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​Wie ich fast zum ersten Schweizer Pro-Gamer wurde

Ich stand einen Schritt davor, für ein südkoreanisches Profi-Team zu spielen. Doch irgendwann wurden mir 20 bis 30 Stunden Training pro Woche einfach zu viel.
Foto: Peshay159

Die Jugend ist für die meisten Land-Teenies jener Lebensabschnitt, in dem sie sich Wochenende für Wochenende in Clubs schleichen, literweise „Gummibärli" hinter die Binde schütten und alles vögeln, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Bei mir war das anders. Kurz nach dem Jahrtausendwechsel, als Nokia noch klar den Handymarkt dominierte, Sum41 der heisse Scheiss auf dem Pausenhof war und Swisscom ISDN als das neue Internet vermarktete, gingen gut 90 Prozent meiner Freizeit für Counter-Strike und Quake drauf.

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Die Schuld daran würde ich im Nachhinein meinen Eltern zuschieben, denn schon als ich drei Jahre alt war, kaufte mir meine Mutter einen Gameboy. Von diesem Moment an waren meine besten Freunde Super Mario, Mega Man und diese komischen Tetris-Steine. Ob Super Nintendo, Playstation oder Sega Dreamcast—in meinem Zimmer stapelten sich die Konsolen, die damals sozusagen das Gold meiner nerdigen Jugend waren.

Ganz von der Welt verabschiedet habe ich mich—wie viele andere auch—spätestens zu dem Zeitpunkt, als ich meinen ersten Computer zusammengebastelt hatte. Du ahnst es: Ich war Einzelkind, Papa zahlte. Mit dem Internet entwickelte sich auch meine Leidenschaft, gegen andere Menschen zu spielen und spätestens, als der damals revolutionär schnelle Internetanschluss A-DSL auch in meinem Kaff erhältlich war, gab es kein Halten mehr. Ich spielte ununterbrochen—vor allem Counter-Strike. Das Spiel, das damals so ziemlich die ganze Gaming-Realität vom heimischen Zocker-Keller bis zu Berichten über amoklaufende Psychos prägte.

Polizei gegen Terroristen, ein einfaches Spielprinzip, das nicht nur bei mir ankam. Schnell entwickelte sich weltweit eine grosse Counter-Strike-Szene—auch in der kleinen Schweiz. Sowohl online alleine vor dem PC, als auch offline bei Lan-Partys. Jeder von euch hat sicher einen Jugendfreund an die vor Schweiss stinkenden und mit Nerds gefüllten Hallen verloren.

Das Highlight solcher Nerd-Wettbewerbe ist damals wie heute das Turnier. 2004 sass ich bei der grössten Lan-Party der Schweiz, der Lanforce, mittendrin und mass mich mit den 500 besten Gamern der Schweiz.

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Foto von Jeramey Jannene | Flickr | CC BY 2.0

Unser Clan, sowas wie unsere Fussballmannschaft—nur eben mit Zocken statt mit Fussball, hatte sich wochenlang auf genau dieses Turnier vorbereitet. Wir verbrachten Nächte damit, uns Taktiken auszudenken. Wir hatten einen Trainer der uns übers Internet Anweisungen gegeben hatte. Und … mein Team flog schon in der Vorrunde raus. Wegen einem Punkt Unterschied gegen irgendwelche 14-jährigen Loser. Meinen Frust liess ich an meiner alten Tastatur aus, die mit wuchtig über den Köpfen meiner Teamkameraden an die Wand klatschte.

Zum Glück war das aber nicht das einzige Turnier und so konnte ich mir im Zweit-Weltkriegs-Ego-Shooter Battlefield 1942 mit einem anderen Team den ersten Platz sichern und wurde unverhofft—ich hatte das Spiel zum ersten Mal ausprobiert—an diesem Abend zum Schweizermeister ernannt. Auf diesem Niveau bewegte sich die Gaming-Szene in der Schweiz. Neben Ruhm und Ehre gab es sogar einen Preis: eine 200 Franken teure Grafikkarte, mit der mein PC noch schneller lief.

Immer mehr solcher Lan-Partys mit grossen Turnieren stiegen in der Schweiz. International bezeichnete man das Ganze nicht mehr als Zocken oder Gamen—der E-Sport war offiziell geboren. Weltweit starteten grosse Turniere, wie die Cyber Professional League oder auch die World Cyber Games—sozusagen die Olympischen Spiele im E-Sport. Dort wurde um Preisgelder von über 100'000 Dollar gezockt.

