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Popkultur

Wie zwei skrupellose Expats in den 1930er Jahren Shanghai zu ihrer Spielwiese machten

Illegales Glücksspiel, Drogenhandel, Nachtclubs: "Lucky" Jack Riley und "Dapper" Joe Farren hatten überall ihre Finger mit drin. Bis ihre Herrschaft ein jähes Ende fand.
Linkes Bid: "Lucky" Jack Riley | Foto: bereitgestellt von North-China Daily News; rechtes Bild: ein Shanghaier Casino im Jahr 1940 | Foto: bereitgestellt von Katya Knyazeva

Das auffällige Schlangen-Tattoo seines Urgroßvaters hatte Paul French schon als Kind begeistert. Mitgebracht hatte der es aus seiner Zeit in Shanghai, dort hatte er nach dem Ersten Weltkrieg als Matrose gearbeitet. Damals, vor der kommunistischen Revolution von 1949, war die chinesische Metropole noch ein aufregender Ort, an dem man jederzeit ohne Pass oder irgendwelche Papiere ankommen und sich verlieren konnte. Anfang des 20. Jahrhunderts galt Shanghai weltweit als verrucht und wild.

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In seinem neuen Buch City of Devils: The Two Men Who Ruled the Underworld of Old Shanghai setzt sich Paul French nun mit der Anziehungskraft auseinander, die das alte Shanghai damals auf aussätzige Menschen hatte. Dafür erzählt er die Geschichten von "Lucky" Jack Riley, einem abtrünnigen US-Amerikaner, und von "Dapper" Joe Farren, einem jüdischen Tanztalent aus Wien. Die beiden Männer taten sich in den 1930er Jahren zusammen und zogen in der chinesischen Großstadt ein Verbrechenssyndikat auf – inklusive so viel Glücksspiel, Drogen und Sex, wie sich die anderen Expats dort nur wünschen konnten. Aber was genau hat Shanghai damals zu einem Auffangbecken für Außenseiter gemacht? Waren Riley und Farren trotz ihrer illegalen Geschäfte angesehene Leute? Und wie genau ging ihre Herrschaft zu Ende?


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VICE: Wie kam Shanghai in den 1930er Jahren zu seinem besonderen Ruf?
Paul French: Shanghai war damals eine sehr internationale Stadt, in der vor allem Ausländer das Geschehen bestimmten. Wegen der Hotels, der Art-Deco-Architektur, der Autos, der Jazz-Musik, der Nachtclubs und der Casinos galt Shanghai als aufregend und modern. Wer sich neu erfinden wollte, für den war Shanghai der perfekte Ort.

"Lucky" Jack Riley schien diese besondere Kultur der Stadt richtig zu verkörpern, in der jeder einen Neuanfang machen konnte. Aber eigentlich war es nicht sein Plan gewesen, dort zu enden, richtig?
Riley hatte eine komplizierte Kindheit, sein Vater verließ die Familie schon früh und seine Mutter trank oft und viel. So kam er erst in ein Kinderheim und später in die US-Navy. Als er zur Patrouille auf dem Fluss Jangtsekiang eingesetzt wurde, landete er zum ersten Mal in Shanghai. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte er zunächst in die USA zurück, handelte sich dort aber eine Menge Ärger ein.

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Er betätigte sich im illegalen Glücksspiel, das damals rigoros vom FBI bekämpft wurde; Riley wurde festgenommen und zu 35 Jahren Haft verurteilt. Hinter Gittern wurde er zum Star des Gefängnis-Baseballteams und durfte so draußen gegen eine normale Mannschaft antreten – dabei gelang ihm die Flucht. Er schlug sich bis San Francisco durch, wo er irgendeinen betrunkenen Typen abzog und dessen Namen – Jack Riley – annahm. Anschließend ätzte er sich seine Fingerabdrücke weg, reiste nach Shanghai und fing dort sein neues Leben an.

Riley hatte einen neuen Namen und einen neuen Wohnort, verfiel aber wieder in alte Muster.
Er machte einfach das weiter, was er schon sein ganzes Leben lang getan hatte: Geld mit gezinkten Würfelspielen verdienen. So kam er zu seiner ersten Bar in der sogenannten Blood Alley, also der Straße mit all den Etablissements, in denen sich britische und US-amerikanische Matrosen um Geldgewinne prügelten.

Schließlich hatte Riley die clevere Idee, Spielautomaten aufzustellen. Sowohl die Chinesen als auch die ganzen Ausländer in Shanghai liebten das Glücksspiel und nur bei Riley fanden sie einarmige Banditen. Es gab keine Vorschriften und die vielen Soldaten, Matrosen und reichen Geschäftsleute hatten eine Menge Geld. Das führte dazu, dass Riley in seinen Hochzeiten wohl fast eine Million Dollar in der Woche verdiente.

Riley scherte sich einen Dreck um seinen gesellschaftlichen Status. In Shanghai waren ja immer Soldaten der US-Navy stationiert – und die vergötterten ihn.

