Wir waren Gastarbeiter in Katar, wo die Leute im Schlaf sterben

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Wir waren Gastarbeiter in Katar, wo die Leute im Schlaf sterben

Zwei Österreicher waren beruflich im wohlhabendsten Land der Welt und berichten von skurrilen Begegnungen zwischen Sklaverei-Vorwürfen und Superreichtum.

Letztes Jahr berichteten wir von den Zuständen auf den Baustellen von Katar, auf denen bereits über 4.000 Menschen gestorben sind (Stand Juli 2014), während sie unter sklavenähnlichen Bedingungen eine Art Disneyland für die FIFA Fußball-WM 2022 errichten. Jetzt wurden hochrangige FIFA-Funktionäre in Zürich wegen des Vorwurfs der Bestechung festgenommen. Hier berichten zwei Oberösterreicher von ihrem beruflichen Trip in das Land der Extreme.

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Gerade, als die Kritik an der FIFA-Entscheidung, die Weltmeisterschaft 2022 in Katar abzuhalten, wieder etwas abflachte, wurde unsere oberösterreichische Firma für zwei Wochen in das Golfemirat bestellt. Aufgrund der erschreckenden Berichte über die Arbeitssituation der Migranten aus muslimischen und südasiatischen Ländern, die unter sklavenähnlichen Bedingungen auf Großbaustellen des Landes arbeiten, haben wir uns im Vorfeld schon auf eine kontroverse und auch interessante Reise eingestellt.

Wir flogen nach Doha mit einem Airbus der staatlichen Fluglinie, gut umsorgt von Flugbegleiterinnen—die ihren Arbeitgeber um Heirats-Erlaubnis fragen müssen, wie wir erfuhren. Nicht verlobt und leicht beschwipst kamen wir im nagelneuen Hamad International Airport an.

Das Emirat Katar liegt auf einer Halbinsel im Persischen oder Arabischen Golf, je nachdem ob man den Iran oder Saudi-Arabien fragt. Es ist in etwa so groß wie Tirol. Von den circa zwei Millionen Bewohnern ist allerdings nur jeder Siebte ein gebürtiger Katari, auf die sich auch der Großteil des Wohlstandes konzentriert. Dieser stammt seit dem Zusammenbruch des Perlenmarktes in den 30er Jahren hauptsächlich aus dem Export von Erdöl, aber vor allem Erdgas.

Katar ist unabhängig und wird als Monarchie von einem Emir und einem Scheich regiert. Die Gesetzgebung orientiert sich weitgehend an einer wahhabitisch-sunnitischen Auslegung der Scharia und sieht beispielsweise Auspeitschung für Alkoholkonsum und die Todesstrafe für Homosexualität vor.

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Unser Taxifahrer am Weg zum Hotel stammt aus Bangladesch, wie viele, die hier arbeiten. Er ist als selbstständig gemeldet und hat ein auf fünf Jahre befristetes Arbeitsvisum. Er meinte, Dubai habe ihm besser gefallen. Den Grund dafür will er nicht nennen—genau so wenig wie er sagen will, wer für ihn in Katar bürgt.

Das Kafala, das Visa-System in Katar, sieht nämlich vor, dass Gastarbeiter—so wie wir—einen gebürtigen Katari oder ein lokales Unternehmen als Bürgen brauchen. Diese Abhängigkeit wird von vielen Unterauftragnehmern missbraucht, um die Arbeiter für die Dauer des Visums die Pässe abzunehmen und sie damit quasi zu Leibeigenen zu machen.

Unser Hotel stand wie eine Trennwand an der Schnittstelle zweier Zeitalter. Auf der einen Seite überblickt man den alten, wild gewachsenen Stadtteil Mshraib, der nachts kaum beleuchtet und von Zuwanderern bewohnt ist. Dort kann man übrigens ziemlich gut und billig nepalisch essen. Auf der anderen Seite wachsen die Hochhausskelette von Downtown Doha, nur von den Rufen des Muezzin unterbrochen, im 24h-Schichtbetrieb um die Wette.

„Viele sterben. Sie sterben, während sie schlafen"

Später beobachteten wir einen der Bauarbeiter, wie er sich gestützt von zwei Kollegen zu einem schmutzigen PKW schleppte, der mit ihm dann davon raste. Auf der Baustelle schien aber vordergründig alles geordnet zu verlaufen. Die Arbeiter trugen Helme und Warnwesten, Einweiser lotsten Baumaschinen durch die Zufahrten, die von Securities bewacht wurden. Ob diese Maßnahmen reine Kosmetik waren, war schwer zu beurteilen. Wir entschlossen uns dahingehend genauer umzuhören.

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Ein nigerianischer Angestellter einer globalen Security-Firma sprach uns in einer Rauchpause an. Wir unterhielten uns über die im Winter erträglichen Temperaturen in Doha. Auf meine Frage, wie es wohl den vielen Arbeitern mit der Hitze gehe, holte er weiter aus.

Er meinte, er bewache eigentlich eines der Krankenhäuser der Stadt, in das täglich verletzte Gastarbeiter eingeliefert werden. Ein Großteil der Patienten leide nicht an Unfallfolgen, sondern an Herz-Kreislauf-Beschwerden. „Viele sterben. Sie sterben, während sie schlafen." Die tödlichen Folgeschäden ereilen sie im Bett und sie werden morgens tot in ihren Betten aufgefunden.

