Menschen

Homofeindlichkeit im Fußball: In meiner Jugend habe ich sie selbst erlebt

Im Magazin 11Freunde solidarisieren sich 800 Fußballprofis mit homosexuellen Kollegen – und geben mir als schwulem Mann etwas Hoffnung in den deutschen Fußball zurück.
Ein Fußballspieler trainiert mit Regenbogenbändchen um ein Zeichen gegen Homofeindlichkeit zu setzen
Symbolfoto, nicht der Autor: IMAGO / Jan Huebner

"Spiel doch nicht so schwul!", schrie irgendein Typ einem Spieler zu, als ich das letzte Mal mit meinen Eltern ein Fußballspiel besuchte. Mein Bruder spielt in der Landesliga. Als ich mich umdrehen wollte, um den Spruch zu kommentieren, hielt mein Vater mich zurück. "Das schreien die immer, das gehört dazu", sagte er nach dem Spiel. Damit verteidigte er nicht nur den brüllenden Fußballfan, sondern bestätigte auch mein Vorurteil: dass ich als schwuler Mann bei einem Fußballspiel genauso wenig verloren habe wie Gummibärchen auf einer Pizza.

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Aber es gibt noch Hoffnung für den Fußball und mich. In der März-Ausgabe des Fußballmagazins 11Freunde solidarisieren sich 800 Fußballprofis mit ungeouteten schwulen Kollegen. "Ihr könnt auf uns zählen", lautet der Slogan ihrer Unterstützung. Die Unterzeichnenden, darunter Dedryck Boyata, Jonas Hector, Christoph Kramer und Max Kruse, betonen dabei, dass sie niemand zu einem Coming-out drängen wollen. Vielmehr soll die Aktion schwulen Fußballprofis signalisieren, dass ein großer Teil der Kolleginnen und Kollegen, aber auch der Vereine, nach einem Coming-out für sie einstehen würde. 


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In meiner Jugend und Schulzeit hätte ich so eine Kampagne dringend gebraucht. Damals bestimmten homofeindliche Sprüche und Mobbing meinen Alltag. Das Schlimmste war der wöchentliche Sportunterricht, der nach Geschlechtern getrennt war. Wir spielten fast immer Fußball, während sich unser Lehrer zurücklehnte. Mich wollte dabei niemand ins Team wählen. "Du läufst wie ein Mädchen", sagten meine Mitschüler und machten sich anschließend in der Umkleide über mich lustig. Woche um Woche täuschte ich vor, verschlafen oder meine Sportsachen vergessen zu haben, um nicht am Unterricht teilnehmen zu müssen. 

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Meine Meinung über Fußball ist seither geprägt von negativen Gefühlen. Unter Fußballern hatte ich immer das Gefühl, mich für meine Homosexualität schämen zu müssen oder zumindest nicht offen darüber sprechen zu können. Wenn ich in meiner Studienzeit Freunde zu einem Public Viewing der Weltmeisterschaft begleitete, wollte ich eigentlich nichts mehr als schnell wieder nach Hause. Besoffene Fangruppen änderten an meinem eh schon schwierigen Verhältnis zum Fußball also nichts. Die Kommentare des ehemaligen FIFA-Präsidenten, dass homosexuelle Fans bei der WM in Katar – einem Staat, in dem homosexuelle Handlungen mit Gefängnis bestraft werden – lieber jegliche sexuellen Aktivitäten unterlassen sollten, genauso wenig. 

Vielen schwulen Männern fällt es in ihrer Jugend schwer, ihre Homosexualität zu akzeptieren. Vorurteile und Mobbing führen häufig dazu, dass sie die Homofeindlichkeit internalisieren. Bevor ich den Gedanken zuließ, schwul zu sein, fühlte ich mich ohnmächtig und hatte große Angst vor den Reaktionen in meinem Umfeld. Wenn Schule und die eigene Familie für viele also bereits so bedrohlich wirken, kann ich nur erahnen, wie sich ein schwuler Fußballprofi in einer von heterosexuellen Männern dominierten Welt fühlen muss, der bei jedem Schritt, ob Coming-out oder öffentliche Auftritte mit dem Partner, auch noch der Allererste wäre. Viele schwule Kicker geben deshalb vermutlich bereits vorher auf und lassen den Männlichkeitskult trotz Talent hinter sich. 

Man kann es traurig finden, dass die 11Freunde-Kampagne im Jahr 2021 noch notwendig ist. Man kann aber auch einfach zugeben, dass die Unterzeichnenden ein wichtiges Signal senden und damit auch jungen Menschen Mut machen. Während viele Fußballerinnen, wie die zweifache Weltmeisterin Megan Rapinoe oder die ehemalige deutsche Weltmeisterin Nadine Angerer, kein Problem damit haben, offen zu ihrer Homosexualität zu stehen, gibt es beim deutschen Männerfußball noch immer keinen einzigen offen schwulen Profispieler. Daran änderte auch Thomas Hitzlspergers Coming-out nichts, der seine Homosexualität 2014 nach dem Ende seiner Profikarriere in einem Zeit-Interview öffentlich machte. Homofeindlichkeit scheint in der Männerfußballwelt tief und fest verankert. Das beklagt mittlerweile sogar der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes Fritz Keller.

Zeitgleich zur Veröffentlichung der 11Freunde-Kampagne promotet der Ex-Nationalmannschaftskapitän Philipp Lahm sein neues Buch Das Spiel: Die Welt des Fußballs. Lahms Äußerungen in seinem Buch und die 11Freunde-Kampagne könnten nicht gegensätzlicher wirken. Lahm, der nicht zu den Unterzeichnenden der Kampagne gehört, warnt vor den angeblichen Gefahren eines öffentlichen Coming-outs und rät schwulen Fußballspielern, sich nicht mal vor Mitspielern des eigenen Klubs zu outen. Statt also die toxische Fußballwelt in die Verantwortung zu nehmen oder schwulen Fußballern Mut zu machen, rät er ihnen zu einem Doppelleben voller Lügen und Geheimnisse. 

Das 11Freunde-Magazin möchte einen anderen Weg ebnen und zeigt, dass der deutsche Fußball nicht nur aus lahmen Heten besteht. Und dass sich ein großer Teil der Fußballwelt weiterentwickelt hat. Die 800 Unterzeichnenden machen deutlich, dass sie keinen Bock mehr auf homofeindliche Brüller in deutschen Stadien haben. Damit zeigen sie jungen Fußballern, deutlicher als es der DFB und viele Vereine jemals getan haben, dass ein öffentliches Coming-Out und Profifußball in Zukunft keine Gegensätze mehr sein müssen.

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