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Unge fragt, Wissenschaft antwortet: Ist Milch wirklich Gift fürs Klima?

Der YouTuber Simon Unge hat ja recht: Milch ist nicht gerade freundlich fürs Klima. Aber wie unfreundlich ist sie denn wirklich? Wir fragen einen Agrarwissenschaftler, ob wir auf die Milch im Kaffee verzichten müssen.
Selbstironie hat er: Nach seinem Milch-ist-Gift-Video zeigt sich Unge mit Aluhut und einem Getränk, das Milch zumindest ähnlich sieht | Bild: Screenshot | YouTube | Unge

Aus Milch kann man nicht nur Joghurt und Käse machen, sondern auch virale Memes. Mit nur einem Video hat YouTube-Star Simon Unge diese Woche "das ganze Internet getriggert und getrollt", wie er unter seinem neusten Upload schreibt. Angefangen hat es mit dem Video "Milch ist Gift", in dem der bekennende Veganer sagte: "Wir werden systematisch krank gemacht mit den Lebensmitteln". Man solle sich das vorstellen wie eine "Riesen-Verschwörungstheorie". Unge untermauert sein Laktose-Gate mit Einzelstudien, die zeigen sollten, dass es Zusammenhänge zwischen Milch und Krankheitsrisiken gebe.

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Auf YouTube und Twitter haben sich zahlreiche Nutzer, YouTube-Stars und Prominente über Unges apokalyptische Milchwarnungen lustig gemacht. Denn seine Behauptungen sind schlicht falsch: Milch ist nicht schlecht für die Gesundheit – für manche Menschen ist sie sogar gut, wie zahlreiche Metastudien zeigen, die viele einzelne Studien zu Milch auswerten. Das hat der YouTuber inzwischen sogar selbst eingestanden. In seinem neusten Video gibt er ausdrücklich "Entwarnung" an all die Milchkonsumenten, die sich um ihre Gesundheit gesorgt haben.

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Stattdessen präsentiert Unge eine neue These: "Milch ist Gift … für den Planeten", sagt er, denn bei der Tierhaltung werde CO2 ausgestoßen und Grundwasser verschmutzt. Wer auch das für Käse hält, sollte wissen: An dieser Behauptung ist leider was dran.

Milch ist schlecht fürs Klima

Forscher sind sich einig: Die Landwirtschaft ist einer der größten Quellen für Treibhausgase. Die verstärken wiederum massiv den Klimawandel und bedingen damit Wetterkatastrophen. In Deutschland stammen zum Beispiel 7,4 Prozent der Treibhausgase aus der Landwirtschaft, wie das Umweltbundesamt mitteilt (Stand 2015). Die Heinrich-Böll-Stiftung hat ausgerechnet, dass Milch- und Fleischproduktion weltweit für etwa 14 Prozent der Treibhausgase verantwortlich ist.

Ein Problem an der Milchproduktion ist die "Lebensmittel-Konversions-Effizienz", wie Agrarwissenschaftler Dr. Lukas Kiefer von der Uni Hohenheim gegenüber Motherboard erklärt. Einfach gesagt geht es darum: Bevor eine Kuh Milch gibt, muss sie kiloweise Futter in sich reinstopfen – Futter, das Menschen auch hätten selbst verspeisen können. "Es ist effizienter, direkt die Kartoffel oder das Getreide zu essen", sagt Kiefer.

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Ist eine klimaneutrale Milch möglich? Nein, sagt der Forscher. Das liegt zum Teil am Futter der Tiere. Beim Anbau des Kraftfutters, das Milchkühe bekommen, wird viel CO2 freigesetzt. Wäre eine glückliche Kuh, die sich vom Gras einer grünen Alpenwiese ernährt, eine Alternative? Leider nein, so der Forscher. Für die CO2-Bilanz wäre das kaum besser, wie Kiefer erklärt. Denn letztlich könnten die Graskühe weniger Milch geben als die Kraftfutter-Kühe, würden aber bei der Verdauung ebenso viele schädliche Gase wie etwa Methan produzieren. Entsprechend bräuchte man mehr Kühe für denselben Milchkonsum, und diese Kühe würden dann auch wieder mehr Fürze abgeben.


Ebenfalls auf Motherboard: Der Drohnenbauer, der die Landwirtschaft revolutionieren will


Auch Menschen sind schlecht fürs Klima

So oder so: Unser Milchkonsum ist und bleibt ein Problem für die Umwelt. Trotzdem sagt Kiefer: "Die Menge macht's." Milch sei ganz klar kein Gift für den Planeten. Vor allem, wenn man Gift als etwas definiert, das schon in geringen Dosen hohen Schaden anrichtet. Das tut Milch nämlich nicht, auch nicht für den Planeten. Milch ist Kiefer zufolge das deutlich kleinere Übel im Vergleich zur klimaschädlichen Wirkung von Fleisch.

Als Faustregel kann man sich merken: Für ein Kilo Milch wird ein Kilo CO2 freigesetzt; doch für ein Kilo Fleisch sind es, je nach Berechnungen, schon mehr als zehnmal so viel. Hinzu kommt, dass ein Kilo Fleisch oft schneller verspeist ist als eine Tüte Milch. Und eine völlig CO2-freie Ernährung gibt es sowieso nicht. "Jegliche Handlung von uns ist mit Umweltwirkungen verbunden", sagt Agrarwissenschaftler Kiefer.

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Zugespitzt lässt sich sagen: Wenn Milch Gift fürs den Planeten ist, sind auch Menschen Gift für den Planeten. Es kommt eben darauf an, möglichst schonend mit der Umwelt umzugehen. Andererseits betont Kiefer: "Wenn jeder CO2-Emittent sagt, wir machen nur ein paar Prozent aus, dann werden wir das Klimaproblem nicht lösen können."

Milch im Kaffee geht schon klar

Wir merken: Setzt man sich ernsthaft auseinander mit den Fragen, die ein aluhuttragender, deutscher YouTuber im Netz stellt, dann kann es komplex werden. Und irgendwie auch unbefriedigend. Denn die wirklich große Frage bleibt auch jetzt offen: Wie reagiert Unge auf Milch im Kaffee? Geht das noch klar? Ja, tut es.

Das zeigt eine Studie schwedischer Forscher. Sie haben mehrere Getränke miteinander verglichen und sich gefragt: Welches Getränk liefert die meisten Nährstoffe und erzeugt die wenigsten Treibhausgase bei der Produktion? Die Antwort: Kuhmilch. Sie erwies sich als das beste der untersuchten Getränke, noch vor Orangensaft und Sojamilch. Außerdem unbedenklich ist natürlich: Leitungswasser. Die Klimawirkung der Kaffeebohne klammern wir jetzt bewusst aus, ihre Produktion hat Unge immerhin noch nicht thematisiert.

Das Fazit von Lukas Kiefer ist deutlich: "Die Milch im Kaffee oder im Tee würde ich nicht verteufeln". Stattdessen rät der Forscher dazu, weniger Fleisch zu essen. Zur Orientierung erinnert Kiefer an die Tradition des Sonntagsbratens – also nur ein Fleischgericht in der Woche. Simon Unge bleibt bei der Milchfrage aber wohl ein Hardliner. "Ich würde das Zeug auch für Geld nicht mehr trinken", schreibt er unter sein neustes Video.

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