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Ein Morphiumsüchtiger erklärt, warum Heroinfreigabe die Lösung des Drogenproblems wäre

„Wir müssen erkennen, wie schizophren es ist, Morphin zu verabreichen, aber beim Wort ,Heroin' Panikattacken zu schieben."
​Titelbild: Psychonaught, via Wikimedia

Das Ritual. Tausendfach getan, geschieht es doch mittlerweile schon von alleine. So selbstverständlich, wie andere am Morgen ihren Kaffee trinken, setze ich mir einen Schuss. 200 Milligramm feinstes, pharmazeutisches Morphin, intravenös verabreicht.

Das Ritual besteht dabei in der Zubereitung. Hände und Arbeitsfläche desinfizieren, Besteck auspacken, Wasser aufziehen, aufkochen, abkühlen und schließlich aufziehen. Hat man die fertige Lösung erst mal in der Pumpe, ist es nur noch eine Frage von Sekunden. Arm abbinden, Vene aufklopfen, Einstichstelle säubern und rein damit. Drei Mal täglich.

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Ich bin Opiat-abhängig. Schon seit 15 Jahren. Drei Mal täglich brauche ich meinen Schuss. Nicht um „high" zu werden, darum geht's schon lange nicht mehr. Es geht nur noch darum, die Entzugserscheinungen zu umschiffen, darum, diese ekelhaften Gefühle möglichst weit weg zu halten. Darum, zu funktionieren.

Und doch … Ich lebe nicht unter der Brücke. Ich bin nicht vom Sozialamt abhängig. Ich gehe arbeiten, zahle meine Steuern. Ich bekomme meinen „Stoff" vom Staat, ich werde substituiert. Der Staat ist mein Dealer. Ich erfülle wohl das Anti-Image eines Junkies. Rein äußerlich sieht man mir meinen Konsum nicht an. Kann ich auch nicht gebrauchen, schon gar nicht im beruflichen Umfeld, schließlich sitze ich hier in leitender Position in meinem eigenen Büro in einem KMU. Wenn die wüssten.

Mit der Akzeptanz ist es dabei nicht weit her. Heroin ist böse. Das wissen wir alle—es wird uns immerhin seit Jahrzehnten eingetrichtert. Also muss es ja auch so sein, nicht? Wer einmal Heroin nimmt, der ist sofort süchtig, kommt nie wieder raus, verliert alles, landet auf der Straße, raubt alten Omas die Handtaschen um sich auf der versifften Bahnhofstoilette einen Schuss setzen zu können und stirbt in eben dieser Toilette an einer Überdosis.

Was Bullshit ist. Heroin ist grundsätzlich nicht toxisch für den menschlichen Organismus. Reinen Stoff vorausgesetzt, könnten Junkies ihr Leben lang konsumieren, ohne irgendeine Art von Schaden davonzutragen. Fragt mal einen Alkoholiker, wie es seinen Gehirnzellen geht. Muss man wissen! Ändert aber auch nichts daran. Das böse Image, das dem Heroin nachhängt, wird es deshalb auch nicht loswerden. Dieses Bild wurde uns einfach schon zu lange in die Köpfe geprügelt. Wer daran kratzen will, dem wird die Häretiker-Mütze aufgesetzt und ein Maulkorb verpasst. Schließlich kann nicht sein, was nicht sein darf.

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Und dennoch—ich bin nicht die goldene, scheinende Ausnahme. Es gibt noch mehr von meiner Sorte. Viel mehr. Nur, die sieht man nicht. Die stehen nicht an U-Bahn-Stationen und betteln um ein paar Cent. Von denen hört man auch nicht in den Medien. Genauso, wie zwei „schlechte" Individuen eine ganze Familie in Verruf bringen können, so haben diese Gestalten das Bild des Junkies geprägt. Dreckig, krank, zitternd, schwach. Blutende Abszesse an den Armen. Ja, diese Menschen gibt es. Aber sie sind nicht der Archetypus des Junkies.

Und jetzt? Nein, ich mache keine Werbung für Heroin. Ich will auch kein Schulterklopfen von wegen „Du hast es geschafft"—denn ich habe gar nichts geschafft. Ich gehe nur meiner Arbeit nach. Ich bin genauso süchtig wie der Straßen-Junkie. Was mich von „ihm" unterscheidet? Fragt mich nicht. Ja, ich habe meinen Job im Griff—aber wahrscheinlich auch nur deshalb, weil ich meinen Stoff vom Staat bekomme. Weil der Stoff sauber ist. Weil die Qualität stimmt. Allein diese 3 Dinge unterscheiden mein Leben von „seinem" Leben. Leider sind in Österreich nur Morphin, Buprenorphin, Methadon und Polamidon zur Substitution zugelassen. Für mich ist das mehr als genug, mir reicht mein Morphin. Manchen reicht das nicht. Andere brauchen ihr Heroin. So wie zum Beispiel mein Freund, der unter der Brücke lebt. Der mit den Abszessen. Der muss täglich Kohle auftreiben, um seine Sucht zu befriedigen. Morphin, Metha und Pola, das bringt ihm nix, zu stark ist seine Sucht.

