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​Schwule gegen das Abendland

LGBT-Menschen werden wirklich Opfer von Gewalt und solidarisieren sich mit Muslimen gegen Pegida

Im Gegensatz zum Dresdner Rentner oder irgendeinem Hooligan, deren größtes Bedrohungsszenario darin besteht, dass sie beim Orthopäden nicht als Erstes drankommen bzw. schlimmstenfalls auf dem Weg zu Pegida von Gegendemonstranten beschimpft werden, gibt es durchaus auch Bevölkerungsgruppen, die öfter mit Anfeindungen und Angriffen zu rechnen haben.

Lesben, Schwule und Transsexuelle zum Beispiel. Das gerngepflegte Klischee ist, dass homophobe Gewalt sehr oft von „Jugendlichen mit Migrationshintergrund" ausgeht. Diesen Muslimen eben, gegen die die „Das wird man ja noch sagen dürfen"-Fraktion jetzt jeden Montag bei Pegida und Ablegern auf die Straße geht. Tatsächlich steigen die Fallzahlen von „Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung" in Berlin seit Jahren immer weiter an. 2005 wurden 15 Fälle gezählt, 2012 76 und 2013 gab es 87 Fälle. In einer Umfrage von 2007 von Maneo (einem schwulen Anti-Gewaltprojekt) geht man aber von einer sehr hohen Dunkelziffer aus. Leute, die sich also aus diversen Gründen nicht trauen, eine Anzeige zu erstatten. In der gleichen Umfrage wurde um eine genauere Beschreibung der Täter gebeten. Dabei gaben 49% an, dass die Täter „nicht weiter auffällig" waren, 16% in einem freien Feld, dass die Täter „nichtdeutscher Herkunft" waren.

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Eine Studie aus Amsterdam von 2008 zeichnet ein anderes Bild. Gewalt gegen LGBT-Menschen geht demzufolge viel weniger von Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus, sondern vielmehr von Idioten. Am Ende ist es nämlich vollkommen egal, welcher Nationalität du oder deine Eltern angehören, wenn du ein Trottel bist, der Menschen hasst, weil sie andere Menschen mögen. Die Amsterdamer Studie geht ebenfalls von 16 % Tätern mit Migrationshintergrund aus, der Großteil der Täter ist aber niederländischer Herkunft und hat ein niedriges Bildungsniveau.

Neben rassistischen Tönen ist einer der zentralen Aspekte von Pegida dumpfe Angst. Angst vor Fremden, dem „Anderen" und Angst, dass die Welt nicht mehr so aussieht wie in den „guten alten Zeiten". Man versucht, Menschen anzusprechen, die das Gefühl haben, nicht mehr so richtig dazuzugehören und sich irgendwie von irgendwas bedroht fühlen. Dass so gut wie keine dieser Bedrohungen real ist und diese teilweise ins Absurde abdriften, ist dabei zweitrangig.

In einem Redebeitrag erklärte eine — Björn Kietzmann (@bjokie)January 26, 2015

Rechtskonservative Gruppen schüren schon seit Jahren die Angst von Schwulen und Lesben vor Gewalt. Pro Köln wollte 2013 deswegen auch unbedingt beim CSD dabei sein, was die Veranstalter aber verhindern konnten. Auch die AfD hat eine schwule Arbeitsgruppe gegründet, die auf „deutsche Werte" pocht und eine andere Einwanderungspolitik fordert. Und jetzt haben wir Pegida, die sich endlich für uns einsetzen und deswegen sogar in ihrem Positionspapier erwähnen, dass sie für sexuelle Selbstbestimmung sind. (Gleichzeitig aber auch gegen „Genderisierung". Was die mit Islamisierung zu tun haben könnte, wird allerdings nicht so richtig klar.)

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Proteste gegen den Berliner Pegida-Ableger. Auch Enough is Enough hatte dazu aufgerufen.

Es gibt keine Zahlen darüber, wie viele Schwule und Lesben sich tatsächlich von Pegida vertreten fühlen, wenn man sich aber den Verlauf und die politische Ausrichtung der letzten Demos anschaut, kann man davon ausgehen, dass zwei Männer oder Frauen, die Hand in Hand eine Demo besuchen, ziemlich sicher damit rechnen müssten, eins in die Fresse zu kriegen. Genauso sind sich alle Gruppen und Personen einig, dass Pegida auf keinen Fall irgendetwas mit Schwulenrechten oder einer toleranten Gesellschaft zu tun hat.

Der LSVD ist Teil von Berlin gegen Nazis, einem der Bündnisse, die gegen den Berliner Pegida-Ableger auf die Straße gehen. Jörg Steinert, der Geschäftsführer des LSVD, sagt, dass Pegida-Demos „falsche Freunde sind, die keine präzise Kritik üben, sondern einzelne diffamieren." Homophobie ist für ihn „ein gesamtgesellschaftliches Problem", das unter anderem sowohl vom Islam als auch von der katholischen Kirche ausgeht.

Selbst David Berger, Theologe und Chefredakteur des schwulen Magazins Männer, der wegen seiner konservativen Positionen immer wieder scharfe Kritik einstecken muss, distanziert sich von Pegida und sagt mir: „Es ist wichtig, sich gegen Nazis auszusprechen", gleichzeitig stellt er aber die NoPegida-Demos in Frage. Er findet es „bedenklich, wenn Volker Beck neben Vertretern von Mili Görüs läuft." Berger, der sich auf seiner Facebook-Seite auch gerne mal krasser äußert und sich, wenn er Kritik am Islam übt, als Kämpfer für die Meinungsfreiheit sieht, der nicht vor „ideologisch verkrümmten Homo-Islamophilen" kuscht, findet, dass man sich eindeutiger gegen Islamismus aussprechen muss. Dabei tendiert er aber zum Schwarz-Weiß-Denken. Folgt man seinen Facebook-Posts kann für den Beobachter der Eindruck entstehen, dass man indirekt für Islamismus ist, wenn man sich gegen Pegida ausspricht. Berger plädiert dafür, die Demos zu ignorieren.

Alfonso Pantisano vom Aktionsbündnis Enough is Enough, das sich gegen die Anti-Homo-Gesetze in Russland gegründet hat und auch zur Teilnahme an den NoPegida-Demos aufruft, sieht das anders: „Leute, die gegen irgendeine Minderheit sind, gehen auch gegen uns auf die Straße." Für ihn ist die Sache weitaus differenzierter als für Berger, wenn er sagt: „Viele Menschen im Islam glaube, dass ich eine Fehlgeburt bin. Aber ich werde mich trotzdem solange auf die Straße stellen, wie Menschen diskriminiert werden, weil sie sind, wie sie sind."

Kritisieren kann man viel am Islam. Und natürlich auch den Umgang mit Homosexuellen. Dafür aber jeden Muslim verantwortlich zu machen und als potentiellen Gay-Basher darzustellen, ist eine vollkommen andere Geschichte. Idioten gibt es leider immer. Egal, ob sie muslimisch oder christlich sozialisiert worden sind. Und diese Idioten nutzen jede Gelegenheit, sich selbst zu beweisen, dass sie nicht der ärmste vorstellbare Loser sind, indem sie Menschen, die sie aus dem ein oder anderen Grund für verachtenswert halten, fertig machen. Die Lösung dafür ist aber doch nicht, sie abzuschieben (wohin würde man denn die 84% der homophoben Gewalttäter abschieben, die laut der Maneo-Studie „deutscher Herkunft" sind?). Bildung ist die einzige Lösung und auf die Straße zu gehen und zu zeigen, dass man keine Angst hat.

Stefan ist auf Twitter.