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Die Geschichte von "Dapper" Joe Farren ist eine komplett andere. Wie sind die beidem Männer zu Geschäftspartnern geworden?
Farren stammte aus dem jüdischen Getto Wiens. Sein großes Talent war das Tanzen, er reiste mit einer Gruppe europäischer Artisten durch Fernost und landete so in Shanghai. Dort gab es die größten Nachtclubs und dort durfte man so sexy tanzen wie sonst nirgendwo. Also fing er an, seine eigenen Nachtclubs hochzuziehen, und ihm kam der Einfall, mit Casinos in den Stockwerken über seinen Etablissements noch viel mehr Geld zu verdienen.

So kam er mit Jack Riley in Kontakt. Ihre Geschäftsbeziehung war eher ungewöhnlich und auch nicht ohne Probleme, dennoch beschlossen die beiden, gemeinsam den größten Nachtclub Asiens zu bauen. Außerdem dealten sie mit Drogen. Nach der Prohibition war Heroin in den USA sehr gefragt – und ein Großteil der Lieferungen kam aus China.

Sich in der Unterwelt von Shanghai durchzusetzen, war nicht einfach. Wie skrupellos sind Farren und Riley dabei vorgegangen?
In der Stadt gab es zu der Zeit viele Morde, als Unternehmer in der Unterwelt brauchte man fast eine richtige Armee hinter sich. Das größte Problem von Farren und Riley waren die chinesischen Gangs. Ab 1937 kamen noch die Japaner dazu. In Shanghai gab es damals überhaupt extrem viele Gangs – egal ob nun portugiesische, spanische, mexikanische oder korsische.

Nach dem Ende der Prohibition schickten US-amerikanische Gangster wie Louis Buchalter ihre Leute zum Drogenkauf nach Shanghai. Wegen seiner jüdischen Herkunft machte Buchalter alle seine Deals mit Farren, aber auch Riley hatte da seine Finger mit drin. Neben Spielautomaten und Nachtclubs hatten die beiden mit dem Drogenschmuggel also eine weitere Einnahmequelle. Und mehr Geld bedeutete mehr Macht.

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Galten Farren und Riley in Shanghai als angesehene Leute?
Farren machte immer ein Geheimnis aus seinen kriminellen Aktivitäten und wurde daher teilweise auch akzeptiert. Riley hingegen scherte sich einen Dreck um seinen gesellschaftlichen Status. In Shanghai waren ja immer Soldaten der US-Navy stationiert – und die vergötterten ihn. Viele von ihnen entfernten sich sogar unerlaubt von ihrer Truppe, um sich seiner Crew anzuschließen. Wer sich mit Jack Riley anlegte, legte sich gleichzeitig mit der US-Navy an.

Farren formierte derweil seine eigene Gang um sich: Als die Nazis in Österreich einmarschierten, flüchteten viele jüdische Gangster nach Shanghai, wo Farren sie anstellte. Zusammen mit Rileys Ex-Marines ergab das eine sehr furchteinflößende Security-Crew.

Jeder wusste, dass die japanischen Truppen früher oder später auch nach Shanghai kommen würden. Deshalb machten sich viele der rechtschaffenen Einwohner direkt aus dem Staub. Leute wie Farren oder Riley konnten allerdings nirgendwo hin.

Wie genau endete die Herrschaft von Farren und Riley schließlich?
Die Japaner fielen im August 1937 in China ein, aber von Shanghai ließen sie vorerst noch die Finger, weil dort die US-Amerikaner, die Briten und die Franzosen das Sagen hatten. Sie wollten zuerst die Chinesen besiegen und sich dann um den Rest kümmern. Aber jeder wusste, dass die japanischen Truppen früher oder später auch nach Shanghai kommen würden. Deshalb machten sich viele der rechtschaffenen Einwohner der Stadt direkt aus dem Staub. Die Briten gingen runter nach Hongkong, Singapur oder gleich Australien. Die Amerikaner ließen sich auf den Philippinen nieder oder machten zurück in ihre Heimat.

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Leute wie Farren oder Riley konnten allerdings nirgendwo hin. Farren war ja ein österreichischer Jude und die Nazis stellten ihm mit Sicherheit keinen Pass aus. Und Riley konnte nicht zurück nach Hause, weil ihn da ja noch eine langjährige Haftstrafe erwartete. Egal wie schlimm die Lage in Shanghai auch werden sollte, für ihn war alles besser, als wieder hinter Gittern zu landen.

Es handelt sich hier wohl um eine dieser True-Crime-Geschichten, in der eine Festnahme nicht das Worst-Case-Szenario ist, oder?
Im Grunde ging es nur darum, lebend aus der Sache rauszukommen. Die Japaner waren kurz vor Shanghai, der Angriff auf Pearl Harbor stand bevor, der Zweite Weltkrieg war in vollem Gange. Jack Riley kam tatsächlich mit dem Leben davon, Joe Farren hatte nicht so viel Glück. Schuld daran war auch das ganze Chaos, das Riley in Shanghai verursacht hatte. Er wurde verhaftet und in den USA wieder ins Gefängnis gesteckt. Wenn man bedenkt, dass die Japaner vier Monate später in Shanghai einmarschierten, war das wohl das Beste, was ihm je passiert ist.

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