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Echte Hilfe wäre so einfach zu bewerkstelligen: Zerstört das Dogma, streicht das Wort „Heroin" von der Liste der bösen No-Go-Wörter—und betrachtet die Sache einmal nüchtern (no pun intended). Pharmazeutisches Heroin ist genauso sicher in der Anwendung wie die bisher verwendeten Substitutionsmittel. Es ist zudem noch günstiger. Seltsamerweise lösen die vorhandenen Antworten aber nicht die Fragen auf. Wieso wird in Österreich an mich gedacht und mir Morphin gegeben, an meinen Freund unter der Brücke aber nicht? Wieso wird ihm sein Heroin verweigert, auch wenn es pharmazeutisch nicht bedenklicher ist? Wieso wird er somit gezwungen, sich seine DoC illegal zu besorgen, mit all den bekannten Problemen, die der illegale Drogenhandel hier und weltweit verursacht?

Dabei hätte auch mein Freund die Chance auf ein geregeltes Leben. Auf einen gut bezahlten Job. Und ich wette, er würde diese Chance auch nutzen. Wieso? Weil man bei legalem Konsum endlich den Kopf frei hat. Man kommt aus diesem Teufelskreis aus Beschaffung, Geld und Konsum heraus. Wer Junkie ist (oder war), der weiß ganz genau, wie anstrengend und zeitraubend es ist, ein Junkie zu sein.

Wir müssen erkennen, wie schizophren es ist, Morphin zu verabreichen, aber beim Wort „Heroin" Panikattacken zu schieben.

Wenn mein Kumpel sich seinen Stoff auch aus der Apotheke holen könnte—genau so, wie ich es auch tue—, hätte er wieder all diese Möglichkeiten. Und viele würden sie auch nutzen. Dieses ganze perverse Karussell aus Geld, Beschaffung und Konsum würde wegfallen. Der Stress würde wegfallen. Die Angst, der Druck—alles weg. Man könnte sich wieder um andere Dinge kümmern, man könnte einfach wieder leben.

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Aber dazu müsste man erst mal erkennen, wie schizophren es von unserer Gesellschaft ist, Morphin zu verabreichen, beim Wort „Heroin" aber gleichzeitig Schweißbrüche zu bekommen und Panikattacken zu schieben. Medizinisch betrachtet gibt es keinen einzigen Grund, einem Süchtigen sein Morphin zu gewähren, einem anderen aber zugleich sein Heroin zu verweigern.

Was ich damit sagen will: Nein, eine komplette Freigabe von harten Drogen halte auch ich nicht für richtig. Eine staatlich organisierte, niederschwellige Beratung und Betreuung inkluse der Verabreichung der jeweiligen DoC—das wäre was. Die Junkies wären weg von der Straße, weg von den U-Bahn-Stationen, Dealer würden ihren Stoff nicht mehr loswerden. Handels- und Vertriebs-Wege der Drogenkartelle wären nicht mehr lukrativ und würden deshalb aufgegeben werden.

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Wäre das nicht was? Auf jeden Fall besser, als diese Zweigleisigkeit. Aber das Problem ist, wir leben immer noch in Österreich. Solange sich die Aufklärung in Sachen Drogen auf ein paar Binsenweisheiten aus der „Krone" beschränkt, wird sich auch nichts ändern. Was wiederum an der Situation nichts ändert. Es ändert nichts an den Überdosierungen, nichts an den Statistiken. Nichts an der Verwahrlosung, nichts an den Krankheiten, nichts an den persönlichen Dramen, dem Schmerz und der Verzweiflung, die die allein gelassenen Süchtigen jeden Tag durchleben. Zum Glück brauche ich kein Heroin. Ich bin in der unglaublich guten Position, dass ich mit Morphin leben kann. Wäre dem nicht so, wäre ich vielleicht auch einer von denen, die das Junkie-Bild so geprägt haben und würde heute an einer U6-Station stehen. Dort würde ich mein Morphin verkaufen, um mir Heroin leisten zu können. Und ich würde diese verdammte Ungerechtigkeit anprangern.


Titelbild: Psychonaught | Wikimedia | Public Domain