Der Grund für diese zeitverzögerten Todesfälle ist Dehydration und, dass bei Temperaturspitzen von bis zu 50°C bis zu 14 Stunden am Tag gearbeitet wird. Im muslimischen Fastenmonat Ramadan sollen die Bedingungen noch schlimmer sein, fuhr der Typ von der Security-Firma fort. Die Arbeitszeit würde zwar um einige Stunden gekürzt, dafür entfallen aber die Pausen und die Arbeiter müssen sich vor den Vorarbeitern verstecken, um heimlich Wasser oder Nahrung zu sich zu nehmen.

Von solchen Zuständen war auf der Baustelle gegenüber unseres Hotels wenig zu merken. Kurz vor 18:00 Uhr sind die Arbeiter mit ihren Smartphones beschäftigt und warten darauf, von einem der weißen Kleinbusse in eines der zahllosen Arbeiterlager vor den Toren der Stadt gebracht zu werden.

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Diese Zustände sind aber nicht komplett fernab von Österreich. Tatsächlich gibt es ein Joint Venture der PORR Bau GmbH mit dem Bauriesen Saudi Binladin Group—genau DEN Bin Ladens—, das gerade die Green Line Metro ausbaut. Im Hochbau bietet die PORR auch für den Bau eines Fußballstadions mit und streckt die Fühler nach Saudi Arabien aus, wo neben Mekka auch in Medina, Jeddah und Riad U-Bahnen errichtet werden sollen. Bei der Arbeitssicherheit bemühe man sich überall um internationale Standards.

Für Arbeiter aus Indien, Nepal, Bangladesch stellen diese Projekte ein klares Sprungbrett aus der Armut dar, da sie mit dem im Ausland verdienten Geld zuhause Unternehmen gründen, ihre Kinder zur Schulen schicken oder die hohe Mitgift für die Hochzeit ihrer Töchter bezahlen können. Während in manchen Regionen Indiens die Migration weiter zunimmt, hat in anderen der erarbeitete Wohlstand die Auswanderung bereits abebben lassen.

In einer Stadt der extremen Besitzunterschiede gibt es natürlich auch kleine Sündenlöcher. Auf den Hotel-Toiletten fanden wir eine Tür ins Nachbarhaus, das sich nach außen hin als Handyshop tarnte. In einem lieblos dekorierten Nightclub spielte es Charttechno und eine Handvoll angetrunkener Araber unterhielten sich mit leicht bekleideten asiatischen Mädchen. Wir tranken ein Bier wurden skeptisch gemustert und verzogen uns wieder.

Im alten Markt, Souq Waqif, lernten wir ein paar Kataris kennen. Die Burschen waren um die 18 Jahre alt und besuchten internationale Schulen, einige von ihnen hatten bereits längere Zeit in den USA und Großbritannien gelebt. In London, erzählte einer, musste er zum ersten Mal Mieten, Steuern und Rechnungen bezahlen und ohne Hausmädchen auskommen. Überhaupt würde man dort Auto- und Wohnungstüren absperren, was in Katar niemand machte, weil die Migranten ohnehin zuviel Angst vor der Polizei hätten.

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Auf die strengen Gesetze angesprochen, einigten sie sich darauf, in „relativer Freiheit" zu leben. Während die Regierung die Kataris drängt, sich im Heimatland traditionell zu kleiden und zu verhalten, genießen sie im Ausland Narrenfreiheit. „Abroad, we can do what we want and dress how we want to. Nobody here cares."

Spätnachts sollten wir „ihr Doha" kennenlernen und brummten kurz darauf in zwei etwas ramponierten, zwölfzylindrigen SUVs die Küstenstraße Corniche St. rauf nach Katara, einer Art Kulturzentrum auf Steroide. Überall liefen Vorbereitungen für den nahenden Nationalfeiertag. Straßen wurden abgesperrt, Tribünen und Soundanlagen aufgestellt, einzelne Scheinwerfer schnitten durch die Nebelsuppe. Auf den Bauzäunen lasen wir: „Qatar deserves the best."

Wir erfuhren auch, dass die katarische Polizei im Schnitt 500 Autos pro Monat aufgrund von Gesetzesverstößen konfisziert und der Großteil der Fahrzeuge wegen der hohen Strafen nie ausgelöst werde. Deshalb besuchten wir einen dieser riesigen Autofriedhöfe in der Wüste Dohas.

Die Sicherheitsmänner, die gerade im Schatten Tee tranken, als wir auftauchten, waren nicht begeistert von unserem Besuch. Nach wildem Gestikulieren ließen sie uns doch aufs Gelände. Wir turnten eine Weile auf alten Feuerwehrwägen herum und wurden schließlich dann doch verscheucht.

Rechtzeitig zur Rückkehr aus Katar, veröffentlichte The Guardian konkrete Opferzahlen im Zuge der an Sklaverei grenzenden Mega-Bauprojekte. Bis zu 188 nepalesische Todesfälle bei der Arbeit soll es letztes Jahr gegeben haben, wobei zwei Drittel davon als Kreislaufstillstand oder Herzinfarkte angegeben sind. Indien und Bangladesch haben bislang noch keine Opferzahlen veröffentlicht.

Wir waren in dieser Wüste. Dort werden langsam brandneue BMWs vom Sand bedeckt und nicht weit davon erstrecken sich die Work Camps, in denen zehntausende immigrierte Gastarbeiter einquartiert sind. Zwischen den Dünen knallen Wertesysteme aufeinander, die weiter nicht auseinander klaffen könnten. Wir haben großteils nur die polierte und präsentabel gehaltene Oberfläche dieses Landes gesehen—und auch die weist einige ziemlich tiefe Risse auf.