neue Mitglieder warb—unter anderem stand dafür Culcha Candela auf der Bühne.

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Eine kleine Gruppe Demonstrierender besetzte daraufhin trotz des Regenwetters und der glatten Oberfläche einen ausgestellten Sanitätspanzer der Bundeswehr, die übrigen legten sich mit rot eingefärbten T-Shirts um den Panzer herum zu einem "Die-In" hin. Die Polizei habe daraufhin nach Vorwürfen wegen Sachbeschädigung das Fahrzeug räumen lassen. Diejenigen Demonstrierenden, die sich weigerten abzusteigen, wurden—trotz der Abrutschgefahr–auf abgesperrtes Gelände gefahren und dort vom Panzer geholt. Raves Vorwurf, diese seien nur gegen Herausgabe ihrer Personalien vom Panzer gelassen worden, bestätigte die Polizei nicht.

Ein weiterer Demonstrant, der sich um seinen Hals an dem Fahrzeug hatte festketten lassen, sei in diesem Zuge "mittels Spezialwerkzeug" ebenfalls heruntergeholt worden, so die Polizei. Im Gespräch äußerte Rave hier den Vorwurf, die Polizisten hätten den Aktivisten so heruntergezogen, dass er "hart auf dem Boden aufgeschlagen" sei.

Für diesen Aktivisten begannen die Probleme aber anschließend erst richtig. Während seiner Vernehmung sei er wegen seiner langen Dreadlocks homophob und sexistisch beleidigt worden, wie er gegenüber der taz angab. Als er sich unkooperativ gezeigt und als Provokation seine Haare um den Hals gelegt habe, sei er von den Beamten zu Boden gedrückt worden. Außerdem hätten sie ihm die Haare abgeschnitten und ihn anschließend gefesselt, wie Sebastian Rave sagt—die Polizei schob den Verdacht auf Suizidgefahr vor. Diesen Eingriff bewertet Rave als nicht nur unverhältnismäßig aggressiv, sondern auch als völlig unangebracht: "Bei Suizidgefahr gibt es viele andere Mittel, die man ergreifen kann, bevor man eine vermeintlich suizidgefährdete Person niederdrückt und festhält." Die Polizei Bremerhaven dementiert diesen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Aktivisten, bestätigt aber, die Provokation als Suizidversuch gewertet zu haben.

Die Dreadlocks des Aktivisten. Er behauptet, sie seien ihm gewaltsam von den Beamten abgeschnitten worden

Aus diesem Grunde wurde der Aktivist anschließend ins Klinikum Reinkenheide gefahren und dort der psychiatrischen Einrichtung übergeben. "Wie in gleichgelagerten Fällen üblich wird ein Suizidant in der Psychiatrie vorgeführt. Über den Verbleib entscheidet der untersuchende Arzt auf Grundlage seines Gutachtens", bestätigte die Polizei auf Nachfrage. Die Ärzte, so Rave, hätten dem Aktivisten anschließend Fragen gestellt und Tests zur Suizidgefährdung durchgeführt—Ergebnis: keine vorliegende Gefährdung. Die zuständige Ärztin habe dem Aktivisten anschließend vorgeschlagen, die Nacht freiwillig auf der Station zu verbringen, anstatt eine Zwangseinweisung durch die Polizei zu riskieren. Dieser habe das Angebot angenommen, da es bereits sehr spät gewesen sei und er keine Möglichkeit gehabt habe, zu seiner Bezugsgruppe Kontakt aufzunehmen, so Rave.

Inzwischen betreut Sebastian Rave die betroffenen Demonstrierenden und hat bereits einen Anwalt konsultiert. Rechtlich seien die Misshandlung des Aktivisten und die Einlieferung ohne bestätigten Verdacht kaum nachweisbar, sagt er. Lediglich das unverhältnismäßige Vorgehen der Beamten auf der Wache sei anfechtbar. Die Betroffenen, insbesondere der geschorene Aktivist, hätten von ihrem Anwalt den Rat bekommen, sich vorerst gegenüber der Öffentlichkeit bedeckt zu halten. Ebenso sucht die Polizei Bremerhaven derzeit das Gespräch mit dem örtlichen Kreisverband der LINKEN, wie dessen Sprecherin, Petra Brandt, bestätigte.