Wie Will McBride mit einem kontroversen Aufklärungsbuch Deutschland aufmischte

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Wie Will McBride mit einem kontroversen Aufklärungsbuch Deutschland aufmischte

Ein Interview über sein Lebenswerk, die kommende Ausstellung in Berlin, John F. Kennedy und das freizügige Deutschland der 70er Jahre.

Will McBride ist 83 Jahre alt und lebt seit 1953 in Deutschland. Das macht ihn jetzt nicht zum Deutschen, aber sein Gesamtwerk und alles, was er hier erlebt hat, macht ihn in Deutschland zu einer Fotografen-Legende. Seine Arbeiten wurden in Magazinen wie Life, Stern, Quick und Twen veröffentlicht und 2004 wurde er mit dem Dr.-Erich-Salomon-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet—er reiht sich damit neben fotografischen Pionieren wie Robert Frank und Don McCullin ein. Aber seine großartige Karriere war auch geprägt von Kontroversen: Viele seiner fotografischen Arbeiten dürfen in den USA nicht gezeigt werden, weil sie sich auf den nackten, männlichen Körper konzentrieren und sein Buch Zeig Mal! ist dort sogar komplett verboten. Ob es nun das Ablichten seiner schwangeren Frau oder einiger nackter Jungs war, seine Arbeiten haben oft die Grenzen der Kunst gesprengt—aber sie waren vor allem etwas Neues, was sie laut ihm so reizvoll machte. Zeig Mal! wurde über eine Million mal verkauft und in sieben Sprachen übersetzt, bevor es 1996 vom Markt genommen wurde. Ich habe mich mit Will getroffen, um mit ihm über diese Dinge, sein Leben und die „erhabenen“ Bilder von Cartier Bresson zu reden.

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VICE: Hey Will. Du hast mir erzählt, dass ein paar Leute hier gerade eine Film gedreht haben. Um was geht es darin genau?
Will McBride: Mich! Ich habe Fragen über Fragen beantwortet, und um ganz ehrlich zu sein, ich hab das Ganze so langsam satt. Er beleuchtet wirklich jedes Detail meines Lebens und hat alle meine Freunde und meine Familie kontaktiert. Er hat mir nie wirklich gesagt, was sein Plan ist, aber er sammelt immer weiter Informationen.

Das klingt jetzt nicht so, als seist du sehr glücklich darüber …
Nein, nicht wirklich.

Nun, ich muss dich jetzt leider mit noch ein paar weiteren Fragen bombardieren. Wie kam es dazu, dass du nach Deutschland gezogen bist?
Eigentlich bin ich einfach geblieben. Ich war hier als Soldat der US Army stationiert und als mein Wehrdienst endete, habe ich mich dazu entschieden, in Europa zu bleiben. Meine Wahl fiel dann auf Deutschland, weil das am naheliegendsten war. Zuerst bin ich nach München gegangen, da hat es mir aber nicht gefallen. So kam ich nach Berlin und habe mich hier niedergelassen.

Was hat dir an München nicht gefallen?
Diese Schwere, die war einfach erdrückend. Mir schmeckte das Bier nicht, die Leute redeten komisch, das gefiel mir nicht. Ich bin nach Berlin gezogen und habe mich in die Lebendigkeit der Stadt verliebt. Hier habe ich sogar Banjo in einer Band namens „Salty Dog“ gespielt.

Wann hast du mit dem Fotografieren angefangen?
Das war mit Norman Rockwell, denn er arbeitete mit Fotos. Er hat diese riesigen Collagen aus verschiedenen Fotos angefertigt. Das war irgendwie eine natürliche Entwicklung. Ich habe mich auch sehr für die Motive der Fotos interessiert, habe aber mehr Geld mit den Fotos selbst und mit der Arbeit für die Magazine gemacht.

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Für welches Magazin hast du am liebsten Fotos geschossen?
Für das Twen-Magazin. Das war eine Zeitschrift für Jugendliche, herausgegeben von dem Künstler Willy Fleckhaus, der sehr an den USA und dem damaligen Einfluss der USA auf die deutsche Kultur interessiert war. So haben wir mit dem Magazin die Jugendkultur in Deutschland geprägt. Er war ein toller Chef, ein unglaublicher künstlerischer Leiter und er wurde für seine Arbeit mit der Zeitschrift in den höchsten Tönen gelobt. Aber wir hatten jetzt kein besonders freundschaftliches Verhältnis. Er war der Boss und ich der Fotograf und ich machte einen wirklich guten Job. Er war sehr zufrieden mit meiner Arbeit.

Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, hast du gesagt, dass du ein paar gute Geschichten über die 60ern auf Lager hättest …
Ich glaube die aufregendste Geschichte war das Fotografieren von John F. Kennedy, als er Berlin besuchte. Das hat viel Spaß gemacht, war aber auch ein Haufen Arbeit. Ich hatte ihn schon vorher einmal im Weißen Haus getroffen, zusammen mit Karl-Heinz Hagen, meinem Chefredakteur beim Quick-Magazin. Er wollte eigentlich Kennedy interviewen, aber am Ende hat Kennedy dann ihn interviewt. Er wollte vor seiner Reise nach Deutschland alles über das Land wissen. Als wir das Oval Office verließen, erinnerte ich mich an ein Buch über Kennedy, das ich besaß—The First 100 Days von den Magnum-Fotografen. Also klopfte ich noch einmal, durchquerte den ganzen Raum und fragte Kennedy, ob der das Buch signieren würde. Ich habe es immer noch.