In Ländern wie Schweden oder Südkorea bildeten sich professionelle Clans, die ihren Spielern Geld bezahlten, damit sie unter ihrem Namen spielen. Grosse Hardware-Firmen sponsorten diese Teams. Die ersten Spieler schafften den Sprung in den Gamer-Olymp und konnten als Pro-Gamer von ihrer Leidenschaft leben. Die Illusion, jeder von uns könne das schaffen, war geboren—und auch ich teilte den Traum, in diese Riege der Besten der Besten aufzusteigen.

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Neben meinem Praktikum als Informatiker verfolgte ich nach der Schule genau dieses Ziel. Ich spielte ununterbrochen, wechselte von Team zu Team, war in der Szene als Clanhopper bekannt und landete schlussendlich in der Romandie, da kein deutschsprachiges Team mehr mit mir spielen wollte. Ich nehme das Spiel zu ernst haben die Deutschschweizer gemeint. Doch wer der Beste sein will, muss seine Sportart schliesslich ernst nehmen. Also spielte ich weiter und weiter, sicher 20 bis 30 Stunden pro Woche.

Einzelne Teams in der Schweiz verdienten auch schon ein paar Hundert Franken pro Monat. Nichts wovon man Leben konnte, aber es war ein Anfang. Unser Team gehörte aber nicht dazu. Ausser einer gesponsorten Plüsch-Maus und ein paar Trikots bekamen wir nichts. Umso erstaunter war ich, als eine Kontaktaufnahme aus der südkoreanischen Blase der Pro-Gamer geschah: Ein Profi-Clan wollte Nachwuchsteams in Europa fördern, da hier die Counter-Strike-Szene boomte.

Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ein gewisser Yun in unseren Teamspeak kam. Yun erklärte uns per Skype, er sei Coach von einem der stärksten asiatischen Counter-Strike-Teams. Umso krasser erschien uns, dass der E-Sport-Scout von uns schwärmte, als wären wir die Besten. Er habe mehrere Matches gesehen und sehe grosses Potenzial. Er wolle mehrere europäische Teams abwerben, die in der Szene noch unbekannt seien, bei denen er aber das Gefühl habe, sie seien in drei Jahren an der Weltspitze. In gebrochenem Englisch sprach er von finanzieller Unabhängigkeit, von Boot Camps in Südkorea und sogar von einem Gaming-Room.

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Foto von The Conmunity-Pop Culture Geek | Flickr | CC BY 2.0

Trotz der Verlockung, unseren Traum mit der Unterzeichnung des Vertrags, der uns in Rohform schon vorlag, leben zu können, gingen wir nicht auf Yuns Vorschlag ein. Der Trainingsaufwand pro Woche war schon als Amateur-Team immens. Wenn andere mit den Arbeitskollegen auf ein Feierabend-Bier in die Kneipe gingen, rankten sich meine Gedanken um neue Strategien für meinen Clan. Ich führte sowas wie ein Doppelleben. Von meinen Arbeitskollegen wusste keiner über mein Hobby bescheid, das sehr viel Zeit in Anspruch nahm.

Zu diesem Zeitpunkt trainierten wir täglich drei Stunden—freiwillig. Mit dem Vertragsangebot aus Südkorea hätte sich die Trainingszeit mit Sicherheit verdoppelt, noch dazu wäre diese sogar vertraglich geregelt gewesen. Und das alles für umgerechnet 600 Dollar im Monat? Drei von uns fünf hätten sogar die Lehre beenden müssen. Für eine mögliche E-Sport-Karriere lohnte sich das nicht. Vielleicht kam in diesem Moment auch einfach der Bünzli-Schweizer in uns hervor, denn wir entschieden uns einstimmig gegen das Vertragsangebot und für unsere beruflich gesicherte Zukunft.

Im Nachhinein war das auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Keines der gekauften Teams konnte international etwas reissen—alle aber wurden nach weniger als einem Jahr desillusioniert und von den südkoreanischen Profis wieder fallen gelassen. Mit dem Sterben unseres Traumes war auch die Zukunft unseres Teams klar. Die meisten von uns hörten auf, Counter-Strike zu spielen. Ich selber zockte noch eine Weile den Nachfolger Counter-Strike Source und schaffte es sogar bis ins Nationalteam. Gamen war für mich aber nur noch ein Hobby, die Sucht und die Träume liess ich hinter mir.

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Seither sind zehn Jahre vergangen. International geht es bei E-Sport-Events um Millionen, die Schweiz spielt aber weltweit keine Rolle. Bei uns geht es wie zu meinen grossen Zeiten immer noch um Ruhm und Ehre an den Lan-Partys. Ich selber mutierte vom Nerd zum Radiomoderator und arbeite, trotz Hackfresse, heute beim Fernsehen. Mein Gaming-Know-How setze ich aber immer noch als Experte und Kommentator an den Schweizermeisterschaften ein.

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Titelbild: Flickr | Jeroom de Muelenare | CC BY 2.0