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Hat er dich in Berlin wiedererkannt?
Nein, weil er die ganze Zeit in der Öffentlichkeit stand. Deshalb kam ich nicht so nah an ihn ran, außer für mein Lieblingsfoto, das ich von ihm gemacht habe. Er sitzt zusammen mit Willy Brandt und Conrad Ahlers in einem Cabrio direkt vor dem Brandenburger Tor. Da bin ich ihm so nahe gekommen, dass der Secret Service mich zu Boden geworfen hat.

Du sagtest, dass du ein paar Freunde bei Magnum hast?
Ja und nein. Ich meine, ich habe Magnum mal kontaktiert, weil ich zu ihnen gehören wollte und sie haben geschaut, ob sie mit mir zusammenarbeiten wollen. Aber ihnen gefielen meine Bilder fürs Twen nicht und ich war jetzt auch nicht so erhaben wie Cartier Bresson. Mein bester Freund dort war Rene Burri. Wir haben uns in Berlin bei irgendeiner Party kennengelernt.

Und jetzt stellst du zusammen mit Magnum und C/O im Berlin Amerika-Haus aus?
Ja, meine erste Ausstellung in Berlin war damals Mitte der 50er Jahre im Amerika-Haus. Deswegen wollten sie mich auch für die Wiedereröffnung im Oktober.

Du hattest auch viele Jahre mit Alkoholismus zu kämpfen. Wie hat das deiner Meinung nach deine Arbeit beeinflusst?
Nun, ich weiß nicht. Es hat meiner Arbeit viel geholfen und mich viele Jahre lang weiter machen lassen, bis es zu viel wurde. Es war auch nicht nur der Alkohol, sondern auch das Valium. Valium und Bier, Valium und Whiskey—das hält dich auf einem schönen Level. Letztendlich wurde ich aber richtig krank.

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Was war deiner Meinung nach dein unvergesslichster Fotoauftrag?
Ich mag das Cover meines Buches. Das war jetzt nicht wirklich ein Auftrag, sondern ich habe einfach nur Bilder gemacht. Es ist aber eines meiner Lieblingsfotos. Ich war mit meiner damaligen Freundin und einer Freundin von ihr in Berlin auf dem Kanal unterwegs. Das war ein zweitägiger Trip zu einer Insel, wo wir die ganze Nacht lang zu Musik getanzt haben. Das Bild wurde auf der Rückfahrt während dem Sonnenaufgang aufgenommen. Ich denke, dass es irgendwie ein fröhlich stimmendes Foto ist.

Kannst du ein bisschen über dein Buch Zeig Mal! erzählen?
Das Buch wurde produziert, um den Kindern eine Vorstellung von ihrer Sexualität zu geben. Ich hatte zusammen mit einem Typen namens Martin Goldstein, der später der Dr. Sommer bei Bravo werden sollte, ein Buch gemacht. Er kam über diesen Jugendverlag zu mir und hatte eine Haufen Fragen über Sex dabei, die sie von verschiedenen Schülern aufschrieben ließen. Also gab er mir diesen Papierstapel und ich habe die Fotos dazu gemacht. Die waren aber zu dunkel, sie gefielen mir nicht. Als mich dann diese Psychologin aus der Schweiz fragte, ob ich ein Buch für Kinder machen wolle, sagte ich zu, aber nur mit lebhaften, hellen Bildern.

Zeig mal! war natürlich sehr kontrovers. Kamen dir je Zweifel an deinem Werk?
Die Verleger hatten ein Problem damit, nicht ich. Das gilt vor allem für den amerikanischen Verlag, da das Buch dort verboten wurde. In Deutschland wurde es aber nie komplett aus den Bücherregalen verbannt.

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Hast du das Buch mit der Intention gemacht, dass es im Schulunterricht verwendet wird? Wie sollte es deiner Meinung nach den Kindern näher gebracht werden?
Ich habe das Buch tatsächlich ein paar Kindern einer Schwabinger Schule gezeigt und deswegen gab es unter den Eltern einen großen Aufschrei. Ich musste ihnen dann eines Abends Rede und Antwort stehen. Nachdem ich schließlich alles erklärt habe, hat sich ihre Meinung geändert und sie waren überzeugt davon, dass das Buch eine gute Idee war. Also machte ich weiter. Es war aber nie mein Ziel, mein Werk in Schulen zu sehen.

Wurden den Kindern Anweisungen gegeben?
Sie haben alle Entscheidungen selbst getroffen. Ich habe nur den hellen Hintergrund aufgebaut. Die Kinder sind dann zusammen mit ihren Eltern gekommen und haben einfach miteinander gespielt. Einige der Eltern habe ich gekannt, andere nicht.

Sally Mann und David Hamilton sind zwei andere hoch angesehene Künstler, die wegen ihrer Bilder von nackten Kindern und Jugendlichen in Kritik geraten sind. Welche Gesellschaft ist deiner Meinung nach offener gegenüber Nacktheit: die heutige oder die von damals?
Auf jeden Fall die der 70er Jahre. Heutzutage ist alles sehr zugeknöpft, die Gesetze sind strenger und ich habe eigentlich gar keine Möglichkeiten mehr. Ich meine, ich könnte das Buch jetzt auf keinen Fall wieder auf den Markt bringen, es würde in der Luft zerrissen werden. In den 70ern war es etwas Neues und deswegen so interessant.

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Andy Warhol

Ziellos zu wandern, Twen, 1964

Full house, Munich, 1968

Brandmauer, Berlin, 1958

Mauer, Berlin, 196

Kennedy, Brandt, Adenauer 196

Riverboat Shuffle, 1959, Berlin

Barbara, München, 1959

Romy, Paris, 1964

Siddharta, Indien, 1969

Uli, Casoli, 1979

Zeig Mal!

Zeig Mal!

Zeig